Italien ist mein absolutes Lieblingsland. Schon als Kind war ich mit meinen Eltern jedes Jahr im Sommer am Gardasse, in Jesolo oder in Rimini. In der Zwischenzeit habe ich alle wichtigen Kulturstätten von Florenz über Rom bis Neapel besucht.

Natürlich bin ich auch Fan der kulinarischen Spezialitäten dieses Staates. Es trifft sich gut, das es in der Nähe meiner jetzigen Wohnung eine kleine Pizzeria mit dem schönen Namen „Vesuvio“ gibt. Da ich keine Lust habe, selbst für mich zu kochen, verkehre ich fast täglich in diesem Lokal und habe schon nahezu alle Angebote der Speisekarte durchprobiert.

Der Padrone Dino und seine ausladende Gemahlin Francesca haben mich in ihr Herz geschlossen. Sie besitzen eine glutäugige Tochter, die auf den schönen Namen Giovanna getauft wurde, aber von allen nur Vanna gerufen wird. Auch dieses Töchterchen hat ein Auge auf mich geworfen, obwohl ich vom Aussehen her wohl überhaupt nicht zu ihr passe. Ich bin groß und hager, außerdem blond. Vanna kommt eher nach der Mama und hat sehr langes, pechschwarzes Haar, das ihr hinten bis auf die prallen Popo-Bäckchen fällt.

Die Tochter setzt sich ihren Eltern gegenüber grundsätzlichn immer durch. Sie lassen ihr alles zu. Als sie ihnen erklärt, sie wolle mich zum Freund und später zum Ehemann haben, stimmen ihrem Plan notgedrungen alle bei, einschließlich mir.

„Hör zu, Norbert,“ spricht der Papa eines Abends zwischen dem Hauptgang und dem Nachtisch, „du kannst Giovanna gerne freien, wenn du es ernst mit ihr meinst. Aber es gibt bei uns einen alten Brauch in der Familie: die Braut muss immer als Jungfrau in die Ehe gehen, das verlangt unsere Ehre. Dann, und wirklich nur dann, erhält sie von unserer großen Verwandtschaft eine fürstliche Mitgift ausbezahlt. Ihr könntet euch von dem Geld eine Villa kaufen.“

Natürlich werde ich da sofort hellhörig. „Hör zu, Dino,“ antworte ich dem besorgten Vater, „Vanna ist die Sonne meines Herzens. Es gäbe nichts schöneres für mich, als in eure freundliche Familie einzuheiraten. Ich liebe euch Italiener. Ach ja, Dino, und was passiert eigentlich, wenn Giovanna bis zur Hochzeit ihre Jungfernschaft verloren hat?“

„Stupido, Norbert, dann wird keine Heirat stattfinden. Giovanna wird von der Familie verstoßen und ein verwandter Dottore von uns wird dir im Zuge der Vendetta die Testikel abschneiden. Dieser Arzt, ein weiterer verwandter Pastore und eine alte Tante bilden auch den Rat, der vor der Hochzeit begutachtet, ob Vanna ihr Jungfernhäutchen noch an der richtigen Stelle sitzen hat. Danach richten wir hier im Lokal die Festa aus, ihr müsst einen Brautwalzer tanzen und dabei werfen dann alle eingeladenen Verwandten jede Menge Geldscheine auf euch, in der Regel 200-Euro-Banknoten. Soweit zur Tradition. Willst du nun meine Tochter haben, Genero?“

„Ja, ich will,“ sage ich.

Vanna geht jetzt ein paarmal mit mir zum Tanzen. Bei ihrem Temperament bleibt dabei nicht aus, dass sie zwei Wochen später schwanger ist.

„Hör zu, Norbert,“ sagt sie zu mir, „das ist kein Problem, wenn wir die Hochzeitszeremonie durchführen, bevor man mir die Schwangerschaft ansieht.“ „Sonne meines Herzens, und was ist mit dem Rat, der das begutachtet?“ „Va bene, Norbert, da gibt es schon seit altersher ein paar Kniffe, um diese unangenehmen Bräuche zu umgehen. Lass mich nur machen, Favorito.“

Bis Dino und Francesca endlich das Hochzeits-Menue vorbereiten können, hat ihr Töchterchen schon eine gewaltige Kugel unter dem Herzen hängen. Trotzdem findet seltsamerweise alles wie geplant statt. Der verwandte Rats-Priester traut uns in einer katholischen Kirche und anschließend tanzen wir dann im „Vesuvio“ den angekündigten Brautwalzer.

Es sind allerdings nur ein paar wenige Gäste anwesend und die Zeremonie mit den Geldscheinen fällt meines Erachtens nach äußerst dürftig aus. Ein Häuschen scheint da weiß Gott wohl nicht drin.

„Sonne meines Herzens,“ spreche ich zu meiner frisch Angetrauten, „das habe ich mir aber schon ein bisschen anders vorgestellt.“

„Marito mio,“ klärt mich da Vanna auf, „ich musste sehr vieles tun, um deine Testikel zu retten, die nun mal auch noch weitere Kinder mit mir zeugen sollen. So musste ich mich zur Bestechnung sowohl dem Arzt als auch dem Priester hingeben. Schwieriger jedoch wurde es, beide zu überzeugen, dem Wunsch der alten Tante nachzukommen und auch diese sexuell zu bedrängen. Das kostete jede Menge Bestechungsgeld, und das habe ich im Vorgriff von meiner italienischen Verwandtschaft eingefordert. Natürlich wusste dann gleich jeder, was abgeht, und deshalb sind auch nicht mehr sehr viele hierher gekommen.“


© bruddlsupp


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Beschreibung des Autors zu "O SOLE MIO"

Alte Traditionen soll man wahren.

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