Heute möchte ich unbedingt eine Collage machen, dafür habe ich schon die passende Pappe gekauft, in einem schönen königsblau: Erhaben, schick, edel. Es ist für ein Blog-Projekt, das passenderweise den schönen Titel „Der perfekte Mann“ trägt. Ich bin gespannt. Gerade aufgrund des Themas entschied ich mich für das königsblau, alles andere wäre mir zu knabenhaft gewesen.

Ich war gestern tatsächlich noch aus. Erst sollte es nur ein kleiner Spaziergang werden, dachte ich. Dann schlenderte ich aber auf dem Rückweg an die Cafémeile vorbei und mein Blick verharrte auf einen kuscheligen Stoffsessel der draußen unter der Markise und doch mitten auf dem Gehweg aufgestellt war. Da ich eh ein Buch dabei hatte, wie so oft wenn ich das Haus verlasse, endschied ich mich kurzerhand dort Platz zu nehmen. Ich bestellte einen großen Pott Kakao mit Sahne, nicht mit Wasser, mit Milch.

Der Kakao kühlte recht schnell auf die Außentemperatur herunter, gefühlte 10°C, und ich schien unglaublich tief in meinen Schnulzenroman eingetaucht zu sein, denn sehr spät erst bemerkte ich den jungen Mann im Sessel an meiner linken. Ich blickte nur kurz auf, um mir eine Zigarette anzuzünden – was auch erklärt, wieso ich bei gefühlten 10°C überhaupt draußen sitzen wollte – da kreuzten sich auch schon unsere Blicke. Ich schielte Prompt auf seine Hände, was machte er nur alleine in einem Café? Ihn schien die gleiche Frage zu beschäftigen, denn er legte seinen Kopf zur Seite und versuchte den Titel meines Buches ausfindig zu machen. Schnell klappte ich es zu und legte es auf den Bauch, mit dem Cover nach unten, mir war es sichtlich unangenehm dass ich als Literaturstudentin einen solchen Schmöker in die Öffentlichkeit brachte und diesen auch noch öffentlich las. „Hätte ich mal lieber Kafka`s Kurzgeschichten eingepackt!“, dachte ich leise in mich hinein. Er hingegen las die Wirtschaftswoche, toll, das ist doch mal ein Statement.

„Was lesen Sie denn da?“, fragte er und riss mich damit gedanklich aus meinem Buchfundus, den ich im Kopf immer noch durchging auf der Suche nach einer möglichst eindrucksvollen Lektüre.
„Ach, nichts Besonderes. Etwas Seichtes um den Kopf zu entlasten.“, antwortete ich und bemerkte auf Anhieb, dass meine Worte eine gute Entschuldigung waren. „Und Sie lesen die Wirtschaftswoche, wie ich sehen kann. Aus beruflichen Gründen?“, fragte ich schnell zurück.
„Naja, nicht so wirklich. Ebenfalls etwas Seichtes, um den Kopf frei zu bekommen..“, lächelte er und zwinkerte mir dabei zu. Ah, der feine Herr denkt wohl, er sei besonders witzig. „Na dann, viel Erfolg noch bei Ihrem Vorhaben!“, gab ich entnervt zurück und griff mit meinen Fingern hastig nach meiner seichten Lektüre. Ich versuchte mich wieder ganz in die Geschichte zu vertiefen, aber es wollte einfach nicht gelingen. Irgendwie spürte ich seine Blicke auf mir, sehr wahrscheinlich nur bloße Einbildung, aber nun war ich abgelenkt. Selbst für eine so leichte Lektüre brauchte ich mehr Ruhe, Entspannung, einen freien Kopf eben. So konnte ich unmöglich lesen. Ich war bei einem langen Satz hängen geblieben, las ihn wieder und wieder und wollte ihn doch nicht so recht verstehen. Die Titelheldin war gerade dabei, sich ihren Boss aus dem Kopf zu schlagen. Gerade an diesem Punkt hätte die Geschichte nun wirklich interessant für mich werden können. Wie würde sie das machen? Und würde sie das schaffen? Gibt es ein Mittel, um einen Mann zu vergessen, um ihn aus seinem Herzen zu bannen? Wenn ja, dann wollte ich es jetzt wissen!

„Möchten sie noch etwas trinken?“, fragte die Bedienung und riss mich damit erneut aus meinen Gedanken. Überhaupt bemerkte ich nun, dass sie mich von oben bis unten musterte und ein schiefes Lächeln ihr Gesicht verzierte während sie in meine fast leere Riesentasse blickte. „Nein, danke“, erwiderte ich, „Ein bisschen was hab ich noch.“. Mit einem verächtlichen Blick starrte sie erneut in meine Tasse als wenn sie sagen wollen würde: „Mädchen, wie lange willst du dich denn noch an einem Pott Kakao festklammern? Wie arm bist du denn?“. Sie sprach diese Worte natürlich nicht aus, trotzdem war mir in dem Moment klar, dass sie sich gerade, mit einem einzigen Blick, ihr Trinkgeld verspielt hatte. „Ja genau, Sie dürfen jetzt gehen. Sobald ich was brauche weiß ich ja, wo ich Sie finde. Danke.“, und ließ meinen Blick nun erneut auf mein Buch schweifen während ich mit der rechten Hand nach der mittlerweile sehr leichten Tasse griff um auch den allerletzten Schluck zu vertilgen. Die Kellnerin stand noch neben mir und hatte diese Art der Provokation nun hoffentlich verstanden. Sie ging genervt und hinterließ mir noch ein leichtes Schnauben, sodass ich keine Minute später höchst höflich bei ihrer Kollegin nachbestellte.

„Das war aber sehr direkt“, kam von links und ich ließ erneut mein Buch in meinen Schoß fallen und schaute ihn fragend an. „Naja, ich meinte, da haben Sie die Bedienung aber spüren lassen, dass Sie ihre Art nicht mochten..“. „Genau, ich habe sie als aufdringlich empfunden, dann kann ich ihr das auch zeigen.“, antwortete ich sichtlich genervt. Ich wollte doch einfach nur meinen Schmöker lesen, wieso wollte mir das nur nicht gelingen?
„Ich heiße Mark“, sagte er und streckte mir seine rechte Hand entgegen. „Jessica.“, gab ich knapp zurück und schüttelte höflich seine Hand. Mir fiel direkt der leichte Druck auf, den er auf meine Hand ausübte. Nicht zu stark, als würde er einem Bauarbeiter die Hand geben, aber auch nicht zu leicht oder schlaff, als hätte er keine Kraft oder Angst, mich kaputt zu machen. Plötzlich bemerkte ich, dass ich ihn reizvoll fand.

„Und Sie wollen mir wirklich nicht verraten, was Sie dort lesen?“. „Ach, Herr Mark, ich würde es Ihnen ja glatt sagen, aber dann bekommen Sie vielleicht einen komischen Eindruck von mir“, kokettierte ich zurück. „Na, Fräulein Jessica, das können Sie ruhig mir überlassen. Erzählen Sie doch einfach ein wenig. Was ist nur so schlimm an dem, was Sie da lesen?“. Mir gefiel, wie es den Wink des Siezens gemischt mit der Anrede des Vornamens übernahm, er verstand wohl meinen Humor, bis hier hin. „Es ist ein typischer Frauenroman, gespickt mit viel zu vielen unrealistischen Vorstellungen von Romantik. Sie wissen schon, Mark, diese Art Bücher, die uns Frauen ganz schön den Kopf verdrehen und uns gleichzeitig für die Männerwelt versauen weil sie uns Vorstellungen nahe legen, die so nicht existieren, wir also nach dieser Art der Lektüre immer das Gefühl bekommen, den Richtigen noch nicht getroffen haben weil bisher kein Mann bereit war, das für uns zu tun, was die Figuren im Roman so alles tun.“, ich schnappte nach Luft. Mein Fehler, komme ich erst einmal in Fahrt wird es nicht so leicht mich zu stoppen. Ich sollte mich häufiger daran erinnern zu atmen. Obwohl ich nicht blond bin, muss das doch geübt sein. „Ach so, dieeese Art von seichter Literatur meinen Sie, Jessica.“. „Ich hoffe, Ihre Neugierde nun befriedigt zu haben. Und Sie, Mark? Wie kommt es, dass Sie gerade die Wirtschaftswoche zur Entspannung lesen?“, und schaute ihn dabei ungläubig an ohne so recht zu merken, dass ich meinen Rehblick direkt mit gezaubert hatte. „Gut, bloße Entspannung ist das nicht, aber ich bin der Meinung, dass wenn man sich für eine Sache richtig interessiert, sie auch entspannen kann ohne gleich unterirdisch seicht zu sein.“. Toll, das hatte gesessen. Schon wieder hatte es jemand geschafft, dass ich mich wie eine blöde, kleine Göre fühlte. Schon hatte ich keine Lust mehr auf eine Konversation mit Herrn Mark, blöder Kerl, für wen hält der sich denn? Ich weiß nicht, ob ihm das aufgefallen war, aber ich denke mal dass schon, denn mein Gesicht spricht Bände, selbst, wenn ich versuche mein Gesicht zum Verstummen zu bringen, keine Chance. Trotzdem sagte er: „Was machen Sie denn sonst so, wenn Sie nicht gerade halb auf dem Gehweg sitzen, Kakao schlürfen und einen Frauenroman lesen?“. So, wie er es sagte, fühlte ich mich auch nicht besser. Das war ich also für Außenstehende, ein infantiles Mädchen, dass an einem Samstagnachmittag nichts Besseres zu tun hat, als alleine in einem Café zu sitzen und sich von fremden Männern anquatschen zu lassen. Oje, sah ich etwa so aus, als sei ich auf der Suche? Oh bitte nicht! „Ich studiere“, brachte ich schnell heraus, zu schnell vielleicht, denn er schmunzelte als sei ihm klar, dass ich gerade versuchte, meinen Ruf zu retten. „So, Sie studieren? Was denn?“. Sprache und Literatur, so lautete meine gängige Antwort auf diese Frage, um es schnell verständlich zu machen. Aber daran dachte ich ja nicht einmal im Traum, es diesem Kerl jetzt noch so leicht zu machen: „Italienische Philologie im Hauptfach und neuere deutsche Literatur und Komparatistik als Nebenfächer.“, tönte ich und war mir sicher, die Folgefrage würde lauten: Was ist das denn? Philologie? Philosophie sagt mir ja noch was, aber Philologie? Und was ist Kompa.. Kompa.. Wie war das noch gleich? Ich bereitete mich schon auf meinen intellektuellen Siegeszug vor und setzte mich ganz aufrecht hin als er sagte: „Ah ja, sehr schön! Kommen Sie denn aus Italien?“, verflixt! Hatte er nicht zugehört? Phi-lo-lo-gie! Wusste er etwa, was es damit auf sich hatte? „Ja, meine Eltern kommen aus Italien. Und Sie so?“, brachte ich umgangssprachlich heraus, ein Frevel für eine Sprachwissenschaftlerin die gerade versucht, ihren Kitschromanen-Ruf zu verbessern.. „Ich komme aus Deutschland. Habe aber ein Jahr lang in Italien studiert, in Turin, vielleicht sagt Ihnen das ja was?“, und grinste mich breit an. Nun war es um mich geschehen – Ich war auf 180. Was bildete sich dieser Schnösel überhaupt ein? Ob ich Turin kennen würde? Also warf ich jegliche Resthöflichkeit über Bord: „Ja, schon mal von gehört. War selbst vor einigen Jahren dort, schöne Stadt.“, und griff mein Buch wieder auf und vergrub meine Nase so tief darin wie es nur möglich war. Ich konnte nur hoffen, dass der Wink ankam und er mich fortan in Ruhe weiter lesen ließ.

Aber ich hatte die Rechnung ohne seine Aufdringlichkeit gemacht: „Wollen Sie sich nicht zu mir setzen? Dann müssen wir nicht über zwei Tische reden.“, flapsig drehte ich mich um und konterte: „Schon, aber dann wird es für mich umso schwieriger, Ihnen aus dem Weg zu gehen um das Gespräch zu vermeiden.“. Doch, das hatte gesessen. Er schaute leicht entgeistert und ich genoss es so richtig dabei zuzuschauen, wie ihm sein blödes Grinsen aus dem Gesicht fiel. Tja, kleines Mädchen aber große Klappe, dachte ich und ein Schmunzeln drängte sich auf meine Lippen und breitete sich leicht auf meinem Gesicht aus. Leider schien Herr Mark das zu bemerken, denn daraufhin stand er auf mit Sack und Pack und rückte seinen Sessel zu meinem Tisch. Dann holte er die Zeitschrift und seinen Kaffee dazu und machte es sich gemütlich. Ich verfolgte den Vorgang und konnte gar nicht reagieren, wie erstarrt saß ich in meinem, bis dahin noch gemütlichen, Sessel und starrte und starrte. Er ließ sich in seinen Sessel plumpsen, beugte sich nach vorn und sagte: „Und, was machen wir heute noch?“. Wie bitte? Was hatte der denn gefrühstückt? Halluzinogene, Opiate oder eine Katze die ihm seine Synapsen zerkratzt hatte? Diesen Gedanken behielt ich lieber für mich, haben Magen und Gehirn auch nicht diese Art von Verbindung, nee, am Ende würde ich eh wieder wie die Blöde vom Dienst dasitzen. „Wie bitte?“, entgegnete ich ihm. Und er:„Ich wollte wissen, was wir heute noch machen..“, ja danke, das hatte ich dann doch verstanden, Wörter decodieren, das ist mein Beruf Schätzelein. „Ach so, das hatte ich nicht verstanden. Ja, was möchten Sie denn noch unternehmen, Herr Mark? Schwebt Ihnen etwas Bestimmtes vor?“. „Ich dachte heute Morgen ja noch an Kino, das Wetter ist ja scheußlich momentan, aber trotzdem bin ich froh, mich für das Café entschieden zu haben.“, ja er hatte verstanden, dass Beliebtheit genau so geht. „Und jetzt wollen Sie nicht mehr ins Kino?“, „Nein, jetzt nicht mehr. Wissen Sie, Frau Jessica, im Kino lässt es sich so schwer reden.“, „So, worüber möchten Sie denn reden? Aktien, Fusionen, Oligopole?“, ja, und damit hatte ich auch schon all meine wirtschaftlichen Begriffe auf den Tisch geknallt, die ich kannte. Hoffentlich ging er nicht weiter darauf ein, sonst müsste ich doch noch flüchten. Er fing an zu lachen und versicherte mir, er wolle über alles reden, nur bitte nicht über Wirtschaft. „Ah, lassen Sie mich raten, die Zeitschrift haben Sie vom Tresen weil Sie etwas lesen wollten es aber nichts Passendes für Sie gab?“, vermutete ich sicher, „Nein“, lachte er zurück und ich hoffte er ließ das Lachen bald sein, denn das trug gar nicht zu meinem Wohlbefinden bei, „Aber zugegeben, es gab nur einen Artikel, der mich wirklich interessierte und mit dem bin ich schon fast durch.“, oh, dieser Kerl hatte wirklich keine Ahnung von Frauen. Ich war also gerade zum Lückenbüßer seiner Langeweile avanciert, und wäre dann doch lieber die Unbekannte von Tisch drei geblieben, leider habe ich nicht oft die Wahl. „Ach so ist das. Ihnen ist langweilig, Herr Mark?“, und hoffte dass er nun verstand, dass ich auch nur ein Mädchen bin und so etwas wie Gefühle habe. „Langeweile würde ich das nicht nennen, aber Ihre Bekanntschaft zu machen schien mir tausend Mal spannender als einen Artikel zu lesen, den es morgen auch noch gibt.“, ah, jetzt hatte er es verstanden und damit gepunktet. Wir Frauen sind aber auch leicht gestrickt. „Da kann ich Ihnen nur zustimmen, hätte ich an Ihrer Stelle wohl genauso gemacht, hätte ich mich hier sitzen sehen.“, und wieder war seine Reaktion ein tiefes Lachen: „Sie sind von sich überzeugt, das mag ich!“, „Ich sitze hier schließlich alleine mit einem Buch im Café, denken Sie, das würde und könnte jemand machen, der sich selber nicht mag?“, „Wohl eher nicht“, stimmte er zu. „Also, was machen wir heute noch?“, fragte er erneut und ich befürchtete allmählich, dass seine Festplatte hängengeblieben war und sich unter seinen Klamotten ein Maschineninnenleben verbarg. Jetzt bemerkte ich erst, wie perfekt seine Gesichtszüge waren, er musste ein Cyborg sein, redete ich mir ein, und nahm mir damit auch gleichzeitig die Angst, von einem fremden Mann entführt zu werden, denn einen Nachmittag mit einem Cyborg hatte ich noch nie erlebt und das könnte eine Erfahrung wert sein. „Kino haben wir ja schon ausgeschlossen, weil wir lieber reden möchten. Was schwebt uns denn sonst so vor?“, konterte ich leicht amüsiert. Da saßen wir nun, zwei wildfremde Menschen die über ihre Tagesgestaltung sprachen ohne zu wissen, was der andere überhaupt mochte. „Ich bin dafür, dass wir die Location wechseln, weiter unten gibt es ein nettes Café in der eine Ausstellung eingebaut ist, vielleicht wäre das ja was für uns.“, sagte er ganz schön selbstbewusst. Ich hatte begriffen, dass er sich so schnell nicht abwimmeln lassen würde, andererseits hatte ich nichts Besseres zu tun und lesen konnte ich später immer noch. Außerdem wusste ich noch gar nicht, in welche Kategorie ich diesen Mark stecken sollte, zu schnell wechselte er von Nervensäge zu Unwiderstehlich, also gab ich uns die Chance, ihn noch als Nervensäge zu entlarven und stimmte zu. Dass ich keine Anglizismen mag, würde ich ihm später auch noch sagen.


© SofiaPierrot


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Beschreibung des Autors zu "Königsblau"

Teil 1 meiner "Königsblau-Reihe"

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