Was mach ich bloß?

In der Wiesenstraße Nummer zwölf wohnte Martha Krause mit ihrem Mann Alwin.
Sie wohnten in einem Mehrfamilienhaus. Martha Krause war sechundsechzig Jahre alt, und sie war bei allen Hausbewohnern beliebt.
Die Hausbewohner nannten sie „ Oma Martha“ oder einfach unser „Marthchen“. Die Kinder des Hauses nannten sie Tante Martha.
Martha hatte ein liebesvolles „ Omagesicht“, das jedoch etliche Sorgenfalten besaß. Ihr Gesicht zierte immer ein freundliches Lächeln.
Sie war fleißig und sie arbeitete trotz ihres Alters als Reinigungskraft in der Fleischerei Schönborn.
Ihr Mann Alwin war das ganze Gegenteil. Er arbeitete als Baggerfahrer in dem Altstofflager am Lerchenring.
Alwin war aufbrausend und manchmal auch bösartig. Seine Aussagen
lauteten meistens mit den Worten „ der hat was an der Bommel“ oder
„ den hat der Esel im Galopp verloren“.
Er hatte das Alter von vierundsechzig, und sein ständig rotes Gesicht wies auf reichlichen Alkoholgenuss hin.
Alwin war im Haus und auch auf seiner Arbeit nicht beliebt. Martha hatte
es mit ihm sehr schwer, da er auch noch uneinsichtig war. Er übertraf mit seinem Verhalten sogar so manchen Pascha im fernen Orient. Wenn Alwin aus dem Garten kam, ging er mit seinen schmutzigen Schuhen in
das Wohnzimmer und setzte sich in den grünen Ohrensessel. Er ließ sich dann von seiner Frau ein Bier bringen und brummte: „ Beeile dich
mit dem Mittagessen!“
Die ganze Haus- und Gartenarbeit lastete auf Martha, und wenn sie sagte: „ Alwin, hilf mir doch bitte mal“ dann erwiderte er stets: „du wirst
dich doch dabei nicht kaputt machen.“
Frau Krause konnte das Verhalten ihres Mannes einfach nicht verstehen. Schon jahrelang hatte er seine Martha nicht mehr umarmt, geschweige denn geküsst.
Sie trug schon lange den Gedanken einer Scheidung in sich. Martha hatte schon öfter mit ihrer Mutter über eine Scheidung von Alwin gesprochen. Ihre Mutter meinte:“ Ihr hattet eine kirchliche Trauung, und was Gott zusammen gefügt hat, das soll der Mensch nicht trennen!“
Martha traf sich jeden Freitag mit ihren Schul-Freundinnen im
Restaurant „ Zum alten Kurfürsten.“
Dort kam auch das Gespräch auf Alwin. Die dicke Bärbel meinte:
„ Martha, deinen Alwin hätte ich schon längst über den Jordan gejagt.“
Zu bemerken sei, dass die dicke Bärbel ihren Otto schon jahrelang unter
ihrer Fuchtel hat. Hedwig sagte mit einer Fistelstimme: „ Martha, du hast
deinen Mann vom ersten Tag eurer Ehe total verwöhnt, und das ist jetzt
dein Resultat.“

Hedwig war immer noch eine „ vornehme Jungfer“, sie hatte nie einen Partner gehabt.
Rosalinde, von Beruf war sie Krankenschwester, sagte: „ Ihr Alwin hätte
von Anfang an eine harte Hand spüren müssen.“
Rita, die Freundliche und Bescheidene, ihr Mann war vor fünf Jahren an Krebs gestorben meinte: „Es gibt aber auch Traummänner.“
Die dicke Bärbel sagte darauf mit lauter Stimme: „ Rita, die musst du mir erst einmal zeigen!“
Martha Krause sagte: „ Bitte streitet doch nicht wegen mir, ich muss eben in den sauren Apfel beißen und alles ertragen.“
Liesbeth hatte sich an dieser Auseinandersetzung nicht beteiligt, leise
meinte sie: „ Hört bitte auf mit eurer Diskussion, sonst schmeckt mir mein
Stück Schwarzwälderkirsch nicht.“
Danach verlief das Kaffeekränzchen in geordneten Bahnen.
Alwin blieb ein „ Stinkstiefel“, und er machte Martha weiterhin das Leben schwer.
Hochwürden Langrock hatte über seine Gemeinde erfahren, dass Alwin seine Martha mit Bösartigkeiten überhäufte. Bei seiner sonntäglichen Andacht schaute er zu Alwin und sprach von der Kanzel: „In unserer Gemeinde gibt es Söhne Gottes, die ihre Frauen schlecht behandeln. Schon in der Bibel steht, sorget stets und achtet eure Weiber.“
Die mahnenden Worte von Hochwürden Langrock prallten an Alwin ab.
Im Spätherbst erhielt Alwin einen Brief von seinem Bruder Georg. Georg
lebte schon etliche Jahre in Kanada.
Er lud Alwin zu einem Besuch zu sich ein. Alwin machte sich reisefertig,
und er fuhr per Schiff nach Kanada.
Martha Krause blieb allein zu Hause, und sie konnte sich endlich ein
wenig erholen.
Die Herbstsonne schien und die gelben Ahornblätter glänzten in der Sonne. Es war eines der letzten schönen Tage in Kanada. Die strenge
Kälte war schon unterwegs.
Georg lud seinen Bruder Alwin zum Angeln ein. Sie fuhren mit einem Kahn auf den See hinaus. Das Glück war ihnen hold, denn es bissen viele Barsche. Sie waren so vom Angeln begeistert, dass sie das heranziehende Unwetter nicht bemerkten. Es goss in Strömen und heftige Windböen schaukelten den Kahn hin und her.
Plötzlich gelang es einer starken Windböe den Kahn zum Kentern
zu bringen. Beide Brüder fielen in die stürmischen Fluten.
Georg konnte sich mit Müh und großer Not an das rettende Ufer retten.
Alwin jedoch ertrank in den reißenden Fluten.
Martha erfuhr erst nach Wochen von diesem fürchterlichen Unglück.


Trotz aller Bösartigkeiten und Schmähungen, die sie immer von ihrem
Alwin bekam, floßen ihre Tränen wie Sturzbäche.
Sie stellte eine elektrische Kerze an das Bild ihres Mannes. Einige Tage später, sogar eine Vase mit Blumen, die sie immer wieder erneute.
Sie trug nun von Stund an, schwarze Kleider.
Ihre Freundinnen und auch einige Gemeindemitglieder konnten ein solch ehrenhaftes Verhalten nicht verstehen.
Hochwürden Langrock meinte, Gott hat jetzt einen Erdensünder zu sich genommen.


© Jürgen


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