Die Kaffee-Expertin.

Venedig ist der Traum vieler Liebender. Aber wussten Sie auch, dass in Venedig einst das erste Kaffeehaus Europas eröffnet wurde?

Sie wusste es. Während er bei diesem göttlichen Getränk lediglich warm und kalt unterscheiden konnte, hatte Sie eine wahre Vorstellung davon was guter und weniger guter Kaffee sei, konnte Kaffeemarken an ihrem Geschmack unterscheiden, brauchte die braune Brühe um morgens auf Touren zu kommen und kam bei guten Kaffee regelmäßig ins Schwärmen. Um es kurz zu machen - verglichen mit ihm war sie eine wahre „Kaffee-Expertin“.

Hingebungsvoll blätterte Sie die Seiten des Reiseführers und lass halblaut daraus vor:
„Du Liebling, in Venedig war nicht nur das erste Opernhaus Europas, sondern ist auch das älteste Kaffeehaus der Welt. Wenn wir in Venedig sind, dann müssen wir uns unbedingt das Café Florian am Markusplatz anschauen. Stell dir das mal vor: Barocke Deckengemälde, ein klassisches Orchester und eine Tasse wunderbaren Cappuccino oder Latte Macchiato. Das einzigartige Ambiente lassen die sich aber auch ganz schön was kosten. Hier steht auch dass es sich um Europas teuersten Cappuccino handeln dürfte – die Tasse umgerechnet 15 Mark“.
Er schluckte. Für diesen Preis konnte man in Deutschland ungefähr 6 Cappuccinos bekommen.

Aber was tut man nicht alles für seine Liebste. Urlaub ist dazu da, dass man dem andern eine Freude macht und auch seine Vorstellungen von Erleben in den gemeinsamen Plan integriert. Somit fing er an sich mit dem Gedanken anzufreunden Cappuccino für 15 Mark zu schlürfen obwohl er doch den wahren Wert gar nicht schätzen konnte.

Das Wetter meinte es gut mit ihnen. Sie hatten sich gerade den Dogenpalast und die Markuskirche angesehen und standen von Tauben umringt auf dem großen Platz. Die Sonne schien vom Himmel und ihr Blick schweifte suchend umher. Sie schien etwas erblickt zu haben und begann zielstrebig und wie hypnotisiert sich in Richtung eines Straßencafés zu bewegen. Er folgte. Beide nahmen schließlich auf den Stühlen Platz und lauschten andachtsvoll der klassischen Musik. Ein Mann an einem Flügel begleitete eine Sängerin und schon bald kam der Ober. Sie bestellten in radebrechenden Italienisch zwei Tassen Cappuccino und genossen das bittere Aroma und das exklusive Ambiente. Die Rechnung kam wie erwartet und er zahlte ohne mit der Wimper zu zucken 30 DM für zwei Cappuccinos.

Kurze Zeit später verschwand Sie und kam aber schon bald wieder zurück. Etwas blass im Gesicht stammelte sie: „Du ich glaube das ist gar nicht das Café Florian. Die haben nicht mal eine eigene Toilette“.

Oh Gott, er hatte sich in die Irre führen lassen. Schon kam im der Altherrenspruch „Mit einer Frau ist die Mark nur noch ein Zehnerl wert“ in den Sinn. Dann überlegte er kurz was zu tun sei. Er wollte sich seine Urlaubsstimmung partout nicht verderben lassen und außerdem was, wenn mir morgen alle tot sind? Sein anfänglicher Widerwille das Schicksal anzunehmen verblasste langsam und ein erschöpftes, irrsinniges inneres Schmunzeln hielt Einzug.

„Na dann gehen wir halt jetzt das richtige Café suchen“ presste er heraus. Ihr ernster Gesichtsauszug verschwand und sie wirkte erlöst und erleichtert, und er hatte sogar kurze Zeit das Gefühl als wollte Sie mit ihrem Blick sagen: Welch ein wunderbarer, verständnisvoller und großzügiger Mann.

Passanten wiesen ihnen der Weg. Und allen Lesern sei hiermit gesagt: Der Markusplatz geht um die Ecke und kurz nach der Ecke ist links das Café Florian!

Sie betraten das Kaffee und es war tatsächlich altertümlich und herrlich. Die Decke war mit barocken Gemälden geschmückt, die Wände mit Wandteppichen behangen und die Sitze mit rotem Samt überzogen. Und wieder kam ein Ober und brachte wenig später zwei wunderbar duftende Cappuccinos. Das Orchester war sogar noch besser und langsam begannen beide selig zu schauen, ein Mythos war Wirklichkeit geworden und Sie waren mitten drin.

Später wurde auch hier die Rechnung serviert. Und wieder legte er nun schon ein wenig weiser 30 DM für zwei Cappuccinos hin. Wollgemerkt das Orchester war inbegriffen. So kam es, dass beide an diesem Tag für 60 Mark Kaffee konsumiert hatten.

Auch so etwas ist eine bleibende Urlaubserinnerung. Die beiden sind schon lange nicht mehr zusammen. Aber immer wieder wenn er daran denkt, steigt in ihm ein Hauch des irrsinnigen, inneren Schmunzelns hoch.


© Karl Obermair


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