Wolken am Grashalm

© Dan Prescot

Es summte. Der Busch der an dem Schuppen hoch wuchs, summte vor Bienen. Weiße unscheinbare Blüten lockten allerlei Insekten an, aber vor allem eben Bienen. Zwischen dem Schuppen und dem Nachbarzaun ging ein Weg zu der Wiese. Dort standen eine Holzbank, ein steinernder Wasserspeier mit einer eingemeißelten Fratze, der aber niemals Wasser spie und rundherum waren verwilderte Beete. In diesen Beeten wuchs und wucherte das Unkraut. Doch es roch herrlich. Wilde Blumen wuchsen auf der Wiese, die immer zu lang war und selten gemäht wurde. Schmetterlinge flatterten unschlüssig von einer Blume zur anderen. An den Rändern des Gartens standen hohe Bäume die vom Efeu langsam erdrosselt wurden. Dicht, ganz dicht und geheimnisvoll waren die Baumkronen zugewachsen. Viele Vögel versteckten sich in diesem Kleinod, inmitten der Stadt. Über allem lag der Duft des kleinen Kräuterbeets. Je nach der Woche, ja sogar der Tag spielte eine Rolle, herrschte ein anderer Geruch vor. Mal scharf und wild, mal würzig und auch schon mal süß.
Die Blüten der Büsche und Bäume und auch die Blumen auf der kleinen Wiese kleideten den Garten in ein lebendes Gewand das sich im Wind bewegte und mit den Jahreszeiten wechselte.
Wenn ich den Garten betrat, nahm ich eine Ausstrahlung wahr wie bei einem Menschen und fühlte seine Stimmung, die mich stets willkommen hieß.
Manchmal ließ ich mich in das Gras fallen. Links und rechts stiegen die Grasstängel in den Himmel und versuchten nach den Wolken zu stechen. Wie Zuckerwatte, eben Wolken am Grashalm. Der warme Wind bewegte die Wiese wie ein Haarschopf und flüsterte mir lustige Geschichten in die Ohren. Dabei malte er unsichtbare, geheime Zeichen auf meine Haut. Mal mit einem leichten Wogen wie in einem Ozean, mal als wild tanzender Derwisch.
Prickelndes Brausepulver gleich fühlte die Haut das Gras. Ein Bett aus grünem Traum. Wolken die über die Sonne zogen, morsten geheime Botschaften auf mein Gesicht.
Armeen von Käfer erkundeten die neue Landschaft, die plötzlich aufgetaucht war. Wenn ich die Augen schloss, huschten Schatten über die abgedeckte Netzhaut und ließ Geschöpfe entstehen, die ihre Gestalt und Charakter nur der Fantasie verdankten.
Dies war das vergessene Reich, der Ort an dem alles versprochen und nichts verlangt wurde. Hier war Geborgenheit die kein Mensch nehmen konnte.
Die Zeit hat ihren Tribut gefordert und die Insel mit sich genommen. Manchmal entdecke ich noch etwas von diesem Eiland. In einem Lied, einer Geschichte, einer Landschaft oder auch an einem Menschen. Doch das alles sind nur Bruchstücke um die Erinnerung wach zu halten. Als Ganzes gibt es den Garten nur noch in meinem Herzen, wo ich ihn oft noch besuche. Dann schreite ich wieder durch das Gras und höre die Vögel. Rieche die Kräuter und sehe die Wolken zwischen den Baumkronen ziehen. Dann wird lebendig was so lange schon gegangen ist.


© Dan Prescot


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