Zweiunddreißig, oder geschrieben lieber 32, Jahre mussten vergehen, bis ich endlich verstand, was es, für mich, hieß eine Frau zu sein.

Eine Frau zu sein war nicht nur das Aussehen. Es ging nicht nur um Kurven und Haare und Makeup. Es ging nicht nur darum was man wann gegessen hat und wie viel davon. Es war en nicht nur die zu eng geschnittenen Hosen, die keiner Frau mit mehr als 60 kg auf den Rippen passten. Es waren auch nicht die ständigen Kommentare, ob man zu oder abgenommen hatte. Es war auch nicht nur der abwertende Blick, wenn man sich zur Abwechslung mal ne Pizza in der Mittagspause gönnte.

Es war nicht nur das Benachteiligt werden im Job, indem man entweder von seinem männlichen Chef gar nicht erst ernst genommen oder massiv unterbezahlt wurde. Es waren nicht nur die dummen Sprüche der anderen männlichen Kollegen, die einen als bessere Aushilfe ansahen, statt als vollwertiges Mitglied des Teams.

Es waren auch nicht die brutal schlechten Anmachsprüche, die man sich anhören musste, sobald man das Haus verließ. Oder das Pfeifen, oder das Grunzen.
Es war nicht das Gefühl nachts nicht allein rausgehen zu können, ohne sich zu fürchten. Oder das Gefühl der kalten Schlüssel zwischen den Fingern, wenn man eine dunkle Seitengasse entlang ging.

Es war so viel mehr als das alles.

Eine Frau zu sein bedeutete einer feindlichen Welt gegenüber zu treten und das jeden Tag aufs Neue. Es bedeutete für alles doppelt so hart zu arbeiten und das gleiche Ergebnis zu erzielen.

Und es bedeutete stark sein. Es bedeutete eine Geburt zu durchleben und danach die größte Verantwortung der Welt auf den Schultern zu tragen. Es bedeutete dieses kleine Wesen mit dem eigenen Körper zu ernähren und dabei noch auf sich selbst zu achten. Es bedeutete diesem Kind selbstlos seine gesamte Liebe zu geben und noch genug für alle anderen übrig zu haben.

Eine Frau sein war das aufregendste und schönste, was ich je war.


© Menschenblind


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Kommentare zu "Eine Frau sein"

Re: Eine Frau sein

Autor: Herbert Kaiser   Datum: 19.01.2023 17:43 Uhr

Kommentar: Hallo

Ganz hervorragend geschrieben, eine authentische Sichtweise, die ich als Mann gerne auf mich wirken lasse !
Die Doppelbelastung der Frau heutzutage und der ganze Druck sind gut nachvollziehbar.

LG Herbert

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