Charly / Teil 2

Mit Tränen in den Augen sah sie aus dem Fenster, sie würde gehen. Jetzt! Ihr Vorhaben duldete keinen Aufschub mehr. Und nach dem gestrigen Tag konnte sie sowieso nicht mehr bleiben. Sie waren schweigend zurück gefahren, jeder hing seinen Gedanken nach. Wortlos ging Charly auf ihr Zimmer und blieb dort für den Rest des Tages. Gegen Abend hatte Marc vorsichtig an ihre Zimmertür geklopft um sie zu fragen ob sie nicht eine Kleinigkeit essen wolle, doch Charly stellte sich schlafend. Sie ertrug seine Gegenwart nicht. Immer noch spürte sie den leichten Druck seiner Lippen auf den ihren, es hatte sich so gut angefühlt in seinen Armen zu liegen. Seine Küsse waren voller Leidenschaft und sie wollte sich einfach nur fallen lassen, aber genau dieses Gefühl hatte sie schon einmal und es hatte sie in ihre jetzige Lage gebracht. Unmöglich nochmal den gleichen Fehler zu machen.
Sie seufzte, es wurde Zeit. Der Tag brach langsam heran, die Sonne ging auf und tauchte die Umgebung in ein wundervolles Licht. Der Himmel leuchtete in einem intensiven orange, die Vögel begannen ihren morgendlichen Gesang und der Wald erwachte zum Leben.
Charly würde das hier vermissen, sie würde Marc vermissen. Sie wischte sich die Tränen aus den Augen, nahm ihre Tasche und verließ leise das Haus. Sie wollte Marc auf keinen Fall aufwecken, sie würde ihn bei Gelegenheit anrufen um sich nochmal für alles zu bedanken, aber jetzt wollte sie nur verschwinden.

Ihr Auto stand inzwischen repariert vorm Haus, Charly stellte ihre Tasche ab und wühlte in ihrer Jackentasche nach dem Autoschlüssel, doch ihre Taschen waren leer.
“Suchst du das hier?” ertönte hinter ihr eine Stimme.
Sie drehte sich um und sah Marc auf der Veranda stehen, er hielt einen Autoschlüssel in die Höhe und sah sie wütend an.
Für einen kurzen Moment schloss sie die Augen, sie atmete tief ein, bevor sie auf ihn zuging.
“verdammt Marc” fuhr sie ihn an, “Du kannst mich hier doch nicht einsperren, ich muss gehen und ich werde jetzt gehen… gib mir den Schlüssel!” fordernd streckte sie ihre Hand aus.
Marc seufzte resigniert und ließ den Schlüssel in ihre Hand fallen.
“Du wolltest einfach so gehen? Ohne ein weiteres Wort?”
Charly schluckte, eigentlich würde sie gern bei ihm bleiben, doch das funktionierte nun mal nicht, also nickte sie, obwohl ihre Zustimmung eine Lüge war.
“Es tut mir leid, aber ich muss endlich los. Ich danke dir für alles was du für mich getan hast.” sie versuchte ihn an zu lächeln, befürchtete jedoch das es ihr gründlich misslang. Sie drehte sich um und ging zu ihrem Auto, sie schloß die Fahrertür auf, öffnete den Kofferraum und wollte ihre Reisetasche gerade verstauen, als sie Marcs Stimme vernahm.
“Charly!” sie drehte sich zu ihm um, “Pass auf dich auf.” er kam ein paar Schritte auf sie zu.
Sie lächelte ihm zu und hob ihre Reisetasche an, Charly hörte ein lautes Knirschen als die untere Naht am Taschenboden riss und der gesamte Inhalt sich direkt vor ihrem Auto auf die Auffahrt ergoss.
-Oh nein- dachte sie noch kurz, sie kniete sich hin und versuchte so schnell wie möglich alles wieder einzusammeln, doch es war bereits zu spät. Marc kniete neben ihr und sah sie geschockt an.
“Charly… ich lasse dich nirgendwohin gehen, bevor du mir das hier nicht erklärt hast.” in der Hand hielt er die Pistole, die aus Charlys Tasche gefallen war.
“Gib mir das! Das geht dich überhaupt nichts an!” zischte sie und versuchte, ihm die Waffe zu entreißen, was ihr jedoch misslang.
“Charly, das hier ist kein Witz! Ich werde dich nicht mit einer Waffe im Gepäck durch die Gegend fahren lassen, nicht so lange du keine plausible Erklärung dafür hast.” er erhob sich und zog Charly mit sich auf die Beine.
Charly schossen Tränen in die Augen.
“Was soll das? Gib sie mir… “ sagte sie schwach, bevor sie in Tränen ausbrach und sich in Marcs Ame fallen ließ.
“Komm!” er zog sie mit sich ins Haus, gemeinsam betraten sie das Wohnzimmer, wo Marc Charly auf der Couch platzierte, die Waffe legte er in einigem Abstand von ihr, vorsichtig auf den Tisch.

“Charly, bitte erklär mir das!”
Sie verbarg ihr Gesicht in ihren Händen und weinte, alles was sie so lange in sich vergraben hatte, kam jetzt an die Oberfläche. Alles was in ihr gärte kam zum vorschein, Wut und Trauer bahnten sich ihren Weg. Marc ließ sie weinen und wartete geduldig bis Charly soweit war.
“Sie ist doch nur zu meinem Schutz.” wagte Charly noch einen letzten Versuch, sich raus zu reden.
“Das ist eine großkalibrige Waffe Charly, so etwas trägt man nicht in seiner Handtasche zum Schutz mit sich rum.” er schüttelte leicht den Kopf.
Charly seufzte und putzte sich die Nase.
“Okay”, sagte sie resigniert, “ sie ist nicht nur zu meinem Schutz. Ich wollte nach New York um dort David zu treffen. Er… er… “, sie stockte kurz, bevor sie weiter sprach, “wir waren zusammen, obwohl sich das für mich inzwischen wie Hohn anhört.” verbittert lachte sie auf. “Mein Vater ist Inhaber einer Weinkellerei und David ist der Sohn seines größten Mitbewerbers, wobei man schon von einer echten Fehde sprechen könnte, die sich seit Generationen hinzieht, ich glaube niemand weiß inzwischen mehr worum es da ursprünglich ging. David und ich lernten uns bei einer Weinprobe kennen und ich verliebte mich sofort in ihn. Mein Vater hieß diese Beziehung nie gut und er mied es uns zusammen zu sehen, hielt mich aus allen Geschäften raus, aus Angst ich könnte Internas weiter tragen. Es war sehr schwer für mich zwischen meinem Vater und David zu stehen, aber ich war halt blind vor Liebe und habe alle guten Ratschläge meines Vaters ignoriert. Heute wünschte ich, ich hätte auf ihn gehört.” Charly rang die Hände und die Tränen begannen erneut zu fliessen. “Nach ein paar Monaten stellte ich fest, das ich schwanger war. Es war zwar absolut ungeplant, aber ich freute mich dennoch, ich dachte unsere Liebe sei stark genug. Ich war so naiv.” Charly fuhr sich durch die Haare, sie hatte noch nie mit jemandem über das Erlebte gesprochen, doch sie merkte, dass es gut tat und so redete sie weiter, “ich war voller Freude und erzählte David, dass er bald Vater werden würde, doch seine Reaktion war anders als ich erwartet hatte. Er lachte nur und sagte mir, dass er sicher keine Familie mit mir gründen würde, das er inzwischen die Infos hätte, die er brauchte und das ich keinen Wert mehr für ihn hätte.” Charly begann wieder zu schluchzen, bei der Erinnerung an dieses schmerzhafte Erlebnis. Marc schluckte, sagte jedoch nichts und ließ sie einfach weiter reden.
“Ich dachte, ich würde es auch ohne ihn schaffen, da wuchs ein kleines Leben in mir, ich hätte mich nicht dagegen entscheiden können. Ein paar Tage später erschien er bei mir und fragte mich, ob ich das “Problem” schon beseitigt hätte. Ich versuchte ihm klar zu machen, das ich dieses Kind bekommen wollte, doch er wollte davon nichts hören und wurde handgreiflich. Er packte mich und schleuderte mich durch den Raum, er ist viel kräftiger und größer als ich, ich konnte nichts gegen ihn ausrichten.” sagte sie, wie um sich zu entschuldigen.
“Meine Güte Charly.” sagte Marc leise, er setzte sich neben sie und nahm sie einfach in seine Arme, dankbar ließ Charly sich festhalten, sie schluchzte in sein Shirt, bevor sie weitersprach.
“Ich weiß nicht ob es daran lag, dass er mich so grob behandelt hat, oder am Streß, oder an allem zusammen, jedenfalls verlor ich das Baby ein paar Tage später. Ich lag im Krankenhaus und mein Vater kam um mich zu besuchen. Ich war so froh ihn zu sehen, ich dachte, jetzt würde alles gut werden. Doch mein Vater sagte mir, er hätte nie einen “Caine-Bastard” so drückte er sich aus, in der Familie akzeptiert und ab dem heutigen Tage hätte er auch keine Tochter mehr. Ich hätte mich mit einem Caine eingelassen, nun müsste ich die Konsequenzen tragen. Ich werde nie seinen kalten Blick vergessen. Seit diesem Tag bin ich allein. Ich bin wochenlang durch die Gegend gefahren, bin nie lange irgendwo geblieben und langsam wuchs der Wunsch in mir, mich zu rächen. Ich wollte David auch alles nehmen! Ich weiß das er noch bis Monatsende in New York ist, danach reist er nach Frankreich. Er soll für das bezahlen was er mir angetan hat.”
“Charly… du… du wolltest tatsächlich jemanden umbringen? Meine Güte!” Marc war wie vom Donner gerührt!
Charly sah ihn an, “Ja, ich werde sein Leben ebenfalls zerstören.” Marc erschrak als er diese Entschlossenheit in ihren Augen sah.
Er zog sie fester an sich und streichelte sanft ihren Rücken und ihr Haar.
“Charly, kein Mensch ist es Wert, dass du dein Leben für ihn wegwirfst.”
“Ich hab doch nichts mehr zu verlieren.” sagte sie leise.
Marc seufzte, er setzte sich ganz aufs Sofa und zog Charly mit sich, sie zog die Beine an und kuschelte sich an seinen Oberkörper, sie legte ihre Hände um seinen Bauch und schmiegte sich an ihn. Sie fühlte sich ausgelaugt und erschöpft, ihm ihre Geschichte zu erzählen, hatte sie doch einiges an Kraft gekostet, jetzt fühlte sie sich erleichtert, sie fühlte seine Hände auf ihrem Rücken und in ihrem Haar und sie entspannte sich, sie schloß die Augen und war sich seiner Nähe durch und durch bewusst, sie fühlte sich sicher und geborgen in seinen Armen.
Marc lehnte den Kopf zurück, er hielt sie fest, das war alles was er momentan für sie tun konnte, einfach da sein. Er hatte sich längst in sie verliebt, doch nachdem was sie ihm da gerade erzählt hatte, war es wohl besser sich ein wenig zurück zu halten, er musste ihr Zeit geben um Vertrauen zu fassen, denn das war wohl bis ins Mark erschüttert worden.
Sie war so verzweifelt, das sie geplant hatte jemanden umzubringen, das musste er erstmal verdauen, er sah sie an, wie sie so auf seinem Oberkörper lag und die Augen geschlossen hatte, sie sah so verloren aus und er verspürte einfach nur den Wunsch sie zu beschützen.
Er lauschte ihrem Atem, nach einer Weile war er sicher das sie eingeschlafen war, behutsam löste er ihre Arme, die sie um ihn geschlungen hatte, er erhob sich vorsichtig, deckte sie zu und ließ sie schlafen.


© Kimsophie74


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