Der kleine Flohzirkus stand versteckt in einer dunklen Ecke des Rummelplatzes. Auf den guten Plätzen, in der Mitte, hatte man die Achterbahn, den Auto-Scooter und die Geisterbahn aufgebaut. Doch wer interessiert sich heutzutage noch für einen kleinen mickrigen Flohzirkus?

Die wenigen Besucher, die sich trotzdem die Zeit nahmen, in das altersschwache, schiefe Zelt einzutreten, erlebten die Darbietungen einer fröhlichen und vielfältig begabten Mannschaft von winzigen Darstellern. Der eine konnte dreifache Saltos schlagen, ein anderer über spannenhohe Türmchen springen und wieder andere den kleinen goldenen Wagen mit der Flohprinzessin Sandra ziehen. Sandra war ein Sandflohfräulein und allerliebst anzusehen. Sie hatte sechs wohlgeformte Beinchen und so niedliche Fühlerchen auf dem Kopf, dass mancher der Flohmänner nachts leise vor sich hinseufzte, wenn er davon träumte, sie in seinen Armen zu halten. Prinzessin Sandra aber war kein leichtfertiges Ding, sondern schlug schamhaft die Augen nieder, wenn die Flohartisten sich während der Vorstellungspausen in den Kulissen unziemliche Witze erzählten.

Einen gab es aber im Ensemble, der hielt sich für etwas ganz Besonderes, es war Alexander, der Floh mit dem Expander. Er war ohne Zweifel der stärkste Floh, den man sich vorstellen konnte. Täglich trainierte er mit seinem Expander, bis seine Muskeln so dick waren, dass sie fast sein kleines Superman Trikot sprengten. Alexander war stark, aber leider erzählte er das auch jedem und zwar immer wieder. Deswegen war er bei manchen seiner Kollegen eher unbeliebt. Denn man liebt und bewundert zwar die Besonderen, die jedoch, welche ihre Besonderheit dauernd eitel in den Vordergrund stellen, kann eigentlich kaum einer so recht leiden.
Alexander aber liebte Prinzessin Sandra. Und diese fand ihrerseits, dass er ein gestandener, äußerst attraktiver Floh war. Aber wirklich lieben konnte sie ihn nicht. Denn wie gesagt, sie war bescheiden, und die Angeberei des starken Alexander missfiel ihr sehr.

“Oh Sandra, erhöre mich!” seufzte er durchs Fenster ihrer goldenen Kutsche, “ich verspreche dir, dass ich meine Muskeln nur noch für dich spielen lasse!” Und Sandra senkte den Kopf, damit er nicht sah, dass sie ihn auslachte. Alexander zog zwanzigmal hintereinander seinen Expander auseinander, bis die Adern an seinem Hals ganz dick geschwollen waren.

“Und was willst du damit beweisen?” fragte Sandra, “glaubst du, das Leben besteht daraus, ein paar Spiralfedern auseinander zu ziehen? Außerdem beweist es gar nichts, wenn du der Stärkste in unserem kleinen Flohzirkus bist. Draußen ist die große, weite Welt, dort gibt es Menschen, die größer sind als anderthalb Meter und Tiere, die sogar höher als drei Meter sind, für die bist du nur ein kleiner Punkt, der in der Gegend herumhüpft”.

„Aber schau mich doch an!“ rief Alexander, „ich bin stark, ich bin schön, ich bin, in aller Bescheidenheit gesagt, ein göttlicher Floh. Ich will Dein Gott sein!“

„Mein Gott!“ entfuhr es Sandra.

“Ich werde für dich die größten Lebewesen der Welt überwinden!” rief er. Doch sie antwortete ihm sanft aber bestimmt, dass er doch erst einmal seine eigene Großmannssucht überwinden sollte.

“Wenn ich nun in die Welt hinausziehe und die Stärksten der Starken im Kampfe besiege, wirst du mich dann erhören?”, fragte Alexander.
“Vielleicht, vielleicht nicht”, erwiderte Prinzessin Sandra.
Alexander merkte gar nicht, dass sie das eigentlich nur deshalb sagte, um ihn für diesmal loszuwerden.

Als Sandra zur nächsten Vorstellung in ihre Kutsche stieg, fand sie auf den Polstern ein Brieflein, das als Absender den Namen Alexanders trug. Sie öffnete es und las folgende Zeilen:

Geliebte Sandra,
Du willst es so und so wird es geschehen! Ich werde meine riesigen Kräfte im männlichen Zweikampf einsetzen, um Dir zu beweisen, dass ich - der stärkste Floh unter der Sonne - Deiner würdig bin. So lebe denn wohl und gräme Dich nicht. Als strahlender Sieger werde ich heimkehren und Dich in meine kräftigen Arme schließen. Bis dahin warte getreulich auf mich, denn Dir muss ja klar sein, dass sich das Warten auf einen unbesiegbaren Kämpfer wie mich lohnt.
Dein Held Alexander

Sandra begann zu weinen, denn sie fühlte sich schuldig am Weggehen Alexanders. “In welches dämliche Abenteuer hab ich den Jungen bloß getrieben!” dachte sie, “hoffentlich geschieht ihm kein Unglück und er kommt heil wieder nach Hause. Mein Gott, wie kann ein hübscher, sympathischer Floh nur so überschnappen!?”

Alexanders Worte von männlichen Kämpfen und strahlendem Heldentum hatte sie beim Lesen des Briefleins gar nicht so richtig wahrgenommen, denn was Männer zum Kampf hinaustreibt, ist für Frauen eher ein Krampf, womit sie so unrecht nicht haben.
Als Sandra schon schlief, schlüpfte Alexander durch einen Spalt aus der Kiste, in der sie alle zwischen den Vorstellungen und nachts aufbewahrt wurden. Er hüpfte vom Tisch und zwängte sich durch eine Ritze unter der Tür durch. Dann war er im Freien. Die Nacht war klar und über ihm strahlten die Sterne. Wie kleine leuchtende Flöhe auf einer dunkelblauen Samtdecke sahen sie aus. Alexander atmete tief durch. Die ganze Welt stand ihm nun offen, mit all ihren Abenteuern und Gefahren. Er fürchtete sich nicht, schließlich war er der Stärkste, der Größte, der Prächtigste. Sollten sie doch kommen, die meterhohen Ungeheuer, er würde sie alle in die Kniee zwingen. Er, Alexander, der Floh mit dem Expander.

Der Kampf gegen den Wal

Im fernen Grönland, wo das Land unter einer meterdicken Eisschicht liegt, und das Eismeer an den Rand der glasigen Klippen schäumt, lebte Bago, der Riesenwal. Seit Generationen machten die Eskimos Jagd auf ihn, doch niemals war es einem von ihnen gelungen, auch nur eine einzige Harpune in seine dicke Speckschicht zu schleudern. Nur von fern sahen sie ihn zuweilen durch die Bucht schwimmen und seine riesige Atemfontäne in den stahlblauen Himmel schicken. Dann erklang ein Tosen, das sich vielfach an den Eisbergen brach, und die Eskimos fühlten ein kaltes Frösteln zwischen den Schulterblättern.

Bago war der König der nördlichen Meere. Dabei war er ein friedlicher Geselle. Er tat niemandem etwas zuleide, und wenn er Hunger hatte, schöpfte er einfach riesige Wassermengen in sein Maul und filterte winzige Tierchen und Plankton als Nahrung heraus. Und dabei kam so viel zusammen, dass er trotz seiner Größe immer satt wurde.

Alexander hatte in einer Zeitschrift einen mit eindrucksvollen Fotos bebilderten Artikel über Bago gelesen und sich dieses Riesentier für seinen ersten Kampf auserkoren. Er hüpfte zum Bahnhof, krallte sich in den Pelzkragen eines Herrn, der am Kartenschalter eine Fahrkarte nach Grönland gekauft hatte und fuhr ungeduldig seinem Ziel entgegen. Unterwegs vergaß er jedoch nicht seine regelmäßigen Übungen mit dem Expander, denn er wollte immer noch stärker werden, als er schon war.
Der Zug fuhr durch Mittelgebirge und weite Ebenen, er wurde auf eine große Fähre geladen und über das tiefe Meer geschifft. Dann fuhr er weiter, bis das Grün der Landschaft kargem Buschwerk wich und schließlich weißer Schnee sich bis zum Horizont erstreckte. Endlich hielt der Zug, und die wenigen Reisenden, die noch verblieben waren, stiegen aus.

Alexander sprang von seinem sicheren Platz auf den steinhart gefrorenen Boden hinunter. Er hatte Hunger. Die paar Blutströpfchen, die er aus dem Hals des Herrn mit dem Pelzkragen gesaugt hatte, waren längst verdaut. Sein Magen knurrte, doch weit und breit war kein Mensch zu sehen, noch nicht mal ein Hund oder eine Maus, auf deren Haut er eine kurze Imbisspause hätte machen können.

Plötzlich störte ihn wildes Getrappel von Schritten auf. Er hörte Schreie und schrille Rufe. “Bago kommt! Bago kommt!”, er konnte sich gerade noch mit einem beherzten Sprung in Sicherheit bringen, sonst hätte sein Heldenleben bereits jetzt unter der Schuhsohle eines Grönländers ein frühzeitiges Ende gefunden.

“Wenn sie alle vom Hafen wegrennen, dann ist der Riesenwal ganz offensichtlich gerade dort”, dachte Alexander, und er sprang in die Richtung, aus der die Menschenmenge gekommen war.

Unten im Hafen war die Hölle los. Das Wasser brodelte, und immer wieder erschien wie ein Berg der mächtige Kopf von Bago aus den schäumenden Fluten, und aus seinem Nasenloch stieg eine Fontäne hoch hinauf in den Himmel.
Alexander hielt die Hände wie ein Sprachrohr an den Mund und rief: “He, Bago, Größe allein ist noch keine Stärke. Komm her und kämpfe mit mir. Ich werde dich mit meinen gestählten Armen so lange würgen, bis du um Gnade winselst!”

Bago vergaß für einen Moment zu schnaufen, so dass seine Fontäne in sich zusammensank wie bei einem Springbrunnen, wenn das Wasser abgestellt wird. Er fixierte Alexander mit seinen für ein so großes Tier winzigen Äuglein und sagte nur ein Wort:

“Du!!??”

“Ja, ich”, antwortete der Floh, “ich, Alexander, der Floh mit dem Expander!”
Da begann der Riesenwal Bago so laut zu lachen, dass das ganze Hafenbecken von Riesenwellen erschüttert wurde. Er lachte, dass die Lagerhallen am Pier Risse bekamen und schließlich hob er seine mächtige Schwanzflosse und schlug auf das Wasser, dass eine zwanzig Meter hohe Flutwalze aufstieg und sich brüllend auf das Ufer zu wälzte.

Alexander wusste nicht, wie lange er ohnmächtig gelegen hatte, als er Salzwasser spuckend erwachte. Seine Glieder schmerzten, weil die Flutwelle ihn mit Schwung gegen einen Stein geworfen hatte. Das Wasser lag still, denn Bago war schon längst wieder ins Meer hinausgeschwommen.

Alexander ballte die Fäuste und murmelte vor sich hin. Es war dieses typische gedämpfte und scheinbar drohende Murmeln, mit dem sich einer zurückzieht, der aufgibt, aber nicht möchte, dass es jeder gleich merkt. “Wenn du denkst, du hättest mich besiegt, dann irrst du dich, du Monster! Besiegt ist man erst, wenn man das Vertrauen zu sich selbst verloren hat. Hier stehe ich, Alexander, der stärkste Floh der Welt! Nimm dich in acht, ich besiege jeden, wenn es darauf ankommt", Alexander senkte die Stimme und flüsterte fast unhörbar: "Ich besiege jeden – ausgenommen vielleicht Riesenwale mit Schwanzflossen, die so groß sind wie Baggerschaufeln.”

Am nächsten Tag beschloss Alexander, nach Kalkutta ins fernen Indien zu reisen. Doch er wollte weder die prächtigen Paläste der Maharadschas sehen, noch die Schönheit der Lotosgärten. Er interessierte sich nicht für die verschleierten Märchenerzählerinnen, die Flöte spielenden Schlangenbeschwörer und die dürren Fakire auf ihren Nagelbrettern. Er wollte zu den großen, grauen, starken Elefanten. “Denen werde ich es zeigen”, dachte er bei sich. Und er zog wütend fünfzigmal hintereinander seinen Expander auseinander, bis er laut schnaufte.

Der Kampf gegen den Elefanten

Aber es war nicht nur sein eigenes Schnaufen, das zu hören war, es schnaufte auch noch eine Lokomotive, die sich gerade anschickte, eine Reihe von Waggons aus dem Bahnhof zu ziehen. Alexander hüpfte dem Zug hinterher und schaffte es mit Mühe und Not, auf den letzten Wagen zu springen. Er studierte den Fahrplan und stellte fest, dass der Zug – oh, Wunder! – wirklich nach Indien fuhr. Indien! Dort gab es die Elefanten, die er suchte. Wenn er schon Bago, den Riesenwal, nicht besiegen konnte, dann würde er die Elefanten das Fürchten lehren. Die waren zwar ein wenig kleiner als Wale, aber ein Sieg über einen Elefanten war immer noch großartig genug, um seinen, Alexanders, Ruf als stärkster Floh aller Zeiten zu begründen.

Alexander nutzte die Zeit, die der Zug bis Indien benötigte, für regelmäßige Übungen mit seinem Expander, und von Mal zu Mal wurde ihm heißer bei diesen Übungen, denn der Zug kam in immer wärmere Klimazonen.

Die Gerüche in der Luft hatten sich geändert, am Anfang der Fahrt, in Grönland, hatte es noch nach Fisch und Salzwasser gerochen, jetzt schwängerte der Duft von Curry und fremdartigen Früchten die heiße Luft, die durch die offenen Fenster in das Zugabteil drang.

Die Bremsen quietschten und der Zug stoppte. Eine fremdartig klingende Stimme rief: "Kalkutta!…", und dann folgte etwas, das Alexander zwar nicht verstand, was aber sicher so etwas wie "Alles aussteigen, der Zug endet hier!" bedeuten sollte. Alexander sprang auf den Bahnsteig hinunter und hüpfte auf einen Hund, der vorbeikam.

"Wow, ein Neuer!" kläffte der Hund, "hoffentlich nicht genau so blutdürstig wie meine anderen 732 Bewohner?" "Ich werde mich mit dem Beißen beherrschen, wenn du mir einen Gefallen tust", meinte Alexander, "bring mich zu den Elefanten, zu den stärksten, größten Elefanten, die es hier in dieser Gegend gibt!"

"Was willst du denn bei denen?" fragte der Hund. "Kämpfen", antwortete Alexander und ließ die Muskeln spielen. Da begann der Hund so laut zu lachen, dass es ihn schüttelte. Alexander musste sich mit aller Kraft festhalten, um nicht hinunterzufallen. "Was gibt´s da zu lachen?" fragte er beleidigt. "Ich – hihi, haha – ich stell mir gerade den seltsamen Kampf vor – hoho, hehe!", lachte der Hund. Da sagte Alexander nichts mehr. Dass räudige Hunde im fernen Indien seine anspruchsvollen Ziele als Kämpfer und Held nicht begreifen konnten, war ihm klar. Er schaute auf, weil ein riesiger Schatten auf ihn gefallen war und da sah er ihn – Ashad, den größten Elefanten in Kalkutta. "Ciao!" rief er schnell dem Hund zu und ließ sich fallen. "Wow" antwortete der Hund und setzte sich an den Straßenrand, um zu sehen, was sich da jetzt wohl abspielen würde.

Alexander sprang auf Ashad zu und rief: "Komm und kämpfe! Ich weiß, dass das unfair ist, weil ich so viel stärker bin als du, aber dafür darfst du den ersten Schlag tun, dann gleicht es sich wieder aus". Ashad atmete aus, um etwas zu sagen. Aber Alexander, den das Ausatmen des Elefanten fast umwarf, fiel ihm ins Wort, "wenn du glaubst, du könntest mich mit einem Sturm einschüchtern, hast du dich geirrt!"

"Sturm?" fragte der Elefant, denn er begriff gar nicht, wovon Alexander sprach.
Alexander setzte jetzt zum Angriff an, er sprang auf Ashads Rüsselspitze, um einen Knoten in dessen Riechorgan zu machen. Ashad spürte, wie es vorne in seiner Nase kitzelte, aber er wusste nicht warum, denn er hatte Alexander gar nicht dorthin springen sehen. Es kitzelte ihn immer mehr und schließlich konnte er das Niesen nicht mehr unterdrücken. Und gerade als Alexander zu einem weiteren Angriff übergehen wollte, entlud sich Ashads Niesreiz in einer ungeheuren Explosion. Alexander wurde in die Höhe geschleudert und als er nach unten sah, kam er sich vor wie ein Astronaut, der aus seiner Kapsel auf die Erde hinunterschaut. Seine Aufwärtsbewegung wurde langsamer und langsamer und schließlich war er für Sekunden schwerelos. Dann griff die Erdanziehung nach ihm wie eine Riesenfaust und er fiel immer schneller auf den Boden zurück. Das war dann auch das Letzte, an das er sich erinnern konnte, als er wieder aufwachte. Er lag halb bewusstlos in einem kleinen See, der sich als ein Spritzer Elefantenpipi entpuppte, den Ashad bei Niesen verloren hatte. Er schwamm ans Ufer der Pfütze, wofür er etwa zwei Stunden benötigte.

"Da will mir dieser Pisser wohl beweisen, dass ich nicht der stärkste und mächtigste Floh unter der Sonne bin, haha! Gar nichts ist bewiesen. Ich bin und bleibe der Stärkste, ich besiege jeden…" Und ganz leise fügte er hinzu: "Außer vielleicht Wale und Elefanten. Vielleicht…" Und er begab sich zu einem Schiff, das im Hafen von Kalkutta lag und dabei war, nach Europa abzulegen.

Der Kampf gegen die Kuh

Europa kannte er. Hier kam er her, hier war sein Zuhause. Hier war es nicht zu heiß und nicht zu kalt. Aber gab es hier auch mächtige Feinde, an denen er seine Kräfte beweisen konnte? Mal abwarten, wo ihn das Schicksal hintrieb. Doch da stand sein Schicksal schon. Es reichte fast bis zum Himmel, war braun-weiß gefleckt, stand auf einer Almwiese und stieß ein erschreckendes Gebrüll aus, das wie Muuuuuuh! klang. Dabei riss es Grasbüschel aus, die für Alexander riesig waren, und verschlang sie mit schrecklichem, gefährlichem Schmatzen.

"Kampf!" schrie Alexander "Kampf auf Leben und Tod!"

"Bist du der neue Melker?" fragte Lora, die Kuh. "Wie willst du denn auf den Melkschemel kommen?”

"Ich komme überall hin!" brüllte Alexander. "Und jetzt komme ich hinauf, um dich zu würgen, mit meinen bloßen Händen". "Hoffentlich sind deine Hände warm, der letzte Melker hatte immer kalte Hände, "sagte Lora, "vermutlich litt er an zu niedrigem Blutdruck".

“Der Worte sind genug gewechselt!", rief Alexander und sprang mit einem mächtigen Satz auf Loras Rücken. Direkt neben eine dicke Fliege, die dort saß und die brave Lora schon seit einer ganzen Weile geärgert hatte. Lora schlug mit dem Schwanz nach der Fliege, aber leider traf der Schlag nicht nur diese, sondern auch Alexander. Der Schlag kam gnadenlos, wie aus dem Nichts und schickte Alexander in eine gnädige dreistündige Ohnmacht.

"Wo der neue Melker nur hin ist?", brummelte Lora und trottete gemächlich zum nahen Bach, um einen Schluck Wasser zu sich zu nehmen. Als sie sich später niedergelassen hatte, um wiederzukäuen, hörte sie auch nicht, wie Alexander im Weghüpfen sagte: "Na gut, nehmen wir Wale, Elefanten und Kühe mal aus – aber sonst bin ich zweifellos der Größte. Ich werde es beweisen, schließlich gibt es noch gefährlichere Gegner als diese lahmen Riesen. Da kommt ja schon einer. Einer mit grausamen Reißzähnen und scharfen Krallen".

Der Kampf gegen den Kater

Murr, der Kater war lebenserfahren und abgeklärt. Das heißt natürlich nicht, dass er darauf verzichtet hätte, einer Maus hinterher zu sprinten. Aber so ein Pünktchen in der Landschaft, wie es Alexander war, brachte Murr nun wirklich nicht aus der Ruhe. Er saß da und leckte seine Pfoten, sorgfältig zwischen allen Zehen und vergaß dabei keinen Zwischenraum.

"Ja, leck dir nur deine Krallen, du Unhold!", rief Alexander, "es wird dir nichts nützen. Denn im Kampf mit einem wirklichen Helden hast du keine Chance". Alexander verließ sich diesmal nicht auf seine bloßen Hände, um Murr zu würgen oder zusammenzuschlagen, diesmal schwang er seinen Expander, um ihn als Wurfgeschoss gegen das entsetzliche Raubtier zu benutzen, das ihm da gegenüberstand.

Leider hatte er vergessen, den Expander rechtzeitig loszulassen. So flog er mitsamt dem Fitnessgerät auf Murr den Kater zu. Murr war ziemlich neugierig, er pflückte sich das seltsame fliegende Ding mit der Vorderpfote aus der Luft und bemerkte noch nicht einmal, dass das Trägheitsmoment Alexander ungebremst weiterfliegen ließ. Als die Spiralen sich nicht weiter dehnen konnten, schnalzten sie mitsamt Alexander zurück und der knallte gegen eine harte Eiche, die im Wege stand. Aufzuführen, welche Schäden er genommen hatte, würde hier zu weit führen. Aber so viel sei gesagt, es reichte für ein veritables K.O.

Trotzdem rief er, wenn auch mit geschwächter Stimme: "Ich bin der Größte, der Stärkste, der Tapferste, der Herrlichste! Wer könnte meiner Kampfkraft widerstehen? Mal abgesehen von Walen, Elefanten, Kühen und Katzen. Aber das ganze restliche Gesindel, das erledige ich mit links".

Der Kampf gegen die Maus

In einiger Entfernung von Murr und damit von den Geschehnissen, die oben geschildert wurden, war Fieps, die Maus, damit beschäftigt, ein mittelgroßes Stück Emmentaler in ihr Mauseloch zu schaffen. Sie bevorzugte Emmentaler wegen der praktischen Löcher. Hier konnte man die Pfoten ansetzen, um das Stück zu bewegen. Bei Gouda oder Parmesan rutschte man zu leicht ab. "Hoffentlich endeckt mich Murr nicht", dachte Fieps. Doch ihre Sorge war grundlos, Murr war bereits wieder dabei, konzentriert seine Pfoten zu lecken. Jemand anderer hatte Fieps jedoch schon ins Auge gefasst, es war Alexander. Er kam herbei, mit Hüpfern, die nicht die übliche Höhe aufwiesen, denn er hatte sich den linken Fuß verstaucht. Mühsam sprang er auf das Käsestück und fixierte Fieps mit kalten Blicken.

"Erst die Arbeit, dann der Käse!", rief er, "erst musst du mit dem stärksten Floh der Welt kämpfen, dann kannst du es dir meinetwegen beim Fressen gut gehen lassen. Falls du dann überhaupt noch Fressen kannst und nicht ohne Zähne am Boden liegst.
Fieps wunderte sich über das vorlaute Bürschchen. "Komm von meinem Käse herunter, den möchte ich noch essen – und zwar ohne Fleischzulage!" "Ha!", antwortete Alexander, "beleidigen willst du mich also auch noch". Und er sprang hoch, um Fieps mit seinem Expander zu erdrosseln. Leider sprang er ungenau, wohl wegen seines verstauchten Fußes und fiel kopfüber in ein großes Loch des Emmentaler Käsestückes.

"Närrischer Kerl", Fieps schüttelte den Kopf und zog das Käsestück weiter in sein Loch. Direkt über Alexander hinweg, der am Ende nicht nur halb in den Boden gedrückt wurde, sondern dessen Rücken auch noch von oben bis unten mit Käse verschmiert war. Er richtete sich auf, schleuderte einen vernichtenden Blick hinter Fieps her, dessen Schwanz langsam im Mauseloch verschwand, und fluchte: "Elende Maus, denkt nur ans Essen, während andere damit beschäftigt sind, dem edlen Zweikampf zu obliegen. Nichts wird mich hindern, weiter darauf zu bestehen, dass ich nicht nur der vornehmste, sondern auch der größte Kämpfer auf diesem armseligen Planeten bin. Niemand kann mich besiegen, auch dass ich jetzt mal vorübergehend Wale, Elefanten, Kühe, Katzen und Mäuse ausklammere, ändert nichts daran. Ich bin einfach der Größte und Stärkste. Was kann ich dafür, ich bin eben nun einmal auserwählt. Und er zog sich zurück, um noch ein wenig zu trainieren.

Der Kampf gegen die Ameise

Als er den Expander ein paar Dutzend Male auseinander gezogen hatte, blickte er auf und merkte, dass er einen Zuschauer hatte. Es war Wusel, die Ameise, die gerade ein Holzstückchen durch die Gegend schleppte, das gut sechsmal so groß war, wie sie selber.

"Alle Achtung", entfuhr es der Ameise, "wozu machst du denn das?" "Um meine Muskeln zu stählen", entgegnete Alexander. "Aber das bringt doch nichts, schau, ich schleppe Material für den Nestbau in meinen Ameisenhügel. Morgen trage ich dreitausend Eier der Königin ein Stockwerk tiefer, übermorgen schleife ich mit zwanzig Kollegen einen toten Mistkäfer in unsere Speisekammer, das baut auch Muskeln auf – außerdem gibt es einen Sinn. Aber dieses Ding da, das du auseinander ziehst, es federt immer wieder zurück. Es bewirkt nichts”.

"Jetzt muss ich mich am Ende noch von so einem Wicht wie du es bist beleidigen lassen!", schnaubte Alexander, "ich will jetzt endlich kämpfen. Ich überlasse dir die Wahl der Waffen". “Na gut”, antwortete Wusel, mehr um ihre Ruhe zu bekommen, “jeder kämpft mit einer Tannennadel. En garde!" Und sie kreuzten die Nadeln wie zwei Fechter ihre Degen. Alexander hüpfte beim Kämpfen hin und her, bis es Wusel zu dumm wurde. Sie holte mit der Tannennadel aus und haute sie Alexander mit solcher Wucht um die Ohren, dass dem Hören und Sehen vergingen und er sich hinsetzen musste. Wusel warf ihre Waffe vor ihn auf den Boden und meinte: "Das ist mir jetzt zu dumm! Ich geb dir den guten Rat, tu endlich was Sinnvolles".

Alexander seufzte: "Ach Gott, ist es denn nichts Sinnvolles, das Herz einer holden Sandflohdame zu erringen?"

"Sandfloh?", fragte Wusel, "was meinst du jetzt damit?"

Und Alexander erzählte der Ameise die ganze Geschichte von Anfang an. Wusel schüttelte den Kopf: "So erringst du niemals die Liebe deiner angebeteten Sandra. Keine Frau findet Angeber attraktiv. Und ein Floh, der gegen Wale, Elefanten und Kühe kämpfen will, ist einfach ein Witz, ja, eine alberne Witzfigur und kein Held".
"Dann bin ich also nicht der Größte?" sagte Alexander kleinlaut. Wusel erwiderte: "Es kommt doch nicht auf die Größe an, auch nicht auf die Stärke. Es ist die Einsicht in seine eigenen Möglichkeiten, die zählt. Und so weit ich sehen kann, sind deine Möglichkeiten doch vielversprechend. Erringe die Liebe von Sandra – mit ein wenig Bescheidenheit!"

Damit verabschiedete sich Wusel und ließ Alexander zurück, der lange über die Worte der weisen Ameise nachsinnen musste. Schließlich warf er den Expander in den Straßengraben und pflückte stattdessen ein Blumensträußchen, um es Sandra mitzubringen.

Nachts schlich er sich unter dem Türspalt in den Flohzirkus zurück und am nächsten Morgen war er der erste, der an Sandras Kutsche trat und ihr errötend den Strauß überreichte.

"Da kommt er ja, der große Held", spottete Sandra, aber Alexander blieb ernst und meinte: "Ich war, wenn ich ehrlich sein soll, ein kompletter Schwachkopf. Ich hab Spiralen auseinander gezogen und geglaubt, ich könnte gegen Wale und Elefanten kämpfen. Alle diese Tiere, sie haben ja nicht wirklich gegen mich gekämpft. Ich hab gegen mich selbst gekämpft. Ich war ihnen ja gar nicht wichtig genug.

Da schaute ihn Sandra mit einem feinen Lächeln an und sagte: "Aber mir bist du wichtig genug, du Dummkopf. Endlich bist du ein interessanter Floh, der nachgedacht hat, und nicht irgend ein langweiliger Held. Komm, lass dich küssen!”

Der Schluss ist schnell erzählt. Sandra und Alexander feierten ihre Vermählung und sie brauchten für die Fahrt zur Kirche noch nicht einmal eine Kutsche zu mieten. Alexander blieb bescheiden und zeugte mit Sandra etwa 1700 Flohkinder. Sandra aber nutzte – ohne dass es beiden recht bewusst wurde – Alexanders neue Bescheidenheit dazu, immer öfter Befehle zu geben und über das Leben in dem kinderreichen Haushalt zu bestimmen.

Am Ende, so wird berichtet, zog Alexander sogar Sandras Kutsche. Um Muskeln aufzubauen, wie er sagte.

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© by Peter Heinrichs


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Beschreibung des Autors zu "Alexander, der Floh mit dem Expander"

Ein Floh hält sich für den stärksten Helden der Welt und will das seiner Herzensflohdame Sandra beweisen. Allerdings muss er eine Niederlage nach der anderen einstecken, bis er schließlich einsichtig und für Sandra akzeptabel wird.

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