Als ich dich zum letzten Mal sah, warst du tot. Du warst der erste
tote Mensch den ich bisher in meinem Leben sah. Mein Mann, mein toter Mann. In einem Beerdigungsinstitut hatte man Dich aufgebahrt. Ein grosser, halbrunder Raum mit einigen Kerzen. Ich war so erschrocken und gleichzeitig berührt, als ich dich erblickte.Ich erschrak nicht wegen dem Tod an sich, dem du jetzt gehörtest.Ich erschrak, was er aus dir gemacht hatte. Du warst ein Mann mit einer Größe von 1,86 cm und einem Gewicht von ca 90 Kilo. Du sahst jetzt aus wie ein Kind. Regelrecht zusammengeschrumpft an Gewicht und Grösse. Als hätte der Tod dir 45 Kilo weggenommen-einfach so. Was machte der Tod wohl mit der Hälfte deines Gewichtes? Auf einmal hattest du die Attribute zart und zerbrechlich und das war fremd. Ich ging näher zu dir hin, betrachtete dich. Dein Mund war etwas geöffnet, man konnte deine Zähne sehen. An deinen geschlossenen Augen gab es am linken inneren Augenwinkel einen schwarzen Punkt. Ich hätte ihn am liebsten weg gemacht,wie ein Sandkorn am Auge.Schwarzer Sandmann! Aber ich befürchtete, dass es vielleicht eine Naht sein könnte und ließ meinen Impuls nicht gewähren. Dein Hals war dicker und rot-blau. Deine Ohren hatten die gleiche Farbe. Du vergiftetest dich mit Insulin.Hatte es damit zu tun? Ob dein Gesicht eigentlich auch so aussieht, aber es für diesen Tag weggeschminkt wurde? Ich betrachtete nochmals dein Gesicht, so völlig anders im Ausdruck, entrückt. Ich hatte mir dich wie schlafend vorgestellt, aber das war es ganz und gar nicht. Es hatte nicht so einen friedlich, satten Eindruck. Traurig eher, sicher weil deine Mundwinkel leicht nach unten zeigten und eben entrückt. Ich sah zu deiner Stirn und dein Haar. Mir fiel Wolfgang Borchert ein, wie er in einem seiner Romane tote Soldaten im Schnee beschrieb. Wie die Haare, trotz des Tanzes im Wind, auch tot aussahen.So wie deins. Ich fasste es an. Streichelte über deinen Kopf.Dein Haar war so kühl. Sicher die Temperatur der Kühlung. Du hattest ein weißes, sehr einfaches Hemd an. Dem Beerdigungsinstitut brachte ich deinen Hochzeitsanzug mit. In diesem Anzug fühltest du dich so wohl und es stand dir so gut. Sie werden dich sicher später irgendwann umziehen, wenn wir weg sind und ich kann dich dann nicht mehr darin sehen. Noch eine Woche und wir würden erst unseren zweiten Hochzeitstag feiern. Aber jetzt liegst du da-tot und später ziehen sie dir deinen Anzug an.Hochzeit und Tod. Ein Stoff, der zu zwei entscheidenden Anlässen getragen wurde. Ich legte meine Hand an deine Brust in der irrsinnigen Erwartung, dein Herz schlagen zu fühlen, oder ein auf und ab einer Atembewegung. Wirklich nichts mehr.
Deine Brust fühlte sich an wie eine Nussschale.So hart, so hohl innen. So erschreckend fremd. Ich fing an mit dir zu reden.Ich sagte, dass du ruhig gehen kannst und ich dir verzeih.Du sollst frei sein.
Der Frieden und die Liebe sollen bei dir sein, wohin du jetzt auch gehst, wo immer du jetzt sein wirst.Ich erzählte dir noch so viel und dabei flossen meine Tränen über meine Wangen und tropften auf dein Hemd, das nicht deins war und aussah wie ein Puppenhemd. Zum Abschied strich ich über deine Hände, die auch auf einmal nur noch die Hälfte waren. So ungewohnt zart.Diese Totenkälte ist eine vollkommen andere Kälte wie alles was wir kennen und mit nichts zu vergleichen. Weder mit kaltem Eisen, noch Schnee und Eis, noch sonst einer Form. Diese Kälte war für mich eine lebendige Kälte. Ein Paradoxum zu seinem Tod. In dem Augenblick, als ich deine Hände berührte, geschah etwas. Deine Totenkälte kroch durch meinen ganzen Körper hindurch und blieb da.Ich zitterte vor Kälte für den Rest des Tages.Meine Beine schmerzten,als würde ich mich mit ihnen, ohne Stoff auf der Haut, mit Eis bedecken.Auf der langen Rückreise war ich froh, nicht selbst fahren zu müssen. Meine Eisbeine waren unbeweglich.Am Abend war ich alleine zuhause. Ich machte mir ein heißes Bad und selbst in diesem sehr warmen Wasser war sie da, die Totenkälte-lebendig kroch sie überall durch meinen Körper und liess mich nicht los!Ich bekam spät in der Nacht Fieber. Das Fieber hielt drei Tage an. Die Kälte brauchte eine Woche um aus meinem Körper wieder zu verschwinden. Oh meine Seele!Was gibst du dem Körper auf? Reicht es nicht, dass du schon lahmst und nicht mehr tanzen
kannst?Soll die Trauer die in dir wohnt ein Kleid für den Körper nähen in dem du wohnst?Es wird immer eine Qual sein, es zu tragen.


© Lee


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