Sommer 1947

Zwei meiner Klassenkameraden, mit denen ich seit November vorigen Jahres auf einer Schulbank saß, wollten mir einen Gefallen erweisen.
Es waren Heinz Kolze und Otto Tenge die sich etwas ausdachten.

Bei Ottos Eltern hatten wir ein winziges Zimmer zugewiesen bekommen. Es war unsere erste Bleibe, seit wir wieder in Deutschland waren und die Lagerzeiten hinter uns lassen konnten.
Wir waren nur noch zu zweit, nämlich meine Mutter und ich.
Unsere Rita war bereits vom Quarantänelager ins Köthener TBC-Krankenhaus verlegt worden, ohne die uns auferlegte Quarantänezeit einhalten zu müssen.

Das alles wußte Otto und auch, dass meine Mutter und ich die Rita jede Woche besuchten.
Es war jedes Mal sehr umständlich und für unsere Muttl sehr anstrengend, denn wir mußten von Libbesdorf bis Rosefeld laufen, etwa 3 km, dort in den Bus steigen, der von Dessau kam und nach Köthen fuhr.
Am Köthener Hauptbahnhof war Endstation.
Von da aus wiederum gingen wir bis in die Wallstraße. Dort befand sich die "Rote Schule", die nach dem Krieg als TBC-Krankenhaus eingerichtet worden war.

Besuchszeiten gab es jede Woche am Mittwoch, Sonnabed und Sonntag, immer von 15.00 bis 17.00 Uhr.
Da wir von außerhalb kamen und auf den Bus, der zwischen Dessau und Köthen verkehrte, angewiesen waren, durften wir zu anderen Zeiten meine Schwester besuchen.
Wir mußten uns nur beim Pförtner melden, wurden eingetragen und der Besuch war genehmigt.

Sonntags entfiel für uns der Besuch, denn zu der Zeit fuhren nur wochntags die Busse zwischen den beiden Städten.
Für unsere Muttl war so ein Krankenbesuch eine derartige Strapaze, die sie nur einmal wöchentlich, und das auch nur mit meiner Hilfe, bewältigen konnte.
Wir zwei besuchten meine Schwester mittwochs, sonnabends fuhr ich allein.

Die Ernährungslage war in dieser Zeit selbst für die Kranken sehr bescheiden.
Meine Mutter war Invalidenrentnerin, sie bekam die Lebensmittelkarte 6, für diese Karte gab es die wenigsten Nährmittel.
Ich, als Schulkind und Minderjährige, erhielt die Lebensmittelkarte 5.
Eine kleine Ackerfläche besaßen wir nicht, ja noch nicht einmal ein Stückchen Garten.

Von unserem Wenigen sparten wir uns noch etwas vom Munde ab, nur um meiner Schwester mal ein wenig Suppe oder eine kleine Portion Kartoffeln mitbringen zu können.
Manchmal erbettelte ich ein Ei von der Bäuerin, bei denen ich arbeiten ging.

Otto, bei dessen Eltern wir wohnten, bekam unsere "Armut" und Muttls Verzweiflung mit. Vielleicht sprachen auch seine Eltern darüber.
Doch Tenges hatten selbst kein Land, lediglich ihren Garten, denn Herr Tenge war bei dem Großbauern als Melker angestellt.
Und sie hatten selbst acht Kinder, das jüngste war im Dezember 1946 auf die Welt gekommen.
Einige Wochen vorher waren wir in das kleinste Zimmer des Hauses eingewiesen worden.

Frau Tenge unterstützte mich, wenn die Muttl ihre Herzanfälle bekam, half mir dabei, sie ins Bett zu bekommen. Ohne diese Hilfsbereitschaft, wie hätte ich mit meinen 14 Jahren alles bewältigen sollen?

Und in diesem Sommer ließen sich Otto und Heinz etwas einfallen, um meiner Mutter und mir eine Riesenfreude zu machen.

Es war Anfang des Sommers, als die beiden aus den umliegenden Fluren nach Hause kamen und mir zögerlich drei Spatzen überreichten und sagten: "Die haben wir für deine Schwester geschossen, da kann deine Mutter eine Suppe kochen."

"Igitt", sagte ich, "das sind doch keine Tauben. Wer soll denn das essen?"

Otto meinte: "Wir haben uns das genau überlegt. In der Wildnis werden ebenfalls Wildvögel gejagt. und warum sollen wir da nicht Spatzen schießen?"

Viele Beispiele gaben sie noch an, schließlich sagte ich: "Das muß meine Mutter entscheiden."

Wir gingen mit den drei Sperlingen zu unserer Mutter.
Sie wollte anfangs ebensowenig davon wissen wie ich, konnte sich den Argumenten meiner Schulfreunde letztlich doch nicht verschließen.

So rupfte sie die kleinen Vögel, nahm sie aus, wusch sie und legte sie in einen Topf mit Wasser, eine kleine Zwiebel dran, etwas Salz und köchelte das ungewohnte "Geflügel".
Als es gar war, ließ die Muttl alles abkühlen und während sie dünne Nudeln an die Brühe tat und alles aufkochen ließ, klaubte sie das Fleisch von den kleinen Knochen der Spatzen ab.

Am nächsten Tag gab sie eine große Portion in unser Kochgeschirr, welches wir auf die Flucht mitgenommen hatten.
So ausgerüstet, auch noch mit zwei Augustäpfeln, fuhr ich nach Köthen ins Krankenhaus zu unserer Rita.


1998 Ingeborg Nieburg


© Cinnimie


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Beschreibung des Autors zu "Die Spatzensuppe"

Meine Oma möchte gern Feedback hören, da sie überlegt diese Geschichte mit in ihrem Buch zu veröffentlichen ^^ <3




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