Wie beruhigend so eine Glasflasche einfach sein kann.
Ein wenig musste er über diesen Gedanken lachen. Nicht das er ohne angefangen hätte zu zittern oder so, das nicht. Aber sie gab ihm halt doch ein gutes Gefühl. Sicherheit.
Und wir wünschen uns doch alle nichts sehnlicher als Sicherheit.
Er öffnet den Kronkorken, stapelt ihn auf die Anderen auf seinem Schreibtisch, dann trinkt er einen tiefen Schluck.
Seine Blicke gleiten durch die Gegend, bleiben an der Absinth-Flasche hängen. Ach, warum eigentlich nicht.
Früher liebte er die Zeremonie rund um das Absinthtrinken. Die gierigen Flammen die um den Zucker leckten, die Gemeinschaft mit anderen Leuten anzustoßen.
Jetzt goss er einfach etwas in sein Glas und leerte es in einem Zug.
Himmel, das brannte vielleicht. Dabei war das doch nur der 77er. Immerhin war sein Rachen jetzt sicherlich desinfiziert.
Schnell ein kühles Bierchen hinterher.
Er kaufte den Alkohol inzwischen in mindestens acht verschiedenen Läden damit es nicht so auffiel. Trotzdem hatte er immer das beklemmende Gefühl erkannt zu werden. Es war ihm peinlich. Darum kaufte er auch immer noch etwas harmloses dazu. Zum Beispiel Chips, als gäbe es eine kleine Party.
Aber er fühlte sich trotzdem schlecht dabei. Wegen seiner Schwäche. Seiner Abhängigkeit. Seiner ganzen Existenz. Er war sich seiner selbst peinlich.
Am billigsten wäre das abschießen wohl mit Sangria gegangen. Aber es schmeckte einfach nicht gut genug. Und irgendwo war er doch immer noch ein Genussmensch. Man kann halt auch einen ganzen Kasten genießen. Auch an einem Tag. Alles eine Frage der Übung. Und Übung, ha! Übung hat er!
In der Uni war es am Anfang komplizierter gewesen. Den Flachman hielt er für zu auffällig. Das musste einfach auffallen. Aber Cola-Korn, das ging. Er musste sich nur beim Mischen zurückhalten, damit es nicht zu blass wurde.
Er benutzt inzwischen deutlich mehr Deo und Parfum als früher, duschte sich jedes mal bevor er rausging, wusch seine Klamotten wieder und wieder, putzte immer wieder die Zähne. Und niemals verließ er das Haus ohne Kaugummi und TicTac. Irgendwie fand er den Gedanken erheiternd, dass er die TicTac immer wie aus einem Flachmann zu sich nahm. Irgendwer hatte ihm das mal so gesagt.
Aber immer erstarb sein kleines Lächeln wenn er sich fragte, ob es wohl gegen seine Fahne reichen würde.
Er guckt die Leute nur noch ungern direkt an. Sie halten ihn für unhöflich.
Ganz bewusst atmet er flacher und langsamer und von den Anderen weg. Er hat Angst. Richtiggehend Schiss davor entdeckt zu werden. Und dann vor der Verachtung. Dem Stigma. Einfach eine scheiß Angst.
Er blickt sich im Zimmer um, hilflos. Hebt die Flasche wieder an den Mund: Leer.
Also noch eine Neue. Nummer Zehn. Naja, es wurde ja gerade erst dunkel.
Nur das er irgendwann dann immer so oft aufs Klo muss, das nervt wirklich. Aber irgendwie muss es ja wieder raus.
Er dreht die Musik was lauter. Singt ein wenig mit. Ein schöner Song. Beruhigend. Noch ein Schluck. Den Kasten morgen würde er bei Rewe holen. Er drehte sich um. Verdammt, nur noch sieben Flaschen. Da musste er wohl vor der Uni dahin. Er hasste das. Am liebsten ging er immer nachmittags oder am frühen Abend. Dann wenn es brechend voll war. Unauffällig in der Masse verschwinden.
Morgen Abend war er auf einer Party eingeladen. Davor zum vortrinken mit einigen Bekannten verabredet. Sozialadäquates Saufen. Leider hilft es längst nichts mehr. Hat es das je?
Verdammt, er fühlte sich immer noch komplett nüchtern. Es änderte nichts an dem was es ändern sollte. Was er zu ändern hoffte. Egal, nicht dran denken. Hauptsache nicht dran denken. Noch ein Schluck.
Lieber ein wenig an der Ironie erfreuen, dass er für das Vortrinken morgen vortrinken würde. Nur konnte er auch diese Ironie nicht teilen. Auch nicht mit den Leuten morgen. Naja, kleine Geheimnisse haben ja auch was. Und das hier war sicherlich sein Geheimnis.
Ganz allein seines.


© Lorenz H. P.


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