Sie saß mit ihrem Neugeborenen glücklich im Krankenhausbett, drückte ihre Lippen immer wieder sanft auf diese kleine Stirn, bis es an der Tür klopfte und ein grinsender, stolzer Papa das Zimmer betrat. Er flüsterte behutsam: „Na wie geht es meinen beiden?“. Sie schaute von ihrem Baby auf und strahlte ihn an. Er trat an das Bett, legte seine Lippen auf ihre, gab ihr einen zaghaften Kuss, sein Blick wich von ihr, zu seinem kleinen Kind, er strich mit seinem Zeigefinger über die roten Wangen der Kleinen. Grinsend sagte er: „Gib sie mir mal...“ und bevor Sie antworten konnte, hatte er sie schon auf dem Arm und begann zu erzählen: „Neun Monate habe ich dir jeden Abend eine kleine Geschichte vorgelesen, wenn du nicht schlafen konntest, genau so, wie ich deiner Mutter jeden Abend vorgelesen hatte, wenn sie kein Auge zu bekam. Und auch du bist sofort ruhig geworden, hast aufgehört sie zu treten.“ Er gab der Kleinen seinen Finger, sie umschloss ihn sofort mit ihren Patsche-Fingern. Kaum zu glauben, wie fest ein Neugeborenes greifen konnte, es schien fast so, als würde die Kleine ihren Papa brauchen. Er begann erneut zu reden: „So ein kleines putziges Ding und dazu noch Meins. Mein Mä...“. Die Mutter unterbrach, hektisch aber gewohnt: „Sht. Hör auf, gib sie mir bitte...“ Er senkte seinen Kopf, setzte sich auf einen kleinen Hocker neben dem Bett, legte die Kleine in ihre Arme. Es begann ein wenig zu quängeln, er gab ihr wieder seinen Finger und sie wurde ganz ruhig, als er wieder begann zu erzählen. Während das Neugeborene in den Armen seiner Mutter lag und der Stimme seines Vaters lauschte, betrachtete die Kleine immer wieder die Lippen, wie sie sich zu diese wunderschönen Stimme bewegten, wie der Herzschlag seiner Mutter immer ruhiger wurde. Der Vater musste grinsen, seine Frau einschlief, zumindest vor sich hindöste. Ein wenig Schlaf tat ihr gut, nach einer anstrengenden Geburt. Das kleine Kind strahlte immer wieder, begann zu lachen, als sein Papa von dem kleinen Männchen erzählte, wie es einsam im Wald herum stiefelte und ein junges Mädchen traf, wie sie sich gegenseitig neue Dinge zeigten, alte wieder gaben. Wie das kleine Männchen, das so zerbrechliche Mädchen schrecklich verletzte, sie aber dennoch wieder zusammen gefunden hatten, wie sie holprige Wege gelaufen sind, aber seitdem ihre Hände nie losließen. Er erzählte dem kleinen die Geschichte ihrer Eltern, die selbe Geschichte, die er auch seiner Frau erzählte. Er sah wie eine Träne an der Wange seiner Frau hinab kullerte, als sie die Geschichte wieder hörte, er erzählte einfach weiter, bis zu dem jetzigen Zeitpunkt: „Und er wird sie nie nie nie wieder verlassen. Sie haben zusammen ein wunderschönes Kind und er wird seine wunderbare Familie nicht einfach aufgeben...Ich werde euch nicht verlassen, ich hab euch beide unendlich lieb, ihr seid Meine. Nur Meins. Meine Mädchen.“ Die Mutter nahm ihr Kind auf ihre Brust, drückte ein Ohr an sich, hielt das andere Ohr mit der Hand zu. Mit einem ernsten Blick und verweinten Augen schaute sie ihren Mann an, mit einer wütenden Stimme raunte sie: „ Geh! Verschwinde!“ Er schaute sie fragen an: „Nein, ich will bei meinen Mädchen bleiben.“
Sie wurde wütender, begann fürchterlich zu schreien: „Geh! Verschwinde! Vergiss deine Mädchen. Sie waren doch alle nur deine Mädchen!“ Er verstand nicht, er wusste nicht was geschah: „Was ist denn los Schatz? War es die Tage zu viel für dich?“ Sie verdrehte ihre Augen: „Oh Gott, versteh doch bitte. Ich bin nicht dein Mädchen, wir sind nicht deine Mädchen. Du hattest schon einmal zwei Mädchen, eine davon war ich, die andere kannte ich nicht. Bis ich ihr erzählte, wie liebevoll du mich „Mein Mädchen“ nanntest, wie sie mir erzählte, das sie zur selben Zeit, nur dein Mädchen war. Weißt du noch?“ Er antwortete genervt: „Das ist doch so lange her, lass uns das doch endlich vergessen.“ Sie stand auf, legte ihr Kind ins Bettchen, während es vor sich hin schrie. Sie begann wie eine Furie zu kreischen und holte Luft, als sie sich den kleinen Bleistift in ihr Bein rammte: „Vergessen? Es hat mich gebrochen, jede Nacht verfolgt, gehofft nicht mehr aufzuwachen. Ich war verdammt froh, als du wieder da warst, nur du und ich. Doch die Nächte haben mich weiter verfolgt, der Schmerz, er war einfach da. Ich bat dich nur, mich nicht dein Mädchen zu nennen und so wirst du unsere Tochter auch nicht nennen! Wir sind nicht einer deiner vielen Mädchen!“
Er schüttelte den Kopf: „Nimm den drecks Bleistift aus deinem Bein, langsam reichts, werd Erwachsen!“ Er ging ans Kinderbettchen, nahm die Kleine auf den Arm und flüsterte in ihr Ohr: „Merk es dir, mein Mädchen.“ Sie riss ihm seine Tochter aus den Armen, fiel mit ihr auf die Knie, beugte sich über die Kleine und begann sich immer wieder zu wiederholen: „Du bist nicht sein Mädchen, nicht einer seiner Mädchen. Du bist mehr. Wir sind nicht seine Mädchen, wir sind mehr.“ Sie schaute ihn nahezu besessen an: „Geh! Geh für immer! Da draußen gibt es genügend Mädchen, du darfst zurück kommen, wenn du diese Worte vergessen hast „Mein Mädchen“, wenn du beginnst, uns zu schätzen, als Individuum und nicht einer diese Mädchen! Mit jedem mal, mit jedem „Mein Mädchen“ hast du doch nur bewiesen, ich bin nicht mehr, nichts besonderes, nichts besseres, nur einer unter vielen. Ein Name für alle, ist auch einfacher als für jede einzelne sich mehrere zu merken!“ Er antwortete entsetzt: „Das ist unfair! Ich habe einmal diesen Fehler begangen, seitdem war ich immer für dich da.“ Sie begann zu seufzen: „Ich weiß, ich weiß. Aber du hast mich immer und immer wieder verletzt, mit jedem mal als du sagtest „Mein Mädchen“, sechs Monate voller Hass, Schmerz, dem Willen zu sterben wieder durchleben lassen, nur mit zwei beschissenen Worten.“ Er rannte wortlos raus, knallte die Tür hinter sich zu, fiel zu Boden, seine Hände über sein Gesicht zusammen gefaltet, keiner sollte sehen, dass er weinte. Niemals zeigte er Tränen.

Nun trennte sie nur diese Tür, sie eingeschlossenen mit ihrer kleinen Tochter, immer wieder mit den Sätzen im Raum klingend: „Nicht seine Mädchen, nein...nicht seine Mädchen.“ Er, ausgeschlossen, weggeschickt, verzweifelt. Es sind doch seine Mädchen. Seine Mädchen.


© Profan


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