Wind und Wurzeln

Wind und Wurzeln

Ein junger Wind, der Antworten suchte, flog durch die Weiten zu einem alten Baum.
Dieser schien vertrauensvoll zu sein und hörte bereitwillig die Gedanken an, welche der Wind ihm verriet. Ohne zu verschnaufen, in geschwindiger Eile stellte er fast ohne Begrüßung die Fragen, die ihn beschäftigten: „Wie schaffst du es Baum, deine Ruhe zu bewahren? Ich bin ständig auf Reisen. Bin hier und mal dort, bin unermüdlich rastlos, fliege von Ort zu Ort und bin mir nicht sicher, ob es sich lohnt zu verweilen. Wie schaffst du es Baum, dich nicht zu beeilen?“ Der Baum lauschte den eiligen fast stürmischen Fragen und Gedanken des jungen Windes. Leise raschelten seine Blätter und einige seiner Zweige wogen fast tänzerisch. Geruhsam, nicht hektisch und doch nicht ohne zu zögern, fing er an sich in die Fragen zu vertiefen. Im Wald hörte man leise aber wahrnehmbar das muntere Klingen von Vögeln. Wie natürliche Musik erschallen die Vogelgesänge und durchzwitscherten die Kronen und das Geäst. Ein Eichhörnchen raschelte unten auf dem Erdengrund zwischen den vielen jungen Pflanzen, Blättern und Kräutern und es war auf der Suche nach etwas Essbarem wie Nüssen und Wurzeln. Auch ein junges Reh durchwanderte behutsam das Waldgebiet und atmete, tief inhalierend, das Geatmete der Bäume. Der Baum holte tief Luft, atmete ein und atmete wieder in die Umluft hinein, sammelte sich für den Moment, um den Gedanken eine Form zu geben und sprach in ruhigem Ton:„Das was du bist, das habe ich nicht. Knoblauch schmeckt nicht süß, und eine Schnecke kann von selbst nicht fliegen. Meine Ruhe ist mir meine Verwurzelung. Weil ich verwurzelt, bin ich nicht rastlos. Weil ich nicht rastlos bin, haben meine Wurzeln Zeit Tiefe zu erlangen. Weil meine Wurzeln Tiefe erlangen, können kein Gewitter und kein Sturm mich entwurzeln, weil ich mit meinem Wurzelwerk nicht nur die Erde bestärke, sondern die Erde auch mich bestärkt. Meine Ruhe ist mir meine Verwurzelung und meine Wurzeln stärken mir meine Ruhe.“ Der Wind hörte aufmerksam die Rede des Baumes an, schien erstaunt über die wertvollen Worte zu sein und doch irgendwie nicht ganz zufrieden mit der Antwort. Er sprach:„Du bist ein Baum und hast Wurzeln, welche dir Ruhe geben. Ich bin ein Wind und wirbele, wehe und winde, fast ohne Unterlass. Ich habe keine Wurzeln, so wie ihr Bäume Wurzeln habt und deshalb finde ich keine Ruhe, deshalb bin ich so rastlos.“ Wiederum raschelten die Blätter an dem Baum, jedoch ein wenig lauter und nicht mehr unscheinbar. Die Zweige wippten nun ein wenig mehr, energischer, und deutlicher. Der Baum, von Natur ein leises Geschöpf atmete die frische Luft, die der Wind im mitbrachte und atmete sodann wieder in die Umluft hinein. Dann sprach der Baum:„Eine Pflanze kann von selbst nicht fliegen, aber ohne uns Pflanzen könnten die Tiere nicht leben. Sie atmen, weil wir atmen, sie atmen unseren Stoff, den wir der Luft geben. Sie essen manch Wurzeln und speisen die geschmackvollen Früchte von uns Pflanzen. Zum Teil, da speisen sie auch Pilze, die Fruchtkörper von dem untergründigen Pilzmyzel. Sie wohnen in den Wäldern, wo auch wir Pflanzen beheimatet sind. Pflanzenmaterie ist aber wichtig, gleichsam elementar für die materielle Beschaffenheit der Tiere, für geformte und belebte Materie, welche Vorher in Pflanzen gewesen ist. Eine Pflanze kann von selbst nicht fliegen, aber ohne uns Pflanzen könnten die Vögel nicht schweben. Wenn du nun sagst, du hast keine Wurzeln, dann frag dich doch lieber: Was sind deine Wurzeln?“ Der Wind schien verwundert zu sein, weil er die Frage nicht kannte. Ein Wind mit Wurzeln? Welche Wurzeln haben denn Winde? In was sind Winde denn verwurzelt? Gibt es überhaupt verwurzelte Winde? Was soll das sein? Macht das überhaupt Sinn? Wind und Wurzeln? Der junge Wind ergründete und wendete die Fragen in Gedanken, um eine Antwort zu finden. Er drehte und wendete sich, die Fragen kreisten in sich als er plötzlich innehielt und tief zu atmen begann. Man hörte wieder Vogelgezwitscher zwischen den Bäumen und eine gemütliche Eule klang zwischendurch in nicht weiter Ferne. Der Wind inhalierte den frischen Atem, der von dem Baum geatmet wurde, holte tief Luft und sammelte seine Gedanken. Dann sprach er leise, weil ungewiss: „Die Wurzeln des Windes sind nicht sichtbare Wurzeln. Die Wurzeln der Winde wurzeln in Luft. Die Luft ist mir mein Verwurzelungsgrund, in der Luft fühl ich mich gesund. Ich muss gar nicht rastlos sein, sondern kann meiner Verwurzelung vertrauen, ich muss gar nicht von Ort zu Ort geschwind, wie ein getriebener Wind, ich kann auch verweilen, muss mich nicht ständig beeilen, kann auch sein wie die Luft, weil ich es bin.“ Danke vielmals. Alexej


© Alexej


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