Da wo ich herkomme, gab es viel Suff, Prügel, Getratsche, Schulterzucken und trotzdem wurde nett gegrüßt und ordentlich getrauert, nur am Ende der Feiern ging meistens etwas schief.
"Pack schlägt sich, Pack verträgt sich" hieß es dann und "geh bloß nicht dazwischen, die schlagen sofort beide auf Dich ein". Die Frauen sahen danach aus, die Männer sahen danach aus.
Manchmal torkelten Männer betrunken in schweren Jacken und Mänteln zornig an unseren Zäunen entlang oder Frauen liefen bunt daher, grell geschminkt und hoch toupiert das Haar. „Die haan zu viel smekt“, sagten die Alten in den Fenstern dann und glotzten den Frauen scharf auf die Beine.
In manchen Häusern mussten wir auch die Spucknäpfe der Alten von den Priems in der Küche entsorgen. Alle hassten wir das Hochbringen aus den dunklen Kellern, seien es die Kohlen oder die Einmachgläser. Ab und zu wurden wir dort unten eingesperrt, zwecks Besserung in unserem Betragen.
In der Schule gab es Fingernägelkontrolle und bei schmutzigen Rändern kleine pfeifende Hiebe auf die Finger. Wussten wir etwas wieder nicht, klopfte eine Fingerkuppe hart auf unsere Hinterköpfe.
"Leben ist halt immer hart an Backbord, mien Dschung! Drum halt Di stief!" sagten sie zu Hause.
Jeden Morgen trieben uns die Werkssirenen los und am Samstag wurde von den ersten stolzen Autobesitzern der Lack geputzt und gewienert, während die Frauen Besen und Scheuerlappen kreisen ließen.
Wir Kinder mussten zu sehen, davor weg zu kommen.
Wir prügelten uns ums Eck, fern ihren Blicken. schlugen mit kantigen Stangen vom Schrottplatz wie Ritter auf uns ein, klauten Topfdeckel für unsere Abwehr.
Nach der Schulzeit entließen sie uns aus ihrer Welt ständiger Erniedrigungen und körperlicher "Züchtigungen", ließen uns hinaus aus den netten kleinen Arbeiterhäusern mit den schmalen Gemüsegärten vor den Teppichstangen.
Ach ja: und "drei Schläge auf den Hinterkopf erhöhen die Intelligenz" und "nen kleenen Klaps hat noch keen geschadet!" gaben sie mir mit auf den Weg.

Da kam ich her, in so was wollte ich nicht wieder hin. Rottete mich mit anderen zusammen, ein besseres Leben zu finden, drehten auch kräftig daran, auf keinen Fall so wie die Alten zu werden.
Heute kennen wir andere Scherben, das Glück zog sich überaschende Mäntel an und war meist nicht leicht zu erkennen.
Mehr und mehr geht ein freundlicherer Blick zurück, ohne Zorn.

Denn, es schien uns längst nicht mehr alles schlecht in den kleinen Häusern damals.
Man hatte uns dort lieb, klopfte oft bei uns an, gab uns nur frisch zubereitete Mahlzeiten und vieles davon kam aus den Gärten hinter den Häusern.
Wir lernten Radfahren und Rollschuhlaufen, bastelten zu den Feiertagen mit den Großen manches Geschenk.
Bei den Schularbeiten waren wir nie allein, ab und zu gab es auch Nachtisch oder es wurde Kuchen gebacken.
Abends gab es „Mensch ärgere Dich nicht“ und wenn wir im Bett waren spielten sie weiter „66“ um Groschen.
Wir Kinder liefen sofort zusammen, wenn ein Ball sich fand in unserer Straße, dann kamen die Väter dazu und feuerten uns an.
Wir fuhren auch zu den Verwandten, immer im Sonntagsstaat, und genossen deren Gärten und Torten.
Wir waren viel an der frischen Luft, denn sie wollten noch keine Stubenhocker dulden.
Und beim Elternabend war aus jeder Familie einer da.

Nur die Hühner hinter dem Haus schafften sie bereits vor unserer Geburt ab: wegen der Ratten.


© (c) Jörn Laue-weltring, Lingen 2013


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Beschreibung des Autors zu "Herkunft"

Gewalt in der Kindheit, Nostalgie, Heute und Morgen

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