Der Ziegenbock Mirko


Die Familie Schäler besaß eine kleine Landwirtschaft von zwölf Hektar.
Sie hatten eigentlich alle Tiere, bis auf Pferde, die auf einen Bauernhof gehören.
Zwei deutsche weiße Edelziegen besaßen sie auch.
Der Bauer Fred Wachenbrunner schenkte der Familie einen weißen, deutschen Edelziegenbock. Wachenbrunner wollte den Ziegenbock nicht länger haben, weil dieser nur Unfug trieb.
Der Ziegenbock hörte auf den Namen Mirko. Die Rasse hat keine Hörner, sie ist hornlos. Es war ein großer, kräftiger Ziegenbock, und zwischen Brust und Bauch hingen Fellsträhnen herunter. Er war drei Jahre alt.
Das Quartier für Mirko war der Ziegenstall, wo die Ziegen Moni und Susi schon auf
ihn warteten. Im Ziegenstall waren auch Kaninchen, die zwischen den Ziegen herum liefen. Beide Tierarten bildeten eine Gemeinschaft, es kam auch kein Futterneid auf.
An der linken Seite im Ziegenstall befand sich der Kaninchenstall mit acht Buchten.
Die Kaninchen fraßen die Futterreste, die aus den Raufen und aus dem Trog fielen.
Klaus, der alle Tiere füttern musste kam mit Mirko auch zurecht.
Der Ziegenbock konnte in sehr kurzer Zeit alle Familiemitglieder von einander unterscheiden. Klaus, Mutter Schäler und seiner Schwester Elke war der Ziegenbock gut gesonnen.
Mirko ließ seinen Unmut und Ärger nur an Vater Schäler aus. So zum Beispiel,
wenn der Vater etwas in den Händen trug, versuchte Mirko ihn von hinten umzustoßen.Eines Tages stieß der Ziegenbock, aus reinem Übermut, das Leichtmotorrad, eine Fichtel-Sachs, um. Da war Vater Schäler mehr als sauer. Er wollte Mirko auf der Stelle schlachten.
Mit Müh und Not konnte Frau Schäler ihren Mann davon abhalten.
Eine weitere Unsitte von Mirko war, das er auf den Holzfeim, der im Hof stand,
sooft sprang, bis alle Holzscheide im Hof verstreut herum lagen.
Im Garten standen drei weitere Holzfeime. Ergab sich für Mirko die Gelegenheit,
dass die Tür zum Garten offen stand, sprang er auf die Holzfeime, und er begann mit dem gleichen Spiel. Ihn interessierte dann kein Gemüse, keine Rüben oder
Johannisbeertriebe.
Nach solchem Unfug sperrte Mutter Schäler den Ziegenbock in den Stall, dort musste er einige Tage aushalten.
Die Stalltür war zweigeteilt: Man konnte die obere Hälfte der Tür öffnen, und die untere Hälfte der Tür blieb verschlossen. Dieses bedeutete, dass man aus dem Stall
auf den Hof schauen konnte. Mirko stand mit den Vorderbeinen auf der unteren Tür
und schaute ständig dem Treiben auf den Hof zu.
Der Ziegenbock behielt trotz allem seine Streiche bei.
Einen besonderen Spaß bereitete Mirko das Treiben und Scheuchen der Gänse.
Diese flüchteten dann flügelschlagend und schnatternd vor ihm. Die Gänse verkrochen sich dann unter den Acker- oder Tafelwagen. Eines Tages fiel eine Gans
beim Jagen in die Jauchegrube, zum Glück hatte Elke es bemerkt. Dieses Vorkommnis wurde vor Vater Schäler geheim gehalten.
Es gab auch Tage, an denen Mirko freundlich und fast liebevoll war. Er ließ sich streicheln, und dabei beobachtete er sein Gegenüber auf das Genauste.
Mirko knabberte dann, mehr tastend, mit seinen Lippen die Person ab. Die Knöpfe hatten es ihm besonders angetan. Dieses bereitete ihm eine besondere Freude.


An vielen Tagen musste Klaus das Unmögliche vollbringen. Er musste alles auf
einmal durchführen: Ziegen hüten, Junggänse hüten, Kaninchenfutter suchen und Hausarbeiten machen. Seltsamer Weise bekam Klaus all diese Aufgaben in Griff.
Es war schon Spätsommer, da passierte ein großes Malheur. Mitten beim Grasen
rannten die Junggänse flügelschlagend und trompetend zum nahen Fluss.
Klaus ließ seinen Schulranzen fallen und rannte den Junggänsen hinterher.
Er erreichte die Gänse und nur mit „ Müh und Not“ konnte er sie auf das Feld zurücktreiben. Das Problem mit den Gänsen bestand darin, wenn sie einmal auf dem Fluss waren, kehrten sie nicht so schnell an Land zurück. Zum anderen waren ihre Deckfedern nicht überall geschlossen, so daß die Tiere sich schnell erkälten konnten.
Auf ihrer Futterstelle wieder angekommen, taten die Tiere als wäre nichts gewesen.
Aber oh Graus! Der Ziegenbock Mirko war im Begriff alle Schulhefte zu verspeisen.
Er war zwar angepflockt, doch die Kette reichte bis zum Schulranzen. Wütend schlug Klaus mit einer Gerte auf den Ziegenbock ein, der sofort das Fressen aufgab.
Klaus überkamen die Tränen und sie kullerten über seine roten Wangen.
Der Ziegenbock hatte das Rechenheft gefressen, und das Schönschreibheft zur Hälfte angeknabbert. Mirko schaute ängstlich zu seinem Hirten, und verhielt sich so, als wäre nichts geschehen.
Dem Jungen wurde ganz übel, und sein Körper fing an zu zittern. Wie sollte er nur
seinem Lehrer Fröhlich diesen Vorfall schildern. Klaus berichtete keinem von diesem Ereignis, selbst seiner Mutter nicht.
Am nächsten Tag, in der Schule, wollte Lehrer Fröhlich von allen Schülern die
Rechenhefte sehen. Die Kontrolle der Hausaufgaben führte er von Zeit zu Zeit selber durch. Das Rechenheft von Klaus fehlte natürlich.
Klaus erklärte dem Lehrer, warum sein Heft nicht da ist.
Ein Ziegenbock, der Schulhefte frisst, nein, das war kein Spaß. Wer sollte Klaus
die Geschichte glauben?
Die Schüler der Klasse tobten, schrieen und lachten. Des Lehrers Gesicht wurde immer röter, und es verschlug ihm die Sprache.
Solch eine Dreistigkeit eines Schülers war ihm in seiner vierzig jährigen Dienstzeit noch nie vorgekommen! Der Lehrer schlug mit seinem Zeigestock mehrmals auf das Pult, aber es kehrte keine Ruhe ein. Erst mit dem „Pausenklingeln“ verebbte langsam der Lärm.
Als Fröhlich wieder seine Sprache gefunden hatte, schickte er Klaus auf den Schulflur zum „ Eckestehen.“ Zum Schulschluss machte der Lehrer Fröhlich eine Notiz in das Deutschheft des Jungen. Zu Hause angekommen, zeigte Klaus seiner Mutter das Deutschheft. Sie griff instinktiv nach der Wäscheleine, die an der Küchentür hing.
Nachdem Klaus seiner Mutter alles berichtet hatte, zeigte er ihr noch das angeknabberte Schönschreibheft.
Am darauf folgenden Morgen ging Mutter Schäler mit Klaus in die Schule. Sie suchten Lehrer Fröhlich auf. Der Lehrer entschuldigte sich mehrmals bei Frau Schäler und dem Schüler. Danach kamen tagelang Schüler zu Schälers, denn alle wollten den Ziegenbock Mirko sehen. Mirko war nun der Größte und Klaus führte stolz seinen Ziegenbock vor. Zu Weihnachten bekam Klaus vom Lehrer Fröhlich ein metallenes Aufzieh-Auto geschenkt.


© Jürgen


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