Als ich dich zum ersten Mal sah, war das ein ganz erhabener Augenblick. Wir alle kennen die Augenblicke im Leben, von denen wir wissen, dass diese von nun an zu unseren Lebensbildern gehören, weil sie von entscheidender Bedeutung sind. Bilder, die wir jederzeit abrufen können. Die uns glücklich machen, oder traurig.Bilder die so schrecklich sind, dass wir sie am liebsten aus unseren Erinnerungen verbannen wollen und Bilder die so wunderschön sind, dass wir immer von ihnen träumen wollen. Entscheidend ist ein Augenblick der alles verändern kann und sogleich ein Teil von uns wird.Eine Prägung.
Du riefst an und teiltest mir mit, dass du jetzt angekommen bist und vor dem Tor stehst, vor dem Haus in dem ich wohnte. Bis dahin hatten wir jeweils ein Bild voneinander im Internet gesehen und noch nie leibhaftig. Wir lernten uns über ein FachForum kennen, da wir beide ähnlich therapeutisch arbeiteten und tauschten uns da aus. Der Austausch wurde imLaufe einer Zeit immer persönlicher und irgendwann wussten wir, dass wir mehr voneinander erfahren wollten..Jetzt kam der besagte Tag.Du klingeltest nicht am Haus, sondern riefst an und ich drückte nicht auf den Türöffner, sondern ging den Hausgang runter zum großen Tor. Ich hielt für einen kurzen Moment inne, mein Herz klopfte, ich atmete durch. Uns trennte nur noch das Tor und wenn ich jetzt die Klinke des Tores runterdrücke und es öffnete, würden wir uns sehen. Ein Moment der alles offen läßt und daher einen Zauber inne hat. Es kann im nächsten Moment nichts sein, aber auch alles. Es kann bedeutsam sein oder unbedeutsam, aber dieser kurze Moment, der noch in seiner Unschuld nichts weiß vom nächsten,verspricht dir alles und nichts und ist daher so wunderschön verlockend und irritierend zugleich.
Ich öffnete das Tor und sah dich.
Draussen war es schon dunkel und die Strassenlampe unweit von dir erhellte ein Teil deines Gesichtes.Du warst mir immer noch so vertraut, wie zuvor am Telefon, bevor du zu mir fuhrst.Du gefielst mir gleich gut, aber es war die große Aura um dich die mich schier umhaute. Es war ein Augenblick in dem wir uns nur ansahen und lächelten." Guten Abend Lee!" "Guten Abend Ralph!Schön, dass Du hierher gefunden hast!"Eigentlich wollte ich gleich mit dir
in eine Studentenkneipe gehen. So hatten wir das vorher ausgemacht. Aber plötzlich hatte ich das Gefühl, dich nicht mit der Welt teilen zu wollen. Ich bat dich herein und machte das große Tor zu. Jetzt standen wir im Hausgang, vielmehr bewegten wir uns um uns herum während wir kurz darüber sprachen, noch einen Rotwein erst bei mir zu trinken bevor wir aus gingen. Erst dann umarmten wir uns zur Begrüßung. Zuvor war es die Ehrfurcht gewesen, die uns davon abhielt.Ich roch dich und fühlte dich kurz so nah und es war beides so gut.
Als wir an meiner Haustür ankamen, die nur angelehnt war, machte ich sie weit auf und bat mit einer theatralischen Geste herein"Monsieur!Darf ich Sie bitten einzutreten?"Wir lachten und nahmen in meiner Küche Platz. Du setztest Dich auf eine Bank an der Wand, ich auf einen Stuhl, zwischen uns ein alter Holztisch. Lou Reed schallte vom Wohnzimmer zu uns herüber, diesmal leise.Wir sahen uns an und wir ließen nochmals Revue passieren von unserem heutigen Kennenlernen über Internet, dann Telefon und die Autofahrt zu mir. Wir waren unbeschwert wie Kinder und dennoch selbst so überrascht über dieses Ereignis.Ich stand auf, holte uns zwei Weingläser,stellte sie auf den Tisch und machte eine Rotweinflasche auf, an der Küchenspüle. Ich stand mit dem Rücken zu dir und dabei drehte ich mich halb um, um dich zu sehen und wir lachten uns an.Es fühlte sich immer noch an, wie ein Wiedersehen und ich dachte mir kurz, welche Merkwürdigkeit es doch war, jetzt mit einem fremden Mann, der sich gar nicht fremd anfühlt, in meiner Küche zu sitzen und Gespräche zu führen wie mit einem alten Freund.Die Zeit verging ganz schnell und wir hatten uns viel zu sagen.Ich wollte dich immer noch nicht mit der Welt teilen.Irgendwann aber, hatte ich einen kurzen Augenblick in mir, wo ich das Gefühl hatte, dass es jetzt zu viel war an Zauber, an Eindrücken, an Nähe und ich das Bedürfnis plötzlich verspürte, alleine hinaus zu gehen,auf die Strasse.Durch die Nacht zu laufen und dabei erst mal durchzuatmen. Zuviel Glück auf einmal. Aber der Augenblick verschwand so plötzlich wie er kam. Im Nachhinein frage ich mich, war es mein Instinkt der mich warnte
vor etwas, was viel später eintraf?Kündigte sich da die Hölle schon an?


© Lee


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