1.) Meine Ommama


Meine Großmutter, die Ommama , war immer ganz in schwarz gekleidet . Ich weiß nicht, ob sie überhaupt andere Kleidung hatte.
Manchmal sah ich sie in ihrem langen schwarzen Rock , der fast den Boden berührte , in den Garten gehen , sie blickte sich kurz um , ging neben dem Misthaufen in die Hocke , und wenn ich angestrengt lauschte , hörte ich es plätschern…..
Fand ich großartig. Kein Kampf mit irgendwelchen Knöpfen, einfach laufen lassen. Das hatte ich zwar auch schon getan, oder vielmehr, das war mir auch schon passiert, aber nur ein Teil davon gelangte bis auf den Boden….
Ommama war damals schon über 80 Jahre alt und hatte das verschrumpeltste Gesicht, das ich jemals gesehen habe, immer umrahmt mit einem schwarzen Kopftuch. Ich kann mich nicht erinnern jemals ihre Haare gesehen zu haben.
Außer ihre Barthaare .
Manchmal stank die Wohnung nach verbrannten Haaren. Sie zündete einfach ein Stück Papier an, wischte mit der Flamme ein paar mal übers Kinn, und weg waren sie .
Sie stammte aus einer vorsintflutlichen Zeit. Vieles was sie umgab, und mit dem wir Kinder aufwuchsen und für uns selbstverständlich war, war ihr Teufelszeug.
Abends, wenn wir zu Bett gingen, mein jüngerer Bruder , sie und ich ( wir drei schliefen damals noch im selben Zimmer ) , wies sie mich immer an das Licht « auszublasen ».
Elektrizität gab es in ihrer Welt nicht. Sie sah auch keinen Zusammenhang zwischen dem Lichtschalter und der Lampe.
Ich ging dann zum Lichtschalter, blickte zur Deckenlampe, pustete angestrengt in die Richtung und betätigte den Schalter.
Wir Jungs kicherten uns in den Schlaf, für Ommama war die Welt in Ordnung...

Meine Eltern nahmen uns sonntags in die Kirche mit, aber so genau nahmen sie die Sache nicht. Man ging da hin, weil alle das taten. Das hatte nichts mit
Gottglauben zu tun .Schaden kann’s ja nicht, und man kam mal zusammen raus. Gebetet wurde zuhause nicht.
Einmal, ein Onkel war gerade zu Besuch, der Tossi , ein sehr frommer Mann , hörte ich meinen Vater laut und bestimmt sagen : „ Wer arbeitet , der kann auch freitags Fleisch essen !“
Der Onkel kam nicht sehr oft zu uns. Freitags nie.....



2.) Boooaah!!


Im Hof und im Garten liefen Hühner und Gänse herum, ein Schweinestall war auch da.
Die Tiere und der Misthaufen lockten Scharen von Fliegen an.
Wir Kinder waren ja keine Engel, aber da waren wir unschuldig!
Im Sommer waren die Fliegen überall, auch im Haus.
Manchmal waren sie alle im Haus, so schien es. Und da überall .
Wenn alles still war, hörte man nur ihr Summen. Es war ein einschläferndes Geräusch.
Wir hängten gelbe, klebrige Streifen an die Decke. Bald waren diese nicht mehr gelb. Eher schwarz . Wer nicht aufpasste klebte mit den Haaren daran.
Wir Jungs verbrachten so manchen regnerischen Nachmittag damit, die Fliegen mit einem Handtuch zu erwischen. Wir sammelten die erlegten auf und steckten sie dann auf einen grünen Kaktus.
Bis der auch schwarz war.

Wir spielten damals noch auf der Strasse Fußball. Das war kein großes Problem, so viele Autos gab’s noch nicht, jedenfalls nicht da, wo wir wohnten.
Brauchten wir auch nicht.
Geblutet haben wir manchmal auch so. Ganz ohne Autos .
Wir hatten auch einen großen Parkplatz einer Baufirma zur Verfügung. Abends und am Wochenende, wenn niemand arbeitete, war das unser Platz.
Manchmal flog der Ball über ’s Tor, aufs Gelände der Firma.
Wer drüberkletterte und ihn holte war ein Held, das sprach sich rum. Ich hab’s zweimal gemacht. Das zu tun war durchaus wagemutig denn:
Auf dem Gelände dieser Firma wohnten weiter hinten die Arbeiter, die „ Itakaliener “ , in Baracken.
Man sah sie nicht oft.
Wir Kinder vermuteten, dass sie „Katzenfresser“ waren , und sich deshalb versteckten .
Außerdem redeten sie in einer Geheimsprache, “ itakalienisch“. Jedenfalls immer dann, wenn sie wussten, dass wir sie reden hörten.
Deshalb dachten wir, dass sie uns beobachten.
Irgendwann fingen Wir an Sie zu beobachten, um rauszufinden , ob sie uns beobachten . Wir haben sie nie dabei erwischt.
Aber sie uns . Sie lachten und waren freundlich und redeten mit uns so, dass
wir sie verstehen konnten.
Ahaa ! Wenn die wollten, dass wir sie verstehen, dann redeten sie nicht mehr in ihrer Geheimsprache. Sonst immer . Die mussten doch was zu verbergen haben.
Unser Misstrauen wuchs.
Auch hatten wir beim Beobachten Katzen zwischen den Baracken herumstreunen gesehen. Einige von uns schworen: Fette Katzen....ahaaa .... Zuerst füttern, dann futtern.... wir zuhause machten ja das selbe mit den Schweinen.....
Später haben uns die etwas älteren Spielkameraden erklärt:
„ Das sind Italiener, die kommen aus Italien, die reden immer so. Italienisch .“
„ Ist das weit weg, Italien? „
„ Mmhmm , ziemlich ...“
„ Weiter als Amerika ?“
„ Glaub‘ nich‘ ...aber viel älter...“
„ So alt wie die Ommama ?“
„ Viel älter !“
„ Boaaaa!“



3.) Der Bach

Direkt hinter der Baufirma floss der Saalbach. Nicht sehr tief, mir ging’s Wasser bis zu den Knien, oder ein wenig höher. Nur an manchen Stellen konnte man schwimmen.
Irgendeiner von uns kam mal auf die Idee sich ein Floss zu basteln. Er nahm einfach zwei Fahrradschläuche, befestigte mit einer Schnur ein paar leichte, dünne Bretter daran und warf alles ins Wasser.
Wir waren begeistert, das war großartig. Hätte er vorher noch Luft in die Reifen gepumpt wär’s noch besser gewesen, aber er und wir alle waren so gespannt und aufgeregt....und in dem Durcheinander...
Und die Idee war klar.
Ein paar Tage später hatten wir alle ein Floss . Einige hatten groessere Schläuche , von Mopeds oder sogar Autos , und groessere Bretter....( wir mochten die Baufirma sehr )..... Wir waren Piraten, Fischer, oder entdeckten Amerika.
.
Für uns sah das Wasser sauber aus, es waren Fische zu sehen , ab und zu sogar ein Krebs .

Weiter hinten floss der Bach am Schwimmbad entlang.
Also....jetzt......um das mal klarzustellen : Nicht absichtlich !.... Der Bach war ja zuerst da, schon lange vor dem Schwimmbad, das hatte man uns glaubhaft versichert. Das Schwimmbad haben sie ja erst viel später dann da hingebaut . Schon vorher ist der Bach einfach so, ohne Schwimmbad, da geflossen. Der hat ja nicht von weitem gesehen: Heeee , da bauen sie’n Schwimmbad , da fließ ich mal entlang .... so dürft ihr euch das nicht vorstellen!
Der Horsti , fast ein Jahr älter als ich , hat’s mal so erklärt :
„ Weiter hinten, am Bach, da haben sie‘n Schwimmbad gebaut, und zwar, das weiß ich, viel später, und außerdem sicher absichtlich, weil, unabsichtlich ‘n ganzes Schwimmbad zu bauen, einfach mal anfangen und mal sehen, das
wär‘ ja’n riesen Zufall wenn da’n Schwimmbad d’raus wird, so was kommt sicher nur ganz selten vor , und warum sie’s ausgerechnet da gebaut haben , das war vielleicht nur Zufall, das hat vielleicht mit dem Bach garnix zu tun , wer weiß , vielleicht haben die den Bach gar nicht gesehen , vielleicht war auf der Landkarte , als sie ‘n Platz für das Schwimmbad gesucht haben , gar kein Bach eingezeichnet , und dann ham’se‘ s gebaut und jetz‘ ist die Kacke am dampfen , weil jetzt jeder denkt , dass der Bach am Schwimmbad entlang fließt, dabei ist’s doch andersrum , der war doch zuerst da , der kann doch gar nichts dafür.... das verdammte Schwimmbad ist doch ganz allein dran schuld , dass der Bach an ihm entlang fließt.... „

Das war damals unser aller Meinung und basta...!!



4.) Im Schwimmbad

(Weiter hinten, am Bach, da, wo sie das Schwimmbad gebaut haben)

An beiden Ufern waren Bäume und Büsche, fast ein kleiner Wald.
Auf einem der Bäume errichteten wir mit Brettern die wir auf dem Gelände der Baufirma „ fanden“ so was wie eine Plattform.
Da saßen wir und rauchten Lianen. War scheußlich, aber Tabak, das wussten wir schon, schmeckte auch nicht besser.
An einem Baum befestigten wir ein Seil und schwangen uns wie Tarzan an einer weniger breiten Stelle rüber ans andere Ufer, auf’s Gelände des Schwimmbads, kletterten über den Zaun und waren drin. So sparten wir das Eintrittsgeld, mit dem wir dann Schmalzbrote oder Suessigkeiten kaufen konnten.
Um die Schwimmbecken herum waren Wiesen, Bäume und Sträucher. Auch ein perfekter Ort zum spielen und baden.
Bald fanden wir heraus, dass auf den Getränkeflaschen Pfand war, 20 Pfennige für jede.
Wir suchten zuerst die liegen gebliebenen, dann fragten wir die Erwachsenen ob wir ihre leeren Flaschen haben könnten.
Manchmal fragten wir auch nicht. Kam drauf an, ob sie freundlich waren oder nicht. Freundlich waren sie, wenn sie sie uns gegeben haben.
Wenn nicht , dann nicht .
Wenn nicht, lenkte einer von uns sie ab, der Andere schlich sich hinter dem Busch ‘ran, und der fragte dann nicht, aber das ganz unauffällig.
Wahrscheinlich hat nie jemand gehört wie der nicht gefragt hat.
Wir gaben die Flaschen an der Kasse ab und hatten am Ende des Tages ein paar Mark zusammen.
Damit gingen wir am nächsten Tag zum Bäcker und holten uns Brötchen, dann zum Metzger, und ließen sie uns mit Wurst belegen.
Nicht , weil wir zuhause nicht genug zu essen hatten , nein , die schmeckten einfach so gut .
Vielleicht deshalb, weil wir sie selbst besorgten . Wie die Erwachsenen .
Mehr wollten wir nicht . Was Besseres konnten wir uns nicht vorstellen .
Wir gingen damit zum Bahndamm , dort , bei der alten Ziegelei , kletterten den
Damm hoch, stetzten uns oben hin und assen und waren vergnuegt und
zufrieden .
Wir pflueckten noch ein wenig Sauerampfer , danach ging’s nach hause , zum Essen, und weil’s da auch so gut schmeckte assen wir weiter .


© joma


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