Ich bin mit meiner beruflichen und familiären Situation sehr zufrieden. Als Kundenbetreuer fahre ich viel mit dem Auto durch die Lande. Meistens schaffe ich es abends heim zu meiner liebreizenden blonden Gattin Gisela und unseren zwei Kleinkindern Peter und Gerda, mit denen ich in einem kleinen Häuschen im Neckartal wohne, aber ich muss auch schon mal ab und zu auswärts in einem Hotel oder Gasthof übernachten.

Neulich war ich nachmittags bei regnerischem Sauwetter auf der Schwäischen Alb unterwegs. Ich suchte eine kleine Firma in irgendeinem abgelegenen Kaff und folgte wie immer in blindem Vertrauen den knappen Anweisungen meines Navigationsgeräts. Die Straßen waren kurvenreich und wurden immer schmaler. Der Scheibenwischer kam kaum damit nach, die Wassermassen vor der Windschutzscheibe zu verteilen. Plötzlich stutzte ich. Das Auto schien in einen Höhleneingang zu fahren und ich bremste zögernd ab, aber das Navi schickte mich gnadenlos geradeaus weiter. Ich meinte, irgendwelche Tropfsteine am Rand des holprigen Wegs zu erkennen, sah dann aber einen lichten Punkt, auf den ich zusteuerte. Das war offenbar der Ausgang dieses seltsamen Tunnels.

Auf der anderen Seite herrschte Gott sei Dank plötzlich schönster Sonnenschein. Ich fand die kleine Firma, erledigte meine Aufträge und rief dann meine Heimadresse im Navi auf, da ich wirklich nicht wusste, wo in aller Welt ich mich im Augenblick befand.

Das Gerät schickte mich nun über Straßen, die ich noch nie im Leben gesehen hatte. Zum Abschluss landete ich vor einem winzigen Einfamilienhaus am Rande einer Kleinstadt und das Navi bemerkte knapp: „Ziel erreicht!“

Ich stieg aus uns schaute mich fragend um. Jetzt liefen zwei kleine Kinder auf mich zu, riefen laut „Papa ist da!“ und hängten sich an meine Hose. Aus der Terassentür trat eine dunkelhaarige Schönheit und winkte mir zu. „Schön, dass du zu Hause bist, Herbert!“ rief sie mir lächelnd zu. „Doris und Hannes, lasst euren Vater doch erst mal aussteigen.“

Soweit ich weiß, heiße ich Helmut. Das steht glaube ich in meinem Personalausweis. Die Dame trat auf mich zu und küsste mich auf den Mund. „Ich nehme deinen Koffer aus dem Wagen. Wasch dir die Hände. Heut gibt es geschmälzte Maultaschen mit Kartoffelsalat.“

Ich ließ mir nichts anmerken, nahm geistesgegenwärtig die zwei Kinder auf den Arm und trug sie ins Haus. Dort sah es genauso aus wie in meiner anderen Wohnung, die ich mit Gisela, Peter und Gerda bewohnte. Ich fand gleich die Toilette und das Bad und setzte mich dann an den Esstisch. Schließlich gab es mein Lieblingsgericht. Ich erzählte beim Essen von meiner Regenfahrt durch die Höhle und die Kinder lachten darüber und wollten auch mal wieder mit mir eine Höhle besuchen.

Dann brachte die Dunkelhaarige, die ich einer Eingebung folgend ab sofort „Schatz“ nannte, die kleinen Racker ins Bett. Ich nahm jetzt meine Brieftasche aus der Innentasche meines Sakkos. Der Personalausweis gehörte einem Herbert Schmitz. Ich schaute vor die Haustür. Dort stand am Briefkasten ebenfalls der Name Schmitz.

Ich bin mir aber ganz sicher, dass ich tatsächlich Helmut Bayer heiße und hier in Wirklichkeit bestimmt nicht wohne.

Nachdem sie die Kinder zu Bett gebracht hatte, legte die dunkelhaarige Schönheit ihre Arme um meinen Hals und küsste mich leidenschaftlich. Dann zog sie mich ins Schlafzimmer, riss mir die Klamotten vom Leib und bescherte mir einen nie zuvor erlebten Orgasmus. Diese Kunst beherrschte sie bestimmt besser als meine blonde Gisela in der Wohnung jenseits der Höhle.

Als der „Schatz“ eingeschlafen war, lag ich noch lange wach und überlegte mir, wie es weitergehen könnte. Wie die Dame heißt, werde ich wohl schon noch herausfinden, das dürfte das geringste Problem sein. Dann entschied ich mich, dieses neue Leben mit allen Konsequenzen einfach zu akzeptieren.

„Falls es Schwierigkeiten gibt, fährst du beim nächsten Regenwetter wieder auf die Schwäbische Alb, Herbert,“ murmelte ich beim Einschlafen.


© bruddlsupp


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Beschreibung des Autors zu "PARALLEL"

Könnte es eventuell noch ein Parallel-Universum geben?

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