Colin
Jonas nervt mich. Es ist zwar Samstag, die Lust aufs Feiern ist mir trotz allem vergangen, als ich die Aufgabenliste für die nächste Woche an der Universität durchgehe, außerdem muss ich noch die Website des Schneiders fertig machen.
„Komm schon, du kommst nie mit uns mit, mach uns doch einmal den Gefallen, du warst schon so lang nicht mehr Feiern. Du brauchst auch mal eine Auszeit.“, Jonas, mein bester Freund und einer meiner Mitbewohner, grinst über beide Ohren und zeigt mir Fotos von dem Club, den sie heute besuchen wollen.
„Genau, du brauchst das. Du lernst ständig, dir wird der Lernstoff noch aus den Ohren kommen, wenn du so weiter machst.“, Yannick, ebenfalls einer meiner zu vielen Mitbewohner steigt auf Jonas‘ Masche ein. Ich will doch nur meine Ruhe.
„Komm schon, heute keine lahmen Ausreden, du kommst mit.“, Jonas nimmt einen Schluck aus seiner Bierflasche und stellt sie auf den Schreibtisch neben mich. Warum können sie nicht verstehen, dass ich keine Lust habe auf die Menschenmassen, die betrunkenen Vollidioten und auf das Gedränge. Ich starre meinen Laptop an, der schon seit sieben Uhr morgens angeschaltet ist. Eine kleine Auszeit kann nicht schaden, aber ob ich dafür in einen Club muss?
„Warum nicht, aber dafür hört ihr auf, mir in den Ohren zu liegen und lasst mich die nächsten Wochen in Ruhe.“, sage ich und bereue gleichzeitig die Worte, die aus meinem Mund kommen.
„Ja, endlich. Gut, ich hol dir ein Bier, jetzt ist es noch zu früh, wir wollen ja auch nicht die ersten sein.“, Yannick und Jonas sind sichtlich erleichtert und geben sich ein High Five.
Nach ein paar Runden Bier und Gesprächen, die meinen Horizont nicht gerade erweitern, beschließen wir uns aufzubrechen. Der Club ist eine Viertel Stunde zu Fuß entfernt, die Idioten neben mir, die für meine Verhältnisse jetzt schon zu tief ins Glas geschaut haben, wollten ein Taxi rufen. Rechtzeitig habe ich den Anruf noch stoppen können, fünfzehn Minuten Fußmarsch wird den beiden guttun.  
Juliette
Gerade noch rechtzeitig komme ich an, etwas aus der Puste und wieder gestehe ich mir selbst ein, dass ich mehr Sport treiben sollte, das Tanzen allein hilft nicht mehr allzu viel.
Ich stelle mich hinter die Bar an meinen gewohnten Platz. Der Club hat insgesamt sechs Bars. Zwei Große und vier Kleine. Mein Platz ist an der letzten Bar im hintersten Eck, ich arbeite gern allein, sodass niemand mich bei meiner Arbeit nervt und keiner mir dazwischenfunkt.

Anfangs ist recht wenig los, jedoch füllt sich der Club recht schnell, die Theken der großen Bars sind größtenteils gefüllt, die Tanzfläche hingegen noch recht leer, doch das ändert sich sobald die ersten schon das ein oder andere Glas zu viel hatten und plötzlich beginnen, sich zu den Remix Liedern unseres nicht gerade guten DJ zu bewegen.

Die ersten Leute steuern auf meine Bar zu, ich drehe mich kurz um, um die Augen zu verdrehen. Als sie die Bar erreicht haben, drehen ich mich um und lächle sie an.
Ich bereite ihre Drinks zu, kassiere bei beiden ab und werde auf einen Drink eingeladen. Laut unserem Chef dürfen wir uns einladen lassen, solange man laut seinen eigenen Angaben noch in der Lage ist, weiterzuarbeiten.
Ich nehme den Drink an und werde von einem der Typen angesprochen. Klar, als Kellnerin kenne ich solche Szenarien nur zu gut. Wenn betrunkene Kerle denken, sie könnten eine Barfrau mit dummen Anmachsprüchen klarmachen, weil sie denken, sie seien die Könige der Welt.

Aber nichts da, ich weiß, wie das Spiel abläuft und ich habe absolut keine Lust darauf. Immerhin habe ich auf diese Art meinen ersten und einzigen Freund kennengelernt und seitdem das in die Brüche gegangen ist, habe ich mir selbst geschworen, den Männern den Rücken zu kehren. Und zwar so lange, bis ich mein Studium beendet habe, auf eigenen Beinen stehen kann und mir eine Existenz aufgebaut habe, ohne einen Mann. Der Abend verläuft recht ruhig, ich bekomme noch ein paar Runden spendiert bevor mein Chef zu mir kommt und mir sagt, dass es Zeit wird, meine Bar zuzumachen.

Zwar habe ich so weniger Stunden, doch heute bin ich froh, noch ein bisschen Tanzen zu können, bevor der Club seine Pforten schließt. Ich räume die übrigen Gläser noch in den Geschirrspüler, bringe die Flaschen wieder an Ort und Stelle und schalte das Licht hinter der Bar aus.
Ich schreibe Liv eine Nachricht, dass sie sich auf den Weg machen kann, nehme meine Tasche, die ich unter die Bar gelegt habe und begebe mich auf die Tanzfläche. Hier fühl ich mich wohl. Das ist der einzige Ort, an dem ich alles rauslassen kann und so sein kann, wie ich bin.

Immer wieder versuchen Typen, mich anzutanzen, doch ich lasse mich auf keinen von ihnen ein und tanze nur für mich und mit mir. Meine Bewegungen passen perfekt zu den Liedern, die der DJ immer für mich spielt und ich genieße die dennoch kurze Zeit, bevor der Club schließt.

Langsam gehen die Lichter an und die Musik geht dem Ende zu. Liv ist immer noch nicht aufgetaucht, doch ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass sie noch vor dem Club steht und auf mich wartet. Ich leere mein Weinglas und hole meine Jacke. Draußen wuselt es nur so vor Menschen, die auf ein Taxi warten, jedoch keine Spur von Liv, weder ein Anruf noch eine Nachricht.

Anscheinend lief ihr Date wohl besser als erhofft. Es wird langsam kalt, klar, es ist November und obwohl die Temperaturen am Tag noch recht ungewöhnlich warm für diese Jahreszeit sind, ist es in der Nacht kalt. Es ist kurz nach vier und ich entschließe mich dazu, noch fünf Minuten zu warten, bevor ich mich auf den Weg nachhause mache. Ich starre auf den Bildschirm meines Handys, als mich einer der Typen, die an meiner Bar standen, anspricht.

„Wartest du auf jemanden? Brauchst du Gesellschaft?“, oh Gott, geht’s bitte noch auffälliger? Gleich kommt noch ein Spruch wie, deine Augen passen zu meiner Bettwäsche, kommst du mit und ich zeig sie dir? Nein danke, nicht mein Stil.

„Ja und nein.“, seine Freunde im Hintergrund tuscheln und rufen ihm zu, sich in das Taxi zu setzen, in dem schon einige von ihnen warten.

„Deine Freunde warten auf dich, du solltest los.“, sage ich und lächle in mit meinem etwas zu aufgesetzten Lächeln an.

„Meine Freunde interessieren mich nicht, die sind voll. Ich habe gefragt, ob ich mit dir warten soll, meine Freunde können auch alleine mit dem Taxi fahren, das schaffen die schon.“, er sieht mich mit seinen dunklen Augen an und ich kann meinen Blick nur schwer von ihm lösen. Mit seinen Löckchen sieht er aus, als hätte er seine letzten drei Friseurtermine verpasst, aber es steht ihm.

Hör auf sowas zu denken, du hast keine Zeit für irgendwelche dahergelaufenen Typen.

„Nein, du brauchst nicht mit mir zu warten, ich bin schon ein großes Mädchen. Auf deine Hilfe kann ich verzichten.“, ich schaue absichtlich weg, um nicht wieder in seine Augen sehen zu müssen.

Er macht sich auf den Weg zum Taxi, spricht mit seinen Freunden, macht ihnen die Tür zu und kommt erneut auf mich zu.

„Was machst du hier, kannst du nicht einfach weggehen? Ich brauche keine Gesellschaft, ich gehe jetzt nachhause.“, langsam etwas genervt von seinem Auftreten stehe ich mit den Händen in den Hüften vor ihm.

„Ich möchte nicht, dass du hier allein, umgeben von all diesen volltrunkenen, stehen musst. Um vier Uhr morgens sollte kein Mädchen wie du ohne Begleitung nachhause gehen.“
„Und ich möchte nicht von einem volltrunkenen Idioten heimgebracht werden, den ich überhaupt nicht kenne.“, ich fange an, loszugehen. Er folgt mir.

„Lass mich in Ruhe, ich brauche keine Gesellschaft“, rufe ich und strecke den Mittelfinger in die Höhe, in der Hoffnung, er versteht endlich, dass er hier nicht erwünscht ist. Gleichzeitig bekomme ich einen Anruf von Liv, den ich mit Freude annehme.

Doch zu meinem Enttäuschen wollte sie mir nur mitteilen, dass sie nicht zuhause ist, sondern bei dem Typen. Ich atme tief aus, packe meine Kopfhörer aus meiner Tasche, stöpsle sie in meine Ohren und gehe nachhause. Als ich mich nach dem ersten Lied umdrehe, ist er weg.

Endlich, denke ich mir und kann es kaum erwarten, mich endlich in mein Bett zu legen und endlich mal wieder auszuschlafen. Die Catering Firma, bei der ich ab und zu aushelfe, braucht mich morgen nicht und ich kann mich auf einen entspannten Sonntag freuen.

Als ich endlich zuhause ankomme, ist die Wohnung immer noch leer. Ich ziehe mich aus, gehe ins Badezimmer und fange an, mir die Zähne zu putzen.

So einen anstrengenden Typen hatte ich schon lange nicht mehr an der Backe. Warum will denn eigentlich nie einer von diesen Typen verstehen, dass ich nicht wie die meisten Mädels, die solche Clubs besuchen, auf ein One-Night-Stand aus bin und einfach nur meine Ruhe will.

Nachdem das mit Louis war, brauch ich keine Typen mehr, nicht solange ich mein Studium noch nicht abgeschlossen habe und mir eine eigene Existenz aufgebaut habe. Ich schminke mich ab und wasche mein Gesicht. Ich gehe in die kleine Küche, die mit ihren grünen Wänden schrecklich ausladend um halb fünf morgens aussieht und nehme mir ein Glas Wasser.

Louis ist mein Exfreund, der einzige, den ich jemals in mein Herz gelassen habe. Es war wie der Himmel auf Erden. Er hat mich zum glücklichsten Mädchen der Welt gemacht. Louis war romantisch, hat mich auf Händen getragen, mir so viele Dinge ermöglicht, die ich allein niemals geschafft hätte. Alles hätte so schön sein können. Bis zu dem Moment, kurz vor unserem einjährigen Jubiläum als er mich einfach so, ohne triftigen Grund abservierte. Natürlich war ich naiv, wie jede sechzehn Jährige. Ich ließ mich noch ein paar Wochen ausnutzen, wir verbrachten noch einige Nächte zusammen, ich kochte für ihn und es fühlt sich an, als wäre alles wieder wie vorher. Kurzerhand erfuhr ich dann von Finn, dass Louis bereits eine neue Freundin hatte, die jedoch weiter weg wohnt, deshalb hatte er freie Bahn und konnte mich noch weiter hinhalten. Es reichte mir, ich brachte ihm, noch in derselben Nacht, alle seine Sachen, die Bilder, die Geschenke, die er mir gekauft und gemacht hatte, Kleidung, stellte sie ihm vor die Tür und ging. Seitdem habe ich kein Wort mehr mit ihm gesprochen und das wird auch auf ewig so bleiben. Wochenlang ging es mir schlecht, ich wollte nicht essen, ich wollte nicht mehr zur Schule, ich wollte nicht mehr leben. Er hat es geschafft, mich zu brechen und ich schwöre mir seit diesem Zeitpunkt, niemandem mehr einfach so schnell in mein Leben und in mein Herz zu lassen.

Ich gehe in mein Schlafzimmer und lege mich ins Bett, doch sobald ich die Augen schließe, sehe ich immer noch diesen Typen mit seinen blöden braunen Augen und seinen blöden hellbraunen Löckchen. Lass mich schlafen Gehirn, bitte, nur heute.

Keine Chance, in meinem Kopf tummeln sich die Gedanken um ihn. Vielleicht wollte er auch nur höflich und freundlich sein? Vielleicht hatte dieser Typ keine bösen Hintergedanken und hat sich nur um mein Wohlergehen gesorgt? Nein, Quatsch, alle Typen sind gleich, Ausnahmen gibt’s da keine.

Beziehungsweise nur eine und das ist Finn. Aber Finn konnte mit seiner Freundlichkeit leider auch nur selten punkten, da die meisten Mädchen gleich ticken wie ich und auf sowas nicht reinfallen. Doch bei Finn ist das anders, er ist wirklich ein Typ, der keineswegs Freundlichkeit vortäuscht, sondern wirklich so ist.

Es dauert noch eine Zeit lang, bis ich schlafen kann, doch meine Gedanken kreisen weiterhin, selbst in meinen Träumen noch, um den Typen, den ich vielleicht mit Unrecht abgewiesen habe.


© CMK


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