Eine alltägliche Geschichte


Es war an einem Freitag und Klaus Koch war auf dem Weg zu seinem Arzt. Die Sonne meinte es gut und die Temperaturen hatten schon mächtig angezogen. Im Osten, weit weg, war eine dunkle Wand am Himmel zu sehen.
Klaus ging frohen Mutes zum Arzt, und die Wegstrecke betrug zirka zwei Kilometer. Eigentlich wollte er mit seinem Audi zum Arzt fahren, er konnte jedoch die Autoschlüssel nicht finden. Seine Ehefrau Eva war zuletzt mit dem Auto unterwegs gewesen. Der Schlüssel hing jedoch nicht, wie sonst, an der Flurgarderobe, wie Frauen eben so sind. Sie wollte am Sonntag von ihrer Mutter wieder zurückkehren.
Klaus hatte die halbe Wegstrecke zurückgelegt, als es zu tröpfeln anfing. Im Nu hatte der Himmel alle Schleusen geöffnet, es goss in Strömen. Nirgends eine Unterstellmöglichkeit weit und breit. In Kürze war Klaus so nass wie eine Katze. Er erreichte die Arztpraxis und hastete die zweiunddreißig Stufen empor. In der Anmeldung hinter der Brüstung saß die Schwester, Fräulein Gertrud Krause. Sie hatte schon einige Jährchen auf dem „Buckel“ und legte großen Wert darauf, dass man sie mit „Fräulein Krause“ anredete. Klaus legte seine nassen Arme
ohne jegliche Absicht auf die Brüstung, und es tropfte auf den Tisch, an dem die Krause saß. Sie sprang hoch wie von der Tarantel gestochen und rief: „Pfui, das muss doch wirklich nicht sein, können sie sich nicht vorsehen.“ Klaus stammelte einige Worte der Entschuldigung, worauf sie meinte: „ Die können sie sich sparen.“ Er war so durchnässt, dass er aus allen „Knopflöchern“ tropfte. Sie schien kein Mitleid mit seiner Situation zu haben. Unerwartet kam Schwester Karin aus dem Nebenzimmer. Sie rief. „Mein Gott, Herr Koch, sie werden sich noch den Tod holen, kommen sie doch bitte mit.“
Schwester Karin ging mit ihm in das kleine Labor. Hier musste er sich, bis auf die Unterhose, ausziehen. Schwester Karin gab ihm ein Handtuch und nahm alle seine nassen Kleidungsstücke mit. Klaus setzte sich nur mit der Unterhose bekleidet auf einen Stuhl am Fenster. Die Leute hasteten vorbei, die Kinder schrieen und die Autos hupten mitten im starken Regen. Es machte Klaus großen Spaß, die Menschen aus einem warmen Zimmer beobachten zu können. Nach einer geraumen Zeit kam Schwester Karin mit der Kleidung zurück. Diese war getrocknet und zusammengelegt. Klaus freute sich wie ein „Schneekönig“, und kleidete sich rasch an.
Danach ging er ins Wartezimmer, aber was war das denn? Da saß eine Frau wie ein Engel. Klaus verschlug es die Sprache. Verlegen und stotternd sagte er „Guten Tag.“ Sie schaute kurz auf, sagte etwas, und vertiefte sich wieder in ihr Buch.
Klaus verschlang sie mit seinen Blicken. Er hatte den Eindruck, dass sie Männerblicke gewohnt war.
Die hübsche Frau passte in sein Beuteschema. Sein Beuteschema gegenüber hübschen Frauen lautet, „ jung, hübsch und intelligent.“ Plötzlich und unerwartet fiel ihre Handtasche auf den Boden. Sie hatte diese auf den linken, freien Stuhl gestellt und war mit ihren Arm dagegen gekommen. Aus der Handtasche purzelten ein Lippenstift, Wimperntusche, ein Bräunungsmittel, blutroter Nagellack und ein Brillenetui. Klaus sprang hoch und hob das Etui und den Nagellack auf. Die junge Frau hob die übrigen Gegenstände auf. Beim Einsammeln der Gegenstände sprangen zwei Knöpfe ihrer Bluse auf. Sie trug unter der Bluse keinen Büstenhalter. Was war dass für ein Anblick!

Klaus schaute gebannt hin, ihm wurde heiß, und er zitterte ein wenig. Sie schien dies nicht zu bemerken, oder sie war solche Verhaltensweisen von Männern schon gewohnt. Die junge Frau hauchte leise „ vielen Dank.“ Sie schlug ihr Buch auf und begann zu lesen.
Auf einmal ertönte die Stimme von Schwester Karin, durch den Lautsprecher: „ Herr und Frau Meißner bitte ins Zimmer vier.“ Die junge Frau stand auf und verließ schnurstracks das Wartezimmer. Klaus Koch blieb sitzen, er schmunzelte still vor sich hin. Das wäre was, wenn die schmucke „Biene“ meine Frau sein würde, dachte er. Als er schließlich zum Arzt kam, tat Schwester Karin ganz verlegen. Nach dem der Arzt Klaus untersucht und das Zimmer verlassen hatte kam die Sprechstundenhilfe zu Klaus. „ Herr Koch“ sagte sie „es tut mir sehr leid, dass ich sie für den Ehegatten von Frau Meißner gehalten habe.“ Er fiel ihr ins Wort und sagte:
„Dass wäre viel zu schön, um wahr zu sein!“ Klaus war gerade dabei, Karin nach der Anschrift von Frau Meißner zu fragen, als der Arzt auf der Bildfläche erschien. Die Schwester legte geschwind den Zeigefinger auf ihre Lippen. Der Arzt, Doktor Kern, sagte: „ Herr Koch, sie sind ja immer noch hier. Draußen ist mittlerweile wieder strahlender Sonnenschein.“ Klaus befand sich schon auf der Straße als plötzlich jemand seinen Namen rief. Er drehte sich um und sah Schwester Karin, die ihm entgegen eilte. Sie rief schon von weitem: „ Wiesenstraße acht.“ Klaus hob seine Hände und spendete Applaus.
Auf dem Heimweg kam er wieder an der Wiese vorbei, auf der die vielen, bunten Blumen standen. Er pflückte einen bunten Strauß. Zu Hause angekommen stellte er den Strauß an das Bildnis seiner Ehefrau.
War es vielleicht sein schlechtes Gewissen? Abends im Bett konnte er nicht einschlafen. Klaus wälzte sich von einer Seite auf die Andere. Er wünschte sich, die
junge, hübsche Frau möge an seinem Bett stehen.
Man sollte stets mit dem zufrieden sein, was man besitzt. Eingedenk, dass alle Schönheit einmal vergeht!!


© Jürgen


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