Abseits vom Weg


Zu Beginn des Jahres 2016 wurde der Stieglitz zum Vogel des Jahres 2016.
Ich erinnerte mich an ein Erlebnis mit Stieglitzen, dass schon viele, viele Jahre zurück lag.
Ich bekam eine Einladung von einem guten Schulfreund, der in der Kreisstadt wohnte. Die Kreisstadt lag im Land Brandenburg. Bei seiner Einladung teilte er mir mit, wie ich auf den letzten Kilometer schneller und bequemer zu ihm gelangen könnte. Nach dem Autobahnschild, das auf die Kreisstadt hinweist, soll ich den nächsten Parkplatz aufsuchen. Dort führt ein gesperrter Waldweg auf diesen Parkplatz.
Dieser Waldweg ist gut zu befahren.
Ich fuhr schon einige Stunden auf der Autobahn ehe ich mit meiner RT 125/2 den beschriebenen Parkplatz erreichte.
Ein Schlagbaum versperrte den Waldweg, und links von diesem führte ein Trampelpfad entlang. Das Verbotsschild konnte mich nicht von meinem Vorsatz abhalten. Es war ein leichtes, mit meinem Motorrad auf den Waldweg zu gelangen.
Ich fuhr langsam und verhalten. Zum einen führten stellenweise Baumwurzeln über den Weg, zum anderen war er mit grünem Moos überzogen.Ich fuhr mit dem Motorrad wie auf einem Teppich.
Links vom Waldweg war ein Föhrenbestand mit dichtem Unterholz. Rechts vom Waldweg waren ältere Kiefern ohne Unterholz, und man konnte weit schauen.
Ab und zu schimmerten weiße Stämme der Birken hervor. Die Birken standen meisten zu zweit oder zu dritt. Links vom Waldweg war niedriger, öfter unterbrochener Erdwall. Auf diesem leuchteten die roten Früchte der Preiselbeere.
In der Luft lag ein Duft von frischem Harz. Es herrschte, bis auf mein Motorradgeräusch, eine wohltuende Stille im Wald.
Nach einer ca. dreißigminütiger Fahrt endete rechts der Kiefernwald, und Felder waren zu sehen.
Gegenüber links, des Waldweges war eine ziemliche große Waldlichtung zu sehen.
Nein, es war keine Waldlichtung, denn die typischen Pflanzen wie Fingerhut oder Fächerfarne fehlten. Es fehlten auch Baumstümpfe. Es war eine große Brachfläche, die vom Wald Besitz ergriffen hat. Sie war über und über mit verschiedenen Stauden, Kräutern und Gräsern bewachsen. Unter anderen mit Disteln, Königskerzen, Schafgarbe und geruchlose Kamille. Am Wegrand machte sich Rainfarn breit.
Vom Waldweg flog unerwartet ein Trupp bunter Vögel auf, und er verteilte sich auf der Brachfläche. An dieser Stelle waren tiefe Fahrspuren, in denen sich Regenwasser gesammelt hatte.
Ich hielt mit meinen Motorrad an, und zog den Zündschlüssel heraus. Danach stellte ich es auf den Ständer.
Als ich noch näher zur Brachfläche kam, konnte ich feststellen, dass der Schwarm aus Stieglitzen und Bluthänflingen bestand. Die Mehrzahl der Vögel waren Stieglitze.
Sie flogen geschlossen auf, um wieder nach 10 oder 15 Meter zu landen.
Die Vögel ernteten die Samen der nickenden Distel, sowie die Samen der Königskerzen.
Die Brachfläche war für die Stieglitze und Bluthänflinge das reinste Paradies.
Ich hatte Stieglitze am Stadtrand oder auch im lichten Park gesehen, jedoch nie so einen großen Schwarm.
Der größte Feind der Stieglitze, der Sperber, hatte das Revier der Stieglitze zum Glück noch nicht entdeckt.
Es sah aus, als erhebe sich für kurze Zeit durch den Wind ein buntes Band, das aber wieder schnell in sich zusammen fiel. Es waren nicht nur die Vögel, sondern das Gesamtbild der Natur, welches meine Augen und Sinne fesselte.
Der Föhrenwald war in einen alten Kiefernbestand übergegangen. Die Herbstsonne stand schon recht tief. Ihre gebündelten Strahlen zerschellten an den Stämmen der Kiefern. Ein Teil der Brachfläche lag schon im Schatten, das störte jedoch den Vogelschwarm nicht. Ein leises Summen und ein zartes Vibrieren lag in der Luft. Der blaue, wolkenlose Herbsthimmel thronte über dem Paradies. Aus dem entfernten dichten Föhrenwald war das Zetern eines Eichelhähers zu hören. Die Kühle des nahenden Abends nahm die angenehme Wärme des Tages gefangen. Sie ergriff auch mich und nahm von meinem Körper Besitz.
Die Sonnenstrahlen wanderten an den Kiefernstämmen immer weiter nach oben. Die Zeit verging wie im Fluge.
Das Schauspiel, erfasst durch meine Augen, wurde unterbrochen durch meinen Willen, den schönen, einzigartigen Ort zu verlassen. Ich kannte ja nicht die verbleibende Wegstrecke.
Bei meinen Freund angekommen, erzählte ich ihm von meinem Erlebnis. Er kannte diese einsame Idylle nicht.
Es war ein Herbsttag, an dem alles zusammenpasste: Die milde herbstliche Stille, die Sonne im Überfluss, der wolkenlose blaue Himmel, das versteckte Gold in den Bäumen, sowie das melancholische Rufen der Kraniche.
Es war ein Tag, der die Herzen, der Menschen öffnet.


© Jürgen


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