Sechs metallene Doppelstockbetten, das Kopfende zur Wand, dazwischen Metallspinde. In der Mitte des Raumes ein langer, gescheuerter Holztisch und zwölf blank gesessene Stühle. Das war sein Knast-Zuhause.
Anfangs machte ihn diese Umgebung unsicher, nervös, ängstlich sogar. Aber das lag wohl mehr am radikalen Alkoholentzug. Er sparte nämlich die Medikamente auf, die er gegen den Entzug bekam. Hatte so begehrte Tauschartikel: eine Pille fünf Mark und mehr. Das war Kapital. Kaufte, als er sich eingelebt hatte, gegen die langweiligen Wochenenden Brotwein, Haar - und Rasierwasser, dieser Fusel hatte genug „Umdrehungen“. Hier drin konnte er mit dem Aufhören sowieso nicht anfangen. Oder vielleicht später, wenn keine Pillen mehr da waren.. Außerdem war er ja nicht in erster Linie deswegen hier.
Bald wurde ihm klar, dass hier alles über Körperkraft und Schnelligkeit lief, wie in einem Wolfsrudel. Er hatte körperlich einiges zu bieten, wurde also schnell akzeptiert. Aber er musste aufpassen, wachsam sein, durfte seine Gedanken und Gefühle niemanden sagen, sonst hätte ihn das Rudel zerlegt. Ihm kam auch entgegen, dass er nicht unbedingt Kumpels oder gar Freunde brauchte. Menschen sind im Gegensatz zu Tieren unberechenbar, wusste er.
Das Einzige, was ihm hier fehlte, war Sex. Und wenn nachts sein Obermann im Doppelstockbett den Rahmen vibrieren ließ, ein gedehntes Stöhnen dessen Erfolg und damit Ruhe ankündigte, war er angeekelt, aber auch ein bisschen neidisch. Er hatte wohl dieses Bedürfnis, das draußen sein Leben bestimmte, mit den Zivilklamotten abgegeben.
Im Zuhören war er gut. Es interessierte ihn, warum die anderen saßen. Und hörte: „...die Alte war schuld, hat mich provoziert bis zum Gehtnichtmehr“, „...die Bullen haben das so hin gedreht“, „...mein Rechtsanwalt war ´ne Niete“, „...was kann ich dafür, wenn an der Handtasche noch ´ne Oma hängt?“, „...typischer Justizirrtum“, usw., usw.
Da merkte er, dass er ohne jede Mimik innerlich lachen konnte: Ich bin der einzig Kriminelle, der einzig Schuldige in dem Haufen.Und ihm schien, als ob ihn das stärker machte, ruhiger, gelassener machte es allemal.


© grauschimmel


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Kommentare zu "Kriminell"

Re: Kriminell

Autor: Doris Demski   Datum: 15.04.2014 9:54 Uhr

Kommentar: Ein fesselnder und beeindruckender Text, - geht unter die Haut!
LG D.D.

Re: Kriminell

Autor: noé   Datum: 15.04.2014 23:03 Uhr

Kommentar: Uff! Harter Text, sehr intensiv.
noé

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