Der Tag war viel zu heiß und viel zu schwül. Ein Sommertag, der es leid war ein Sommertag zu sein und auf den erlösenden Regen sehnsuchtsvoll und dampfend wartete. Sie war noch ein Kind. Ihr weißes Kleid klebte schweißnass an ihren viel zu dünnen Beinen und ihre hellbraunen Haare lösten sich aus dem Pferdeschwanz und kräuselten sich in ihrem Nacken in der schweren Luftfeuchtigkeit. Sie standen Rücken an Rücken und blickten beide in entgegengesetzte Richtungen die breite mit Bäumen gesäumte Straße hinunter. Seine etwas größeren Hände hielten die ihren umklammert. Und sie warteten. Warteten bis das Auto kam, dass ihn abholen sollte. Und sie zurück lassen würde. Wer den Wagen zuerst sah, würde gewinnen. Ein letztes Spiel. Beide verdammt, am Ende Verlierer zu bleiben. Sie konnten sich nicht anblicken. Sie wussten beide, dass der Abschied ihnen nur noch schwerer fallen würde. Stattdessen standen sie still und stumm in der Hitze und spielten ihr letztes Spiel. Mit jeder verstreichenden Minute brannten Lias Augen unerträglicher. Es war nicht die Sonne, die ihre Augen zum Tränen brachte. Es war ein Schmerz. Ein Schmerz, den sie zu diesem Zeitpunkt nicht verstand. Sie verstand nicht, warum ihr das Atmen schwer viel und ihr Herz wie wild gegen ihren auf einmal so engen Brustkorp hämmerte. Sie verstand nicht, dass wenn das Auto kam, sie den Jungen, der ihre schmalen Hände umklammert hielt, für eine wohl sehr sehr lange Zeit nicht mehr sehen würde. Nun, vielleicht verstand sie es ja auch. Tief in ihrem kindlichen Inneren. Aber sie wollte es nicht.

„Lia?“ Sie spürte seinen Brustkorb an ihrem Rücken vibrieren, als er sprach und mit seiner leisen Stimme die Stille durchbrach. Sie wünschte er hätte es gelassen. Einfach nichts mehr gesagt. Bis zum bitteren Ende. „Du musst mir etwas versprechen.“

„Was denn?“

„Versprich mir, dass du nicht auf mich wartest!“

„Warum?“ Ihre Stimme fing an zu zittern.

„Dann vergeht die Zeit viel schneller.“

"Ich möchte aber auf dich warten"

Er seufzte. "Dann lass uns ein Spiel spielen."

"Aber wir spielen doch gerade unser letztes."

"Ein Spiel nach dem letzten Spiel." Er drückte ihre Hände. "Spielregeln: du wartest nicht auf mich und ich beeile mich so schnell wie möglich zurück zu kommen."

"Das ist ein dummes Spiel. Und wie gewinnt man dann?"

"Wenn du nicht auf mich wartest und ich dann schneller wieder bei dir bin, haben wir doch beide gewonnen!"

Oder beide verloren. Dann kam das Auto. Schwarz und dunkel. Lia hatte es leider zurest gesehen. Das letzte Spiel hatte sie gewonnen. Er stieg ein und verschwand. Melia stand da und starrte ihm hinterher. Sie konnte sich nicht von der Stelle bewegen. Sie stand immer noch da, als die Wolken sich über ihr entluden. Sie stand noch da, als es dunkel wurde. Und sie wartete.


© Camellia


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Beschreibung des Autors zu "Melia- Ein Spiel nach dem letzten Spiel"

Rückblickende Szene aus einer Geschichte über Melia, die versucht ihr Leben in der Gegenwart zu meistern und immer noch auf den Jungen aus ihrer Vergangenheit wartet...




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