Charly / Teil 1

“Verdammt” rief Charly dem vorbeifahrenden Auto nach bevor es in der Dunkelheit verschwand, sie griff seufzend nach ihrer Reisetasche und machte sich querfeldein auf den Weg. Es war Nacht, es regnete in strömen und ausgerechnet jetzt hatte ihr Auto beschlossen mitten im Nirgendwo liegen zu bleiben, sie war auf dem Weg von Bangor nach New York, sie hatte keine Ahnung wo genau sie sich befand. Ihr Handy hatte hier keinen Empfang, also blieb ihr nichts anderes übrig als einfach los zu laufen.
Sie wusste nicht wie lange sie schon unterwegs war, sie war völlig durchnässt, ihre Kleider klebten an ihrem Körper, die langen Haare hingen in nassen Strähnen in ihr Gesicht und ihr Rücken schmerzte vom Gewicht der Tasche, als sie endlich, in einiger Entfernung einen Lichtschein sah.
Sie nahm all ihre Kräfte zusammen und ging darauf zu.
-du schaffst das- sagte sie sich bei jedem Schritt -geh einfach weiter-
Völlig erschöpft erreichte sie ein Haus, sie schleppte sich die Verandastufen hoch und klopfte an die Haustür.
Nach einer gefühlten Ewigkeit wurde die Tür geöffnet.
“Es tut mir leid… mein Auto ist… liegengeblieben… ich… “ -bräuchte ein Telefon- wollte sie sagen, doch sie konnte den Satz nicht beenden, da eine erlösende Schwärze sie umhüllte und sie Kälte und Schmerz vergessen ließ.

“Auf keinen Fall… mindestens 10 Tage… “ wie aus weiter Ferne vernahm Charly eine tiefe, beruhigende Männerstimme.
Sie öffnete langsam die Augen und sah sich um, sie lag in einem großen rustikalen Bett in einem hellen, freundlichen Raum. Die Sonne schien und die Vögel sangen um die Wette.
Sie versuchte sich zu erinnern was passiert war, aber sie wusste nur noch das ihr Auto liegen geblieben war, danach war alles wie in einem Nebel.
Ihr Kopf schmerzte und ihr war heiß.
Ihr Blick ging nach rechts und sie sah zwei Männer, die sich leise unterhielten. einer von Ihnen hatte graues Haar und einen Vollbart, er war klein und etwas untersetzt, er legte gerade seine Hand auf den Unterarm des anderen Mannes und redete eindringlich auf ihn ein. Den anderen Mann sah sie nur von hinten, er war sehr groß und breitschultrig, er hatte schwarzes, wild zerzaustes Haar, trug eine Jeans und ein weißes T-Shirt, sein Alter konnte sie aus diesem Blickwinkel schlecht schätzen.
Charly wollte sich gerade bemerkbar machen, als beide Männer den Raum verließen, Sie versuchte sich aufzusetzen, doch sobald sie den Kopf hob wurde ihr schwindelig, so dass sie sich wieder in die Kissen zurücksinken ließ.
Sie bemerkte das sie ihre Kleider nicht mehr trug, sie hatte ein T-Shirt an und sonst, bis auf ihre Unterwäsche, nichts.
-wer hat mich ausgezogen- sie wurde rot bei dem Gedanken daran, dass einer der beiden Männer ihr die Kleider ausgezogen hatte.
- was ist nur passiert? Wo bin ich hier gelandet?- dachte sie.
Sie zuckte zusammen, als der jüngere Mann, den Raum wieder betrat und zog sich die Decke bis zum Kinn.
“Hey… du bist ja endlich wach.” freundlich lächelte er sie an. Er zog sich einen Stuhl ans Bett und nahm darauf Platz.
“Ich… “ wollte Charly beginnen, sie verzog schmerzverzerrt das Gesicht und legte die Hand auf ihren Hals, sie hatte grauenvolle Halsschmerzen beim sprechen.
“Du solltest nicht soviel sprechen, dich hat es ganz schön erwischt. Der Doc war gerade hier und hat nach dir geschaut, du hast eine eitrige Mandelentzündung und es sieht leider auch nach einer Lungenentzündung aus.”
Charly schluckte schwer “was… “ begann sie vorsichtig, “was ist passiert?”
“Naja, du hast gestern am späten Abend bei mir an die Tür geklopft, doch ehe du etwas sagen konntest hast du das Bewusstsein verloren, ich habe den Doc gerufen, der sofort kam und nach dir gesehen hat, er meinte, das Beste wäre, dich erstmal ausschlafen zu lassen, er war gerade nochmal hier, du solltest ein Antibiotikum bekommen, aber ohne zu wissen ob du eventuell allergisch bist, wollte er dir nichts geben, er hat mir geraten dich in die Klinik nach Portland zu bringen, doch ich wollte warten bis du wach bist.”
Charly schüttelte den Kopf, so etwas konnte auch nur ihr passieren.
“nicht allergisch…” brachte sie leise raus.
“Das ist gut, dann kann ich dem Doc Bescheid sagen. Am Besten du ruhst dich einfach aus, ich bringe dir gleich etwas zu trinken.
Er wollte aufstehen, doch Charly legte ihre Hand auf seine.
“wie lange bin ich schon hier? Wo sind wir hier überhaupt?” er lächelte sie an.
“Ich hole dir erstmal Wasser und dann können wir uns weiter unterhalten” er erhob sich und verließ den Raum.
Charly legte sich eine Hand auf die Stirn, sie glühte förmlich, sie fühlte sich müde und schwach, doch sie wollte unbedingt wissen, wie lange sie schon hier war, sie musste doch unbedingt nach New York.
“Danke.” sagte sie leise, als ihr Gastgeber ihr ein Glas Wasser reichte, mit seiner Hilfe richtete sie sich etwas auf und nahm einen kleinen Schluck, das Schlucken schmerzte zwar sehr, doch sie merkte auch jetzt erst wie durstig sie war.
Sie sah den Mann das erste mal genauer an, sie schätzte ihn so um die 40, er war sonnengebräunt und sein Körperbau sehr athletisch, seine dunkelbraunen Augen waren fast schwarz, er hatte Grübchen, wenn er lächelte und ein sehr markantes Kinn…. mit anderen Worten, er sah fantastisch aus.
Sie musste ein wenig lächeln, wenn ihr so etwas auffiel, dann konnte sie ja gar nicht so krank sein.
“Warum lächelst du?” fragte er und lächelte zurück. Charly schüttelte nur leicht den Kopf.
“Um auf deine Fragen zurück zu kommen, du hast jetzt 17 Stunden geschlafen und wir sind ca. 80 Meilen vor Portland, dieses Haus ist ein altes Farmhaus, ich lebe hier allein, du kannst also so lange bleiben wie du möchtest. Ich heiße übrigens Marc.”
“Charlotte... Charly.” krächzte Charly, “ich muss… nach New York… dringend.” sie wollte aufstehen, doch Marc sprang auf und drückte sie sanft zurück in die Kissen.
“Wow… nicht so hastig. Bis New York ist es noch ein Stück, das wirst du in deinem Zustand wohl kaum schaffen, der Doc meint, zehn Tage solltest du mindestens im Bett bleiben, du kannst natürlich auch ins Krankenhaus, dann sorge ich für den Transport, aber wie gesagt, du kannst auch gern hier bleiben. Soll ich in New York jemanden für dich anrufen?”
Charly schüttelte den Kopf. “Mich vermisst niemand.” sagte sie leise und mehr zu sich selbst.
Marc sah sie an, das war wirklich verrückt, er verbrachte ein oder zwei Wochenenden im Monat in diesem Haus um vom stressigen Arbeitsalltag Abstand zu gewinnen und genau dann klopft es an seiner Tür und diese wunderschöne Frau fällt ihm praktisch in die Arme, klatschnass und bewusstlos zwar, aber da war sie und er wusste nicht so recht, wie er mit der Situation umgehen sollte.
“Hast du mich ausgezogen?” fragte sie ihn und sie spürte wie ihr die Röte in die Wangen schoss.
Er zuckte mit den Schultern und kratzte sich verlegen am Kopf.
“Du warst nass bis auf die Knochen, “ er räusperte sich, “ausser mir war niemand hier, der das hätte tun können.”
“Okay, “ Charly nickte, “wo ist meine Tasche?” suchend sah sie sich um.
“Die habe ich ins Bad gestellt.” er zeigte auf die Tür zum angrenzenden Badezimmer.
wieder nickte Charly “Danke für deine Hilfe.” sagte sie leise, bevor sie die Augen wieder schloss, sie spürte noch, wie er seine Hand auf ihre Stirn legte, sie fühlte sich angenehm kühl an, dann fiel sie in einen unruhigen Schlaf.

Als Charly einige Zeit später erwachte, hatte die Dämmerung bereits eingesetzt, die kleine Nachttischlampe auf dem Tischchen neben dem Bett war eingeschaltet und verbreitete ein warmes Licht. Auf dem Stuhl, auf dem ihr Gastgeber vorhin noch gesessen hatte, stand eine Thermoskanne, ein kleiner Zettel lag daneben. Charly setzte sich ein wenig auf und Griff nach dem Stück Papier. “Bin in die Stadt gefahren um ein paar Lebensmittel einzukaufen, ich bin bald zurück. Viele Grüße Marc “ las sie. Langsam setzte sie sich richtig auf, ihr Kreislauf wollte nicht mitmachen, so dass sie dafür eine ganze Weile brauchte, mit zittrigen Händen griff sie nach der Thermoskanne, sie drehte den Verschluß auf und roch den Duft von Pfefferminztee und in diesem Moment schien es ihr, als hätte sie noch nie etwas besseres gerochen. Sie schenkte sich ein wenig ein und trank vorsichtig, Charly verzog das Gesicht, denn das Schlucken schmerzte noch sehr.
Obwohl sie sich sehr schwach fühlte, sehnte sie sich doch nach einer heißen Dusche, zumindest ein wenig frisch machen wollte sie sich. Sie warf einen sehnsüchtigen Blick auf die leicht geöffnete Badezimmertür, ob sie es bis dahin schaffen würde? Sie beschloss es zu versuchen, stellte ihre Teetasse zur Seite und schob sich langsam hoch. Ihr wurde schwindlig und sie machte eine kleine Pause, als sie aufrecht saß, schwang sie langsam die Beine aus dem Bett und stützte sich am Bettpfosten ab, als sie sich langsam erhob. Ihre Knie zitterten, doch sie schaffte es im Schneckentempo und ganz vorsichtig das Bad zu erreichen, sie betrat den kleinen Raum und knipste das Licht an. Sie schnaufte als hätte sie einen Marathon gelaufen und setzte sich erstmal auf den Rand der Badewanne um durch zu pusten. Sie sah ihre Reisetasche ungeöffnet dort stehen, erleichtert atmete sie auf. Sie zog die Tasche zu sich und öffnete den Reißverschluß, mit der Hand wühlte sie sich bis zum Taschenboden und wieder entschlüpfte ihr ein erleichterter Seufzer, als ihre Hand ertastete wonach sie suchte. Charly suchte sich frische Unterwäsche, eine Jogginghose und ein T-Shirt, sowie ihre Kulturtasche raus und stellte sich vors Waschbecken um sich die Zähne zu putzen, sie erschrak als sie ihr Spiegelbild erblickte. Ihre Haare standen wild in alle Richtungen ab, sie war blaß und hatte tiefe Augenringe. Charly seufzte, sie begann sich frisch zu machen, spritzte sich warmes Wasser ins Gesicht und wusch sich, zumindest notdürftig, als sie nach ihrer Haarbürste griff und das Chaos auf ihrem Kopf beseitigen wollte, hörte sie Geräusche im Haus, Marc schien zurück zu sein. Kurz darauf vernahm sie auch schon Schritte im Flur und es klopfte leise an ihrer Zimmertür, bevor diese vorsichtig geöffnet wurde.
“Charly?!” rief er leise.
“Ich bin hier.” antwortete sie leise. Marc trat in die Badezimmertür.
“Charly, du solltest im Bett bleiben.” erschrocken griff er nach ihrem Arm, als er sie, leicht schwankend, am Waschbecken stehend vorfand.
“Ich sehe aus wie eine Vogelscheuche.” antwortete sie lächelnd, doch nun spürte sie, wieviel Kraft sie ihr kleiner Ausflug gekostet hatte, sie begann zu zittern und ihre Knie wollten sie nicht mehr tragen und gaben unter ihr nach.
Marc reagierte sofort und hielt sie fest, bevor sie auf den Fliesen aufschlug.
“Komm, ich bring dich wieder ins Bett.” er stützte sie, während er sie langsam ins Bett zurück geleitete. Erschöpft ließ Charly sich wieder in die Kissen gleiten. Marc deckte sie zu, dankbar lächelte Charly ihn an.
“Es tut mir leid, dass ich dir so viele Umstände bereite.”
Marc lächelte sie an. “Das tust du nicht, ganz und gar nicht.” Er nahm ihre Hand und streichelte sie sanft. Charly seufzte und schloß die Augen.
Als Marc dachte sie wäre eingeschlafen und sich leise erhob, drückte sie seine Hand fester.
“Was ist eigentlich mit meinem Auto, es ist liegen geblieben, ich weiß nicht mal genau wo?” fragte sie ihn schläfrig.
“Ich habe es abschleppen lassen, es ist zur Zeit in der Werkstatt, ich lasse es herbringen, sobald es repariert ist.”
“Ich muss nach New York…” sagte Charly noch leise, bevor sie wieder erschöpft einschlief.
Marc sah sie noch einen Moment an, dann verließ er das Zimmer und ließ sie schlafen.

Ein paar Tage vergingen und Charly erholte sich zusehends. Das Antibiotikum wirkte gut, das Fieber war fast weg und der Hals schmerzte nicht mehr. Sie fühlte sich noch etwas schwach, aber so langsam kam sie wieder zu Kräften.
Auch mit Marc hatte sie sich nun ausführlicher unterhalten und erfahren das er 41 Jahre alt und Geschäftsführer und Teilhaber einer Werbeagentur war. Dieses Haus hatte er von seinen Eltern geerbt und er verbrachte eigentlich nur einige Wochenenden hier, um abzuschalten, doch nun war er vorübergehend hier eingezogen um sich um Charly zu kümmern. Sie war sehr dankbar dafür, wurde langsam jedoch ungeduldig. Sie hatte nicht mehr viel Zeit um ihr Vorhaben in die Tat umzusetzen, doch Marc ließ sie nicht gehen. Natürlich konnte und wollte er sie hier nicht festhalten, doch er hatte sich scheinbar mit dem Arzt verschworen, denn auch dieser riet ihr eindringlich davon ab, die weite Strecke auf sich zunehmen, da ihr Kreislauf dafür nicht stabil genug wäre.
“Wann ist mein Auto fertig?” Marc drehte sich zu ihr um. Er stand im Anzug und mit seiner Aktentasche in der Diele und wollte gerade das Haus verlassen, um zur Arbeit zu fahren. Charly musste schlucken, als sie den herben Duft seines After-Shaves wahr nahm, sie schloß für einen kurzen Moment die Augen.
“Ich rufe nachher nochmal in der Werkstatt an, ich denke heute oder morgen. Ich habs echt eilig Charly, tut mir leid.” Marc war genervt, er war spät dran und Charly ließ einfach nicht locker, sie wollte lieber heute als morgen aufbrechen. Sie wollte verzweifelt nach New York, doch sein Verantwortungsgefühl wollte sie einfach noch nicht gehen lassen. Er fuhr sich nervös durch die Haare und räusperte sich, wenn er ehrlich zu sich selber war, wollte er gern das sie blieb. Es war schön, am Abend Heim zu kommen und jemand war da, sie war so warmherzig und gütig, vielleicht ein wenig naiv, aber auf eine wundervolle Weise, ihr Lachen war glockenhell und jeder Raum erstrahlte, wenn sie ihn betrat. Das Schicksal hatte sie auf so ungewöhnliche Weise zusammengebracht, dass er sich sicher war, es hätte etwas zu bedeuten.
Leider schien Charly völlig gegenteilig zu empfinden, sie hatte es furchtbar eilig wieder fort zu kommen, ihren Erzählungen nach hatte sie zur Zeit keine Verpflichtungen, wie einen Job, oder Familie und doch hatte sie scheinbar etwas sehr wichtiges in New York zu erledigen.
“Bis heute Abend.” er überlegte kurz, ob er sie zum Abschied umarmen sollte, doch dann drehte er sich um und ging einfach, es schien ihm unangebracht.
Charly sah ihm nach. Wo sollte das hier hin führen… sie musste weg, so schnell wie möglich. Marc machte sie nervös, wenn er in ihrer Nähe war, konnte sie keinen klaren Gedanken mehr fassen. Solche Gefühle konnte sie unmöglich zulassen, er war ein völlig Fremder für sie, unter widrigen Umständen war sie hier gelandet und sie konnte seine Gastfreundschaft nicht noch länger strapazieren, ausserdem hatte sie nicht mehr lange Zeit ihren Plan in die Tat umzusetzen.
Sie ging in ihr kleines Bad, ließ den Bademantel zu Boden gleiten und duschte erstmal heiß und lange.

In ein flauschiges Badetuch gewickelt, war sie auf dem Weg in die geräumige Küche des Hauses um sich etwas Orangensaft zu holen, als die Haustüre aufflog.
“Hast du etwas vergessen…” begann Charly, hielt dann aber sofort inne. In der Diele stand eine wunderschöne junge Frau, sie sah aus, als wäre sie einer Modezeitschrift entsprungen, sie trug ein kurzes Kostüm, hatte lange braune Haare, die sie ziemlich kunstvoll hochgesteckt hatte und ihr Gesicht war perfekt geschminkt, ihre Augen blickten Charly eiskalt an. Charly wurde klar, dass sie nur in ein Handtuch gehüllt war, unwillkürlich zog sie es enger um sich.
“Wer sind sie?” fragte Charly leise.
Die Frau zog eine Augenbraue hoch. “Mein Name ist Anne McKay, ich bin Marcs Frau… und wer sind sie, wenn ich fragen darf?!” zischte sie Charly an.
Seine Frau? Charly schluckte. Natürlich! Wie konnte sie angenommen haben Marc wäre alleinstehend, das war absurd. Warum hatte er ihr nie von seiner Frau erzählt.
“Oh… ich bin Charly, eine alte Freundin von Marc.” Charly zuckte unter dem Blick der anderen Frau zusammen, die sie abschätzend anblickte. “Wissen sie… Marc und ich sind dabei unsere Freundschaft wieder aufleben zu lassen… sie wissen sicher was ich meine.” Die Worte sprudelten heraus, ohne das Charly darüber nachdachte. Die Arroganz dieser Person machte sie furchtbar wütend.
Anne lachte leise. “So… nun ja, das bezweifle ich. Sagen sie Marc das ich hier war.” mit diesen Worten drehte sie sich um und ging. Mit einem lauten Krachen fiel die Eingangstür zu.
Charly schlug sich eine Hand vor den Mund, sie wusste nicht ob sie lachen oder weinen sollte, was hatte sie da gerade gesagt? Marc würde wütend werden, wenn seine Gattin ihm erzählen würde, was sie da behauptet hatte.
Merkwürdig. Warum hatte er ihr nichts erzählt und warum hatte er seiner Frau nichts von ihr erzählt. Die Gedanken überschlugen sich in ihrem Kopf.
Sie beschloß endlich zu verschwinden, sie wollte über alle Berge sein, wenn Marc rausbekam, was sie da gerade von sich gegeben hatte.
Charly griff sich ihren Laptop, es musste doch rauszubekommen sein, in welcher Werkstatt sich ihr Auto befand. Nach kurzer Recherche fand sie heraus, dass es in dieser Gegend nur zwei Werkstätten gab, die in Frage kamen und nach nur einem Telefonat wusste sie welche es war.
Der freundliche Herr am Telefon versicherte ihr, das ihr Auto heute noch gebracht werden würde.
Erleichtert atmete sie auf, sie zog sich eine Jeans und ein T-Shirt an und packte ihre wenigen Habseligkeiten. In ein paar Stunden wäre sie wieder unterwegs, sie würde ihr Vorhaben in die Tat umsetzen und was dann kam, das wusste niemand.
Charly trug ihre Tasche in die Diele, zog sich ihre Jeansjacke über und wartete.
Sie saß in der Küche, trank ihren Orangensaft und lauschte, ob sie ein Auto kommen hörte.
“Charly!” sie zuckte zusammen als sie Marcs Stimme hinter sich vernahm. Sie schloß die Augen, was machte er denn hierl, sie wollte doch längst fort sein, wenn er zurück kam.
Langsam drehte sie sich zu ihm um.
“Was machst du schon hier?” fragte sie ihn erschrocken.
“Was hat das zu bedeuten?” ignorierte er ihre Frage und deutete auf ihre Reisetasche, die er in der Hand hielt. Sie hatte ihn nicht mal reinkommen hören.
“Ich muss gehen Marc.” sagte sie leise. Marc setzte die Tasche ab und ging zu ihr, er setzte sich ihr Gegenüber an den Tisch und nahm ihre Hand.
“Charly, du bist noch nicht wieder gesund. Du kannst bleiben so lange du willst.” eindringlich sah er sie an.
Charly schüttelte den Kopf. “Das kann ich nicht, ich hab nicht mehr viel Zeit.” sie entzog ihm ihre Hand.
“Ausserdem, “ begann sie zögernd, “willst du mich sicher nicht mehr hier haben, nachdem was ich heut getan habe.” sie spürte wie sie rot wurde.
“Was meinst du? Was kannst du getan haben? Hast du das Bad unter Wasser gesetzt oder sowas?” er grinste sie an.
“Nein, ich… es war heute jemand für dich hier.” sie holte tief Luft und schaute ihn an.
“Wer?” fragte er verwirrt.
“Deine Ehefrau.”
“Meine “Noch-Ehefrau”.” Verbesserte er sie. “Was wollte Anne hier? Sie kommt doch sonst nicht hier raus.”
“Keine Ahnung.” stotterte Charly. “Sie war recht kurz angebunden, ich soll dir nur ausrichten, dass sie hier war.” Charly räusperte sich.
“Charly!” Marc beugte sich vor und sah sie eindringlich an. “ Ich habe das Gefühl, das das nicht alles ist.”
Charly wandte den Blick ab und rang ihre Hände.
“Naja… sie war sehr unfreundlich. Ich kam gerad aus der Dusche und hatte nur ein Handtuch umgewickelt, sie.. “ Charly seufzte, bevor sie weiter sprach, “sie war sehr arrogant und… und…. “
“Charly! Rück raus mit der Sprache.” Marc lächelte, er wirkte eher amüsiert als wütend.
“Also, sie fragte wer ich sei und ich sagte ihr, wir wären alte Freunde und würden unsere Freundschaft gerade wieder intensivieren.” Sie spürte wie ihr Kopf heiß wurde als die Röte ihr in die Wangen schoß. “Es tut mir leid Marc, ich wollte dich nicht in Schwierigkeiten bringen, ich habe nicht nachgedacht… “ vorsichtig blickte sie ihn an und sie sah das seine Mundwinkel verdächtig zuckten, bevor er dann in lautes Gelächter ausbrach.
“Oh Charly… du bist einfach wundervoll.”
“Was ist daran so komisch?” Charly verstand die Welt nicht mehr, sie hatte gedacht, er würde ausflippen vor Wut und er lachte sich kaputt?
“Das ist eine wundervolle Vorstellung.” zwinkerte er ihr zu, erneut griff er ihre Hand, er wurde ernst, er versuchte es zumindest, konnte aber ein schmunzeln nicht verhindern.
“Da wird mir ganz schön was bevorstehen. Charly, Anne und ich sind seit etwas mehr als einem Jahr getrennt, ich habe vor kurzem die Scheidung eingereicht, sie will unsere Trennung nicht akzeptieren und versucht alles um diese Ehe noch irgendwie zu retten, was völlig absurd und aussichtslos ist. Jetzt wo sie weiß, das wir beide eine Affäre haben.” er zwinkerte ihr verschwörerisch zu, “wird sie garantiert durchdrehen.” wieder begann er zu lachen.
Charly verbarg den Kopf in ihren Händen, sie schämte sich furchtbar.
“Es tut mir wirklich leid.” sagte sie kläglich.
“Das muss es nicht. Ich weiß ja wie sie ist und ich kann mir vorstellen, wie ihr auftreten dir gegenüber war. Mach dir keine Sorgen.” er lächelte sie aufmunternd an.
“Es ist jedenfalls kein Grund schon ab zu reisen. Mit Anne werde ich fertig.”

Charly lag im Bett und lauschte dem lautstarken Streit zwischen Marc und Anne, sie konnte gar nicht anders, so wie die zwei sich anschrien.
“Bist du total verrückt geworden?” hörte sie Anne keifen. Marc hatte ihr scheinbar erzählt, wie Charly des nachts bei ihm aufgetaucht war, die Wahrheit über die angebliche Affäre hatte er allerdings für sich behalten.
“Sie ist eine völlig Fremde und du lässt sie hier einfach wohnen?”
“Jetzt hör mir mal zu Anne, dies ist mein Haus, wir beide sind längst getrennt und ausserdem ist sie inzwischen keine Fremde mehr für mich.” hörte sie Marc provozierend antworten.
“Willst du mir jetzt wirklich weiss machen zwischen dir und diesem…. Flittchen läuft etwas? Das glaube ich dir keine Sekunde.” doch Charly hörte die Unsicherheit in Annes Stimme.
“Was du glaubst oder nicht Anne, bleibt dir überlassen. Ich werde mich nicht vor dir rechtfertigen, aber Charly und ich haben etwas ganz Besonderes, ob dir das nun gefällt oder nicht! Und nun gib mir bitte den Schlüssel zum Haus.”
Charly musste lächeln, er tischte Anne wirklich diese Lüge auf. Sie seufzte, wie wäre es wohl wirklich in seinen Armen zu liegen? Sie stellte es sich wundervoll vor, von ihm geküßt und berührt zu werden. Ob er ein zärtlicher Liebhaber war, oder eher wild, auf jeden Fall war er bestimmt ein leidenschaftlicher Typ. Sie erschrak über diese Gedanken, musste dann aber kichern, sie führte sich auf wie ein frisch verliebter Teenager.

“Guten Morgen” begrüßte Marc sie lächelnd, als sie die Küche betrat. Er saß lässig in Jeans und T-Shirt am Küchentisch und trank seinen Kaffee, seine Haare waren zerzaust und standen wild in alle Richtungen, er strahlte sie an und auf seinen Wangen zeigten sich zwei Grübchen.
“Morgen… über “gut” lässt sich streiten.” knurrte sie ihn an. Sie hatte eine furchtbare Nacht hinter sich, die Gedanken kreisten in ihrem Kopf und ließen sie nicht einschlafen. Sie wusste nicht was sie tun sollte. Am liebsten würde sie hier bleiben, bei Marc, doch das ging natürlich nicht, denn damit hatte Anne recht gehabt, sie war eine völlig Fremde für Marc, sie kannten sich kaum, er hatte ihr in einer Notsituation geholfen, wofür sie ihm unendlich dankbar war, doch da endete ihre Geschichte auch schon.
“Bitte Charly… keinen Streit heute morgen, davon hatte ich gestern genug.” Marc sah sie an. Seufzend schenkte Charly sich einen Becher Kaffee ein.
“Ja, das war nicht zu überhören.” sie setzte sich ihm gegenüber und sah ihn finster an.
“Na schön. Ich hatte eine schöne Idee für heute, aber wenn du lieber schmollst.” Er zwinkerte ihr zu und wendete sich wieder dem Wirtschaftsteil der Zeitung zu, der vor ihm ausgebreitet lag.
Charly trank einen großen Schluck Kaffee.
“Ok… entschuldige bitte. Ich hab einfach schlecht geschlafen, ich wollte dich nicht so anfahren.”
“Was hältst du davon wenn wir ein bisschen an den See fahren, wir nehmen eine Decke mit und genießen das gute Wetter, die frische Luft wird dir gut tun, nachdem du tagelang hier drinnen sein musstest.”
Charly lächelte und nickte, “Ja, das klingt wirklich gut. Ich gehe mich nur schnell fertig machen.” freudig sprang sie auf und ging ins Gästezimmer. Sie kramte in ihrer Tasche und fand ein leichtes Sommerkleid, das nicht ganz so zerknittert war. Die langen braunen Locken band sie sich zu einem Zopf, einige Haarsträhnen fielen ihr ins Gesicht, sie legte ein leichtes Make up auf und benutzte ein blumiges Parfum. Als sie sich im Spiegel betrachtete war sie durchaus zufrieden mit sich, sie wirkte nicht mehr so blass und die Augenringe waren auch verschwunden. Sie freute sich darauf, etwas Zeit mit Marc zu verbringen.
“Ich wär dann soweit.” sagte sie, als sie die Küche wieder betrat. Marc, der gerade damit beschäftigt war einen Picknickkorb zu packen, drehte sich zu ihr um, als er ihre Stimme vernahm.
“Wow! Du siehst toll aus.” entfuhr es ihm, als sie in diesem Kleid, welches ihre weiblichen Rundungen betonte, vor ihm stand. Er schluckte, zum wiederholten Mal stellte er fest dass sie auf ganz natürliche Weise wunderschön war, nichts war unecht oder aufgesetzt. Er lächelte als er sah, dass sich ihre Wangen, aufgrund seines kleinen Kompliments rot färbten. Er streckte ihr seine Hand entgegen, die sie zögernd ergriff.
“Lass uns fahren.”

Sie waren nur ein paar Minuten unterwegs um an den kleinen See zu fahren, er lag unweit von Marcs Haus, hinter einem kleinen Wäldchen, das Ufer war grasbewachsen, zu ihrer rechten erstreckte sich der Wald und zu ihrer linken, waren nur Wiesen zu sehen, keine Autos, oder Häuser, es war herrlich ruhig. Die Sonne strahlte und wärmte ihre Haut. Charly sog gierig die frische Luft ein, während Marc die Decke am Ufer ausbreitete. Charly setzte sich und streckte ihr Gesicht der Sonne entgegen, sie schloss die Augen.
“Hast du Hunger?” fragte Marc und hielt ihr ein Sandwich entgegen, Charly öffnete die Augen und nahm es dankbar an. Schweigend saßen sie nebeneinander und aßen.
“Marc, ich bin dir wirklich unendlich dankbar für deine Hilfe, ich weiß nicht was passiert wäre, wenn du nicht da gewesen wärst.” sagte Charly nun leise.
“Du musst mir nicht danken, es ist schön das du bei mir bist. Ich bin dankbar, das du ausgerechnet bei mir geklopft hast.” er zwinkerte ihr zu. Charly lachte.
“Es war das einzige Haus weit und breit.”
“Das ist der Vorteil, wenn der nächste Nachbar 5 Meilen weit entfernt ist.” sie lachten beide und unterhielten sich eine ganze Weile angeregt, sie stellten fest, das sie die gleiche Musik und die gleichen Bücher mochten. Sie diskutierten über Gott und die Welt und die Zeit verflog nur so.
“Charly, kann ich dich etwas fragen?” sagte Marc in einem Moment des Schweigens. Sie nickte.
“Warum musst du so dringend nach New York? Was ist so wichtig, das du in deinem Zustand diese weite Fahrt auf dich nehmen willst.?” fragend sah er sie an. Charly senkte den Blick zu Boden. Sie schluckte hart und nestelte nervös an ihrem Kleid.
“Ich… “ sie räusperte sich, “es tut mir leid Marc, ich kann nicht darüber reden.”
Marc seufzte und legte eine Hand auf ihre Wange, Charly hob den Blick und sah ihn verwundert an. Sein Daumen strich zart über ihre Haut.
“Bleib doch einfach.” sagte er leise, bevor er sich zu ihr neigte und seine Lippen den ihren immer näher kamen bis sie sich sacht berührten. Ganz zart war sein Kuss und Charly war überwältigt von ihren Gefühlen. Sie erwiderte seinen Kuss ohne nachzudenken, sie legte ihre Hand in seinen Nacken und zog ihn näher zu sich. Es fühlte sich gut und richtig an von ihm geküsst zu werden, erst jetzt spürte sie wie sehr sie sich danach gesehnt hatte.
Langsam sanken sie auf die Decke zurück, Charly fühlte das Gewicht seines Oberkörpers auf dem ihren, sie nahm den herben Duft seines After Shaves wahr und spürte seine Hände in ihrem Haar. Jede Faser ihres Körpers sehnte sich nach ihm, sie wollte das dies hier nie aufhörte. Sie küssten sich leidenschaftlich und nahmen für einen Augenblick nichts mehr um sich herum wahr.
“Charly…” raunte er ihren Namen leise zwischen zwei Küssen, seine Stimme holte Charly wieder in die Realität zurück. Was tat sie hier? Sie musste nach New York und es war der denkbar schlechteste Zeitpunkt um eine Romanze zu beginnen.
“Marc!” sie presste ihre Hände gegen seine Schultern und drückte ihn von sich weg. “Marc! Hör auf!” Sie setzte sich auf und rückte ein Stück von ihm ab.
“Was ist los?” fragte er verwirrt. Er hatte genau gespürt das Charly seine Küsse und Berührungen genossen hatte, sie schien genau wie er empfunden zu haben, warum stieß sie ihn nun weg?
“Hab ich dich zu sehr bedrängt? Das tut mir leid, bitte verzeih… “
“Nein…” beschwichtigte sie ihn “du hast nichts falsch gemacht, ich… ich kann nicht Marc. Bitte verlang keine Erklärungen von mir. Es geht einfach nicht…. lass uns zurück fahren.” bat sie ihn. Sie erhob sich und begann die Reste des Picknicks in den Korb zu verstauen. Sie vermied es dabei ihn anzusehen, sie wollte auf keinen Fall, dass er die Tränen sah, die in ihren Augen brannten.


© Kimsophie74


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