Die drolligen Kobolde


Es war der einundzwanzigste Dezember, der erste schöne Wintertag. Der Schnee
lag schon einige Wochen auf Wald, Flur und Feld. In der letzten, kalten Mondnacht hatte es erneut geschneit. Die strahlende Sonne ließ die Eiskristalle glitzern, als wären es kleine Diamanten. Der kalte Ostwind trug zu dieser Idylle bei. Mit großer Freude ließ er die Eiskristalle tanzen. Die europäischen Fichten und die Bergkiefern
ächzten knarrend unter der schweren Last des Schnees. Es war ein tiefes, feierliches Schweigen, es war keine Vogelstimme zu hören. Ein äußerst leises, kaum hörbares Knistern war von Zeit zu Zeit zu vernehmen, wenn der Wind die trockenen Rainfarne und Kugeldisteln bewegte.
Bei der Familie Keller herrschte geschäftiges, vorweihnachtliches Treiben. Mutter Keller war mit Backen und Kochen beschäftigt, die Kinder Katja und Timo halfen ihr dabei. Vater Keller spaltete das letzte Kaminholz vor dem Haus. Oma Keller strickte noch die letzten Maschen von Opas neuen Socken. Opa Keller war im Garten mit Schlachten beschäftigt.
Er war von kräftiger Gestalt und hatte ein liebevolles „ Opagesicht.“ Ein Kranz von schlohweißen Haaren zierte seinen Kopf. Seine blauen Augen und seine roten Wangen ließen eine Herzlichkeit ahnen. In seinen Mundwinkeln hatte sich der Schalk verborgen, und das wohlgeformte, kräftige Kinn deutete auf geballte Energie hin.
Im Dorf Breitenbach hielten sich zur damaligen Zeit alle Einwohner Tiere, die zur Weihnachtszeit geschlachtet wurden.
Opa Keller war für die gesamte Schlachtaktion zuständig.
Er war beim Schlachten eines Kaninchens. Opa Keller hatte schon das Kaninchen getötet, und das Tier hing an einem quer Ast am alten Birnbaum. Der Kopf des Tieres hing nach unten, und beide Hinterläufe waren mit einem Strick am Ast befestigt. Opa Keller hatte es schon soweit gehäutet, dass das Fell über den Ohren nach unten hing. Oma Keller rief zornig: „Wilhelm, willst du nicht endlich reinkommen, oder willst du als Eissäule erstarren?“ Opa unterbrach seine Arbeit, und trottete verärgert in Richtung Hauseingang. Das gehäutete Kaninchen ließ er am Birnbaum hängen.
In der Küche angekommen, stellte er sich an den warmen Küchenherd. Oma brachte ihm eine Tasse Bohnenkaffee, die er genüsslich schlürfte. Die beiden Enkelkinder Katja und Timo schauten durch das Küchenfenster nach draußen. Vor dem Haus stand nämlich ihr prachtvoller Schneemann, dabei drückten sie ihre Nasen an der Fensterscheibe platt.
Plötzlich und unerwartet riefen sie gleichzeitig, wie aus einem Munde: „ Opa, Opa,
da sind Kobolde am Kaninchen.“ Opa Keller ging zum Küchenfenster und schaute nach draußen.
Am Kaninchen taten sich drei Kohlmeisen gütlich. Sie hackten an den Fettstreifen herum, die der Schlachtkörper aufwies. Im Nu kamen noch zwei Kohlmeisen dazu. Sie kletterten sehr geschickt auf dem geschlachteten Kaninchen herum. Die Kohlmeisen hatten großen Hunger, denn keiner der Dorfbewohner hatte an die hungernden Vögel gedacht. Keiner der Dorfbewohner hatte Sonnenblumenkerne hingestreut oder Meisenknödel aufgehängt. Die Meisen wussten sich trotz allem zu helfen.
Opa Keller wollte sofort hinaus stürmen und die Meisen verscheuchen, doch die Enkelkinder hielten ihn an seiner Joppe fest. Sie bettelten und beknieten ihn, so dass er seinen Vorsatz aufgab.
Einige Male begann das Kaninchen leicht zu schaukeln, doch die Kobolde behielten ihre Position bei.
Es war ein Schauspiel besonderer Art, die Drei konnten sich nicht „ satt sehen.“
Die Meisen hackten immer kleine Fettstücken vom Kaninchen ab, danach flogen sie auf einen Ast vom Birnbaum. Dort angekommen hackten sie sich die Fettstücken
„schnabelgerecht“ und verzehrten sie. Danach flogen sie blitzschnell zum Kaninchen zurück. Ein hübscher Kleiber gesellte sich dazu, und die Meisen ließen ihn teilhaben.
Plötzlich und unerwartet tauchte hinter ihnen die Oma auf. Zornig rief sie : „Wer soll denn dann noch das Kaninchen essen.“ Dann begab sie sich mit einem Besen bewaffnet nach draußen, und verjagte die drolligen Kobolde.
Beim Abendbrot wurde von allen über das Erlebnis mit den Kohlmeisen heftig diskutiert. Letzten Endes bekam die Oma den „ schwarzen Peter.“ Sie hatte nämlich die gekauften Meisenknödel so weggeräumt, das diese nun unauffindbar waren.
Am anderen Tag begannen alle mit der Suchaktion. Mittlerweile war auch die neugierige Nachbarin Frau Höhne gekommen. Sie war aufdringlich und ließ sich von Kellers nicht abweisen. Die Höhne nahm an der allgemeinen Suchaktion teil.
Plötzlich ein freudiger Aufschrei aus dem Schlafzimmer. Die Nachbarin Höhne hatte
im Kleiderschrank hinter der gebügelten und der gefalteten Wäsche Etwas Ungewisses gefunden.
Es waren keine Meisenknödel ,sondern die Ostersachen vom vergangenen Jahr.
Eine Vielzahl von Waffeleiern, Schokoosterhasen und eine Unmenge von bunten Zuckerostereiern kamen ans Tageslicht.
Oma Keller schlug sich nach diesen Fund einige Male an ihren Kopf und rief, das macht das Alter, das macht das Alter.
Die missglückte Suche wurde eingestellt, und ich weis nicht, ob die Meisenknödel je gefunden wurden!


© Jürgen


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