„Hast du eigentlich je über die Konsequenzen deiner Handlungen nachgedacht?“, herrschte Sophie ihren Mann Bertram an.
Dessen Blick wanderte zu Boden.
„Natürlich nicht!“, fauchte Sophie. „Das ist wieder mal so typisch du, Bertram. Du denkst immer nur von A nach B, aber bis nach C kommst du nie.“
Kopfschüttelnd setzte sie sich in den großen Lehnstuhl. Ihre Gedanken rasten durch die Gegend und trotzdem fühlte sie sich seltsam erschöpft. Sie strich sich müde über die Augen und versuchte ein Lächeln aufzusetzen.
„Na, wenigstens hast du nicht die Kinder verkauft.“ Die Ironie ihrer Worte hallte in der darauffolgenden Stille wie ein drohendes Unwetter wider.
„Sophie, Schatz. Lass‘ mich doch bitte erklären, wie es dazu kam“, fing Bertram an, doch Sophie hob bestimmt die Hand und brachte ihn zum Schweigen.
„Deine Erklärungen kenne ich und ich habe gerade absolut keine Nerven dafür, mir eine weitere davon anzuhören. Was ich lieber wissen möchte, ist, wie du gedenkst, aus dem Schlamassel wieder herauszukommen.“
Sie erhob sich und kam auf ihn zu. Ihr Blick verriet, dass in ihr langsam die Wut aufstieg. Bertram hasste es, wenn er seine Frau enttäuschte. Er sah wie ihre Augen diesen fiebrigen Glanz annahmen, den sie immer bekam, wenn die Wut aus ihr sprach. Dazu tippte sie wütend mit dem Fuß auf die Erde.
„Ja, hm, weiß‘ ich noch nicht genau.“
„Ach, der Herr weiß‘ es noch nicht. Du kannst hinter meinem Rücken in das größte Casino der Welt fahren, dir zwei Prostituierte aufs Zimmer bestellen und einen ganzen Vorrat Champagner in nur einer Nacht versaufen, aber du hast natürlich keine Ahnung, wie du das Geld dafür auftreibst. Hast du in solchen Momenten nicht ein einziges Mal das Gefühl, dass du etwas falsch machst in deinem Leben?“
Herausfordernd sah sie ihn an. Bertram versuchte ihrem Blick auszuweichen und suchte vergeblich nach einer guten Ausrede. Nervös lockerte er seine Krawatte und ließ sich nun ebenfalls auf einen Stuhl fallen.
„Es ist an dem Abend der Betriebsfeier einfach so über mich gekommen. Dieter, mein Kollege, hat mir solange in den Ohren gelegen, bis ich mir auch ein Bier genommen habe. Du weißt doch, wie schlecht ich Alkohol vertrage. An sich war das Ende nicht meine Schuld.“
Sophie war fassungslos. Wie konnte er allen Ernstes die Schuld auf ein Glas Bier schieben?! Sie verkrampfte und zwang sich, Ruhe zu bewahren. Wenn sie ihm jetzt die Tür wies, würde sie alleine auf dem riesigen Schuldenberg, den ihr, ach so feiner, Ehemann ihnen beschert hatte. Sie atmete tief durch und setzte sich vorsichtig wieder.
„Wie viel?“, fragte sie ruhig.
„Was, wie viel?“
Wütend gestikulierte Sophie mit den Armen. „Wie viel von unserem Geld hast du verschleudert?“
„Ja, keine Ahnung. Das müssen so an die 250.000 Euro gewesen sein oder irgendetwas in der Richtung.“
Sophie glaubte, einen Herzinfarkt zu bekommen, während Bertram ruhig in seinem Lehnstuhl saß und die Wand musterte. Sie stand auf, schenkte sich an der Bar ein Glas Wasser ein und kehrte zu ihrem Stuhl zurück.
„250.000 Euro, ja? Also, quasi alles, was wir für die Kinder gespart hatten und nochmal 50.000 Euro, die wir nicht einmal besitzen? Großartig, einfach großartig!“, brauste sie auf und schüttete ihrem Mann das Glas Wasser ins Gesicht.
Geschockt von dem plötzlichen Ausbruch seiner Frau stand er ruckartig auf und verließ den Raum, um sich frisch zu machen.
„Du haust jetzt nicht einfach ab. Du kommst jetzt sofort wieder hierher und klärst diese Sache mit mir!“, hörte er seine Frau toben.

Bertram wusste, dass es falsch war, dass er so viel Geld verspielt hatte, aber er hatte mit mehr Verständnis seiner Frau gerechnet. Sie hatte schon immer gewusst, dass er ein Spieler war, dem gerne mal die guten Benimm-Regeln abhanden kamen. Deswegen hatte sie sich damals auch in ihn verliebt. Damals vor 10 Jahren. Wie leidenschaftlich sie miteinander umgegangen waren damals. Ja, damals standen nicht das gute Ansehen und die intakte Familie im Vordergrund. Damals waren nur Sophie und er. Sie lebten in den Tag hinein wie es gerade kam und nahmen, was sie kriegen konnten. Doch als Sophie aus heiterem Himmel schwanger wurde, weil beide einmal die Verhütung vergessen hatte, änderte sich ihr Leben gewaltig.
Sie tauschten Sophies Cabrio gegen einen Mini-Van und das Zelt gegen eine große 3-Zimmer-Wohnung. Bertram musste sich einen Job suchen und Sophie hatte sich an das Leben als Hausfrau gewöhnt. Sophies Vater hatte ihrer kleinen Familie einen finanziellen Zuschuss gegeben. Schließlich wollte er seine Enkelin nicht auf der Straße aufwachsen sehen.
Und nun, nach 10 Jahren, hatte Bertram einen Job als CEO einer großen, internationalen Firma und Sophie war in dem Leben als Hausfrau und Mutter aufgeblüht. Sie führten ein durchschnittliches Leben, in einer durchschnittlichen Wohngegend, mit einem durchschnittlichen Garten und einem durchschnittlichen Familienleben. Spaß gab es in diesem Haus schon lange nicht mehr. Zumindest nicht mehr für Bertram.
Er hatte einen 12 Stunden-Job und wenn er nach Hause kam, war seine Familie schon im Bett. Seine Kinder Clara und Paul sah er zum Frühstück und nachts, wenn er ihnen einen Gute-Nacht-Kuss auf die Stirn drückte, bevor er selbst todmüde ins Bett fiel. Es wäre ihm nie in den Sinn gekommen, sich zu beschweren, denn eigentlich mochte er dieses Leben, aber zum ersten Mal war er der Meinung, dass sich etwas ändern sollte.
Bertram wischte sich sein nasses Gesicht an einem Handtuch ab und knöpfte sein Hemd auf. Er hörte das leise Klackern von Sophies Schuhen im Wohnzimmer und versuchte sich an die Zeit zu erinnern, wo er abends von einem kleinen Nebenjob zurückkam und Sophie nur mit einem Handtuch bekleidet im Bett auf ihn gewartet hatte.
‚Was habe ich nur falsch gemacht in meinem Leben? ‘, überlegte Bertram. ‚An sich habe ich alles, was sich ein Mann wünscht: einen guten Job, eine wundervolle Frau, eine Familie und ein eigenes Haus. Was sollte Mann mehr wollen? ‘
Er zog sein Hemd aus, schlüpfte in einen dunkelblauen Pullover und kehrte zu seiner Frau zurück.

Sophie hatte die Abwesenheit ihres Mannes genutzt, um sich zu beruhigen und eine Lösung zu ihrem 50.000 Euro-Problem zu finden.
Als sie ihren Mann auf sich zukommen sah, drehte sie sich automatisch weg, doch er nahm sie trotzdem in den Arm und hob sie ein wenig hoch. Ihr entfuhr ein leises Quietschen.
„Bertram, lass‘ das. Ich bin sauer auf dich.“, lachte sie.
Er drehte sie, so dass sie ihm direkt in die Augen sehen musste. „Weißt du, was uns Menschen ausmacht? Fehler, mein Schatz. Jeder macht Fehler. Und ich bitte dich eindringlich, mir meinen zu verzeihen. Ich weiß, dass es nicht leicht sein dürfte, aber vielleicht findest du irgendwann die Kraft dazu.“
Sophie war drauf und dran, ihm zu verzeihen.
„Bevor du aber mit dem Verzeihen anfängst“, fuhr Bertram fort, „möchte ich dir vorher noch etwas erzählen.“
Ihr Herz, eben noch auf Wolke 7 schwebend, rutschte aus und landete hart auf dem Boden der Tatsachen.
„Okay“, sagte sie gedehnt.
„Es wird dich im ersten Moment hart treffen, okay? Aber das wird vergehen. Okay, nun, ich habe ein Jobangebot von einer großen Marketing-Gesellschaft bekommen. Sie wollen, dass ich der neue Leiter ihrer IT-Abteilung werde. Und damit ich es mir auch ja nicht anders überlege, haben sie einen Vertrag mit der höchstmöglichen Zahlung plus eine Prämie von 250.000 Euro in ihrer Firma für mich hinterlegt.“
Sophie sah in Bertrams Augen, trat ein Stück von ihm zurück und verpasste ihm eine schallende Ohrfeige, bevor sie sich lachend in seine Arme fallen ließ. Freudentränen sammelten sich in ihren Augen und ihr Herz stand auf, als wäre nie etwas gewesen und schwang sich auf die höchste Wolke, die es erreichen konnte.
„Du bist so ein Idiot, Bertram. So ein Dummkopf! Du jagst mir so eine Angst ein, dass ich dachte, ich könnte nächtelang nicht schlafen, und dabei hast du das Problem schon längst an den Wurzeln gepackt. Kann es sein, dass du langsam zu einem vernünftigen Menschen heranwächst?“
Er nahm sie fest in die Arme und wirbelte sie ein bisschen herum. Obwohl er sich immer noch wünschte, 10 Jahre zurückdrehen zu können und die Sophie und das Leben von damals zurückzuhaben, so hatte er sich doch dazu entschieden, das Leben so zu leben, wie sie es vor gut 9 ½ Jahren mit der kleinen Clara im Arm begonnen hatten.


© GoldenShadow


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