„Nüchterne“ Selbstbetrachtung (aus der Sicht eines NaRRzisten)

© Alf Glocker

Einst stand ich wirklich voll auf Frauen, sie fühlten sich so herrlich an, sie waren so schön anzuschauen – genau das Rechte für den Mann! Dann kümmerte ich mich um die Männer, mit ihnen konnte ich gut reden, als Philosoph und Welten-Kenner… Natürlich meinte ich nicht jeden! Ich wurde quasi geistig schwul, ich wandte mich von der Liebe ab! Das fand ich ausgesprochen cool, doch das war’s nicht, was ich mir gab… Denn mir gab ich zuletzt die ganze, die volle Liebe – ungehemmt! Vom Scheitel bis hinab zum Schw…, im Anzug und ganz ohne Hemd!

Und was ist dann passiert?

Ganz einfach: zuerst war ich andauernd verletzt. Nein, nein, nicht weil ich mich etwa enttäuscht hätte – es waren die vielen Spiegel! Immer wenn ich einen erblickte, lief ich euphorisch auf ihn zu, um mich zu küssen! Man kann sich vorstellen wie das ausging… Alle zerbrachen! Die Scherben sausten nur so an mir vorbei.

Meistens zerschnitt ich mir dabei die Lippen, oder ein Stück von seinem Glas steckte in meinen Wangen. Das konnte mich jedoch nicht beirren: ich fand mich einfach unwiderstehlich! An einem Badesee oder in einer Badeanstalt durfte ich mich schon gar nicht mehr sehen lassen. Denn kaum hatte ich mein Konterfei, meine Gestalt, im glänzenden Nass entdeckt, fing ich auch schon an, mich hemmungslos zu streicheln.

Einmal landete ich, nach einem solchen Auftritt, sogar im Gefängnis – für eine Nacht, versteht sich. Am nächsten Morgen entließ man mich, einerseits schmunzelnd, andererseits misstrauisch, musste sich jedoch eingestehen, so einen komischen Vogel noch niemals vorher gesehen zu haben. Manche wünschten sich unverschämterweise sogar, auch niemals nachher etwas Vergleichbares erblicken zu müssen, denn im Grunde war ich den meisten unheimlich!

Warum?

Nun, natürlich liebte sich jeder mindestens so sehr wie seinen Nächsten. Manche gaben sogar zu, sich noch ein bisschen mehr zu lieben. Aber meine Eigenliebe stellte sie alle komplett in den Schatten! Kein Wunder also, daß sie neidisch waren. Und dabei bin ich gar kein instinktgetriebenes Individuum. Ich bin eher feinsinnig, rücksichtsvoll und mitfühlend. Doch, bei der Eigenliebe hört der Spaß eben für mich auf, da gibt es nur ein Idol: mich selbst! Das ist völlig alternativlos.

Ich bin Schlauer, als eine Frau schön sein kann, zartgliedriger als der stärkste Adonis der Welt und intuitiver als alle versauten Hexen, diesseits und jenseits von Gut und Böse. Was will ich mehr?! Mit mir kann ich zufrieden sein, wie mit niemandem sonst! Seit längerer Zeit habe ich daher keine Spiegel mehr im Haus. Dazu achte ich auf eine gleichmäßige Ausleuchtung der Wohnräume. Das Licht setzt, von allen Seiten, bei aufkommender Dämmerung automatisch ein, um nicht etwa die Andeutung eines Schattens entstehen zu lassen. Denn auch mein Schatten wirkt erotisch auf mich.

Würde ich einen solchen entdecken, ich würde mit dem Kopf, beispielweise durch die Wand rennen, nur um mich selbst zu erreichen, damit ich mich endlich gebührend verwöhnen kann. Das habe ich mir sauer verdient. Jahrelang habe ich mich ausgiebig bewundert. Das ist sehr anstrengend, denn dieser Bewunderung muss alles angepasst werden: mein federnder Gang, die stolze Haltung, das erhobene Haupt, die dezenten Handbewegungen, die mehr andeuten als ein anderer Mensch überhaupt aussprechen kann. Das muss man erst einmal durchhalten können!

So find‘ ich mich berauschend gut! Ich kann nicht aufhör’n mich zu loben. In meinen Adern: gold’nes Blut! Ich steh‘ als Wesen ganz weit oben! Und kommt mir einmal wer zu nah, dann rümpf‘ ich meine edle Nase – ob Bauernlümmel, Padischah, für mich sind alle Luft, wie Blase! Mein Körper ist der Hochaltar, vor dem ich Leben zelebriere – und trotzdem nur mein Avatar: er steht für mich auf Erden Schmiere! Damit mein Geist, entrückt und wirr, sich hier ergehen kann und lieben. Wir sind das Traumpaar, reichlich irr – der Wahrheit sind wir fern geblieben!


© Alf Glocker


3 Lesern gefällt dieser Text.




Diesen Text als PDF downloaden




Kommentare zu "„Nüchterne“ Selbstbetrachtung (aus der Sicht eines NaRRzisten)"

Re: „Nüchterne“ Selbstbetrachtung (aus der Sicht eines NaRRzisten)

Autor: Alf Glocker   Datum: 08.12.2018 11:00 Uhr

Kommentar: Du hast "aus der Sicht" überlesen
und
"der Wahrheit ferngeblieben"
aber
vielen Dank für Deine guten Gedanken...

LG Alf

Kommentar schreiben zu "„Nüchterne“ Selbstbetrachtung (aus der Sicht eines NaRRzisten)"

Möchten Sie dem Autor einen Kommentar hinterlassen? Dann Loggen Sie sich ein oder Registrieren Sie sich in unserem Netzwerk.