Die Welt steht still

„Warum?“ fragte er sich und trat wütend gegen einen Stein. der gegen den Reifen eines parkenden Autos prallte und dann in einem Gully verschwand.
„Weg, wie die anderen, Mist! Warum bin ich nicht mitgefahren. Die liegen jetzt sicherlich am Strand und haben jede Menge Spaß.“
Volkers Schritte wurden immer langsamer. Gleich war er zu Hause in seiner leeren Wohnung.
Tina war zu ihren Eltern gefahren, auch dazu hatte er keine Lust gehabt.
Eigentlich wollte er sich mal so richtig vom Stress der letzten Wochen erholen, lange schlafen, Frühstücken und es sich dann auf den Couch gemütlich machen. Ein bisschen fernsehen, chaten, Computer spielen und sonst nichts tun.
Aber nach 2 Tagen war es ihm schon so langweilig geworden, dass er mit dem Bus in die Stadt gefahren war.
In den Geschäften herrschte der übliche Trubel, die Cafes waren voll wie immer, die Menschen lärmten, schwatzten und lachten, so wie immer.
Nur für ihn schien die Welt still zu stehen. Er sah sich um, so viele Menschen und doch war kein bekanntes Gesicht zu entdecken.
Fremde Masken tanzten um ihn herum, lebten ihr Leben, ausschließlich glückliche Leben, wie es schien.
Es war Sommer, und da war man eben glücklich.
Er ging in den Park und setzte sich auf eine Bank.
Eine alte Frau saß ein Stückchen weiter auf einer anderen Bank.
Mit einem seligen Lächeln warf sie ein paar Tauben Brotstückchen zu.
Jedes Mal wenn sich die Tauben von der Bank entfernten, holte sie wieder etwas Futter aus ihrer Taschen und warf es auf den Boden.
„Hier meine Kleinen, holt es euch, koooommt…, kommt her zu mir!“,
murmelte sie dann jedes Mal.
„Gekauftes Glück!“, dachte er. Kopfschüttelnd verließ er den Park und ging wieder durch die Straßen der Altstadt.
An einem Brunnen saßen ein paar Männer mit Bierflaschen in der Hand. Neben ihnen standen Plastiktüten, in denen sie wohl ihren gesamten Besitz verstaut hatten. Sie prosteten sich zu und lachten.
Waren sie glücklich?
Sicher waren sie froh darüber, dass es Sommer war, dass es nicht regnete und sie leicht einen Platz zum Schlafen fanden, aber Glück –
war das Glück.
Dann hörte er Kinderlachen. Er sah sich um und entdeckte eine junge Familie mit einem kleinen Mädchen, das in einem Buggy saß.
Es hatte gerade ein Eis bekommen, schleckte daran und lachte dann wieder hell und fröhlich.
„Musstest das denn wirklich sein, ich drehe jeden Cent um und du kaufst ständig neue Sachen für dein blödes Auto!“ Ärgerlich sah die Frau zu ihrem Mann hinüber.
„Dafür arbeite ich ja schließlich den ganzen Tag! Man wird sich doch wohl mal was gönnen dürfen!“ antwortet der Mann erbost. Er drehte sich um und rannte in die entgegen gesetzte Richtung davon.
„Wo willst du denn hin!“ rief die Frau ihm nach. „Die Kleine muß ins Bett!“
„Die Kleine, die Kleine….!“, hörte man noch, bevor der Mann in der Menge verschwunden war.
Schniefend kramte die Frau in ihrer Handtasche nach ihrem Autoschlüssel.
„Dann fahren wir eben alleine nach Hause!“, sagte sie zu dem Kind im Buggy, das immer noch glücklich sein Eis schleckte und dabei seine Mutter anlächelte.
Glücklich - ja, das Kind schien glücklich zu sein.
Die alte Frau im Park und die Männer am Brunnen schufen sich ein kleines bisschen Glück, sie hatten wahrscheinlich schon bessere Zeiten erlebt - und sicherlich auch schlechtere. So waren sie jetzt mit dem zufrieden, was ihnen geblieben war – und manchmal waren sie vielleicht auch ein klein wenig glücklich.
Und was war mit denen, die durch die Geschäfte schlenderten oder in den Cafes saßen. Waren die glücklich?
Was war Glück überhaupt?
„Gemeinschaft, Gebogenheit und die Freude an kleinen Dingen,
ist das Glück“, fragte er sich, als er die Tür zu seiner Wohnung aufschloss.
„Ja, das ist es!“ rief er – glücklich - und nahm Tina,die gerade nach Hause gekommen war, in den Arm, wirbelte sie herum und gab ihr einen langen Kuss.


© Sigrid Hartmann


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