Berthold Krauses Weihnachtsüberraschung


Berthold Krause war in eine kleinere Wohnung gezogen, und das am zweiten
Advent!
Die Umzugsfirma Schulze hatte den Termin etliche Male verschoben. Berthold bewohnte vorher eine Vierzimmer-Wohnung, jedoch seine Frau Maria war vor einem Jahr verstorben.
Berthold war groß von Gestalt und er besaß ein typisches Opa-Gesicht, dass zu jeder Zeit Freundlichkeit ausstrahlte. Berthold hatte das Alter von achtundsechzig erreicht, und war somit schon drei Jahre Rentner.
Er war ein angenehmer Mensch. Krause war immer umgänglich und hilfsbereit, und er besaß einen ausgeprägten Humor.
Nun wohnte er jetzt schon zwei Tage in der neuen Zweizimmer-Wohnung.
Er stellte sich mehrmals die Frage, wie werden die Mieter in diesem Mehrfamilien Haus wohl sein?
Berthold hatte keine Angehörigen, und sein ständiger Begleiter war sein Kater
Schnurr. Der Kater war rabenschwarz, bis auf seine weißen Pfötchen.
Als Berthold morgens am dritten Tag sein Abfall zur Mülltonne brachte, traf
er auf Frau Kiesewetter.
Er grüßte freundlich, jedoch sie erwiderte seinen Gruß nicht. Die Kiesewetter
legte gleich wie ein Rohrspatz los. Sie sagte zu Berthold: „ Wir sind ein gesittetes Haus, und sie sollten sich danach richten.“ Sie murmelte noch leise vor sich hin: „ Wen die heutzutage auch alles schicken!“
Am selben Tag traf Krause noch auf Edwin Küster, der in der fünften Etage wohnte. Dieser fragte den neuen Mieter: „ Eine Katze haben sie auch? Sorgen sie dafür, dass die nicht vor meine Tür kackt.“
Am späten Abend kam die Krankenschwester Fräulein Kunigunde Fröhlich nach Hause. Frau Kiesewetter fing das Fräulein Fröhlich schon im Hausflur ab. Sie sagte: „ Kunigunde, wir haben schon wieder einen neuen Mieter,“
und sie fuhr fort: „ Das scheint ein komischer Kauz zu sein.“
Das Fräulein antwortete: „ Man soll nicht vorzeitig über einen Menschen
den Stab brechen!“
Am späten Abend vor dem Einschlafen dachte Berthold, wie werden die anderen Mieter bloß sein.
Am frühen Morgen erwachte Krause durch lauten Krach im Treppenflur.
Es waren die Kinder Ralf und Timo. Sie sprangen immer beim Verlassen
des Hauses von Absatz zu Absatz.
Berthold war gerade beim Frühstück als es Sturm klingelte. Er öffnete, und vor der Tür stand Hausmeister Kubitzki. Der Hausmeister übergab Berthold eine Hausordnung, und er meinte: „ Damit sie wissen wo es langgeht.“
Es vergingen einige Tage und Berthold bereitete sich gedanklich auf den
Heiligen Abend vor, und begann mit den Vorbereitungen.
Er holte den Plastik-Weihnachtsbaum aus dem Keller, und suchte die Kerzenhalter, als es plötzlich klingelte. Er ging zur Tür und öffnete diese.
Vor der Tür, im Treppenflur, standen vier Personen.
Eine Frau im mittleren Alter, ein glatzköpfiger Mann und zwei hübsche Mädchen. Die Frau legte gleich los: „ Wir sind die Familie Bauer, und wir wohnen über ihnen. Berthold rutsche ein: „ Angenehm“ raus.
Die Frau fuhr weiter fort: „ Das ist mein Mann Gustav, und das sind meine beiden Töchter Susi und Elke.
Gustav sagte mit tiefer Stimme: „ Wir wollen uns doch mal den neuen Mieter
anschauen.“
Krause meinte: „ Ich wohne schon fast eine Woche hier, aber ihnen bin
ich noch nie begegnet.“
Die beiden Mädchen sagten gleichzeitig: „ Wir waren im Urlaub auf Mallorca
und wir sind erst gestern Nacht nach Hause gekommen.“
Die Frau sagte: „ Ich bin die Inge.“ Sie reichte Berthold eine Flasche
Weinbrand. An der Flasche hing ein Pappherz mit der Aufschrift
„ Auf gute Nachbarschaft!“
Krause bedankte sich. Er wendete sich ab, denn Freudentränen
kullerten über sein Gesicht. Von Stund an entstand eine feste Freundschaft zwischen Berthold und der Familie Bauer. Es war inzwischen der 22. Dezember, und Krause ging zum Bäcker Ludwig, um seinen Weihnachtsstollen ab zu holen.
Er bekam von der Bäckersfrau seinen Stollen, und sie fragte ihn, mit wem er den Heiligen Abend verbringe?
Berthold antwortete: „Wie immer, mit meinem Kater Schnurr!“
Die Bäckersfrau Gerlinde sagte: „ Berthold, du kannst auch mit uns feiern, wir würden uns sehr freuen.“
„ Nein, nein“ sagte Krause und er meinte: „ das hätte sich schon so eingebürgert!“
Einer seiner Skat Freunde, Dieter Hofreiter, sowie die Apothekerin Fräulein
Weiß wollten Berthold auch zum Heiligen Abend einladen.
Als Berthold am frühen Morgen, des 24. Dezember seine Asche in den Container bringen wollte, bemerkte er einen Zettel an seiner Türklinke.
Auf dem Zettel stand : „Lieber Onkel Berthold, wir laden dich um 17.00 Uhr
zum Heiligen Abend ein.“
Den Zettel hatte eins der Kinder geschrieben. Berthold Krause freute sich riesig über die Einladung. In der Regel lehnte er sämtliche Einladungen ab.
Berthold hatte für die Kinder Susi und Elke schon Geschenke. Für Susi eine
Babypuppe, und für Elke einen weißen Plüschhund.
Er ging nach oben in seine Wohnung und machte sich „ Land fein.“ Krause eilte zu Fuß in die Stadt. Beim Laufen überlegte er , was er Inge und Gustav bloß schenken könnte. Berthold hatte schon mehrere Geschäfte „ durchkämmt“ jedoch ohne Ergebnis.
Krause war abgekämpft, und er setzte sich auf eine Bank, die vor einem Spirituosengeschäft stand.
Er sah den Leuten zu, die das Geschäft betraten oder verließen. Unerwartet
setzte sich eine ältere Dame zu Berthold auf die Bank.
Sie kamen beide ins Gespräch. Die Dame berichte unter anderem, dass sie ihrem Schwiegervater, der schon über 80. sei, eine Flasche Eierlikör gekauft habe. „ Das ist ein passendes Geschenk,“ meinte Berthold. Er stand auf und verabschiedete sich von der Dame.
Der Spirituosen Laden war gerammelt voll. Es ging nicht voran, obwohl vier
Verkäuferinnen im Einsatz waren.
Es wurde geflucht, geschimpft und gestöhnt, und eine Frauenstimme sagte
ganz laut, „ Können sie alter Tollpatsch nicht aufpassen?“
Nach einer Ewigkeit war Krause am Verkaufsstand. Er kaufte eine Geschenkpackung mit weihnachtlichen Motiven. Der Inhalt bestand aus einer
Flasche Eierlikör sowie aus zwei feingeschliffenen Likörgläsern. In den vier Ecken der Packung hatte man je eine versilberte Weihnachtskugel gelegt.
Krause ging zufrieden nach Hause.
Gegen 17.00 Uhr machte sich Berthold für den Besuch, bei Familie Bauer fertig.
Er zog seinen schwarzen, vornehmen Anzug an, zu dem noch eine schwarze
Samtweste gehörte. Ein weißes Hemd, und ein silbern - gestreifter Schlips
machten ihn zum Gentleman.
Berthold schaute noch mal in den Spiegel, nahm die Geschenke und ging zur Familie Bauer.
Unter großem Hallo und mit so mancher Umarmung wurde er ehrlichen Herzens begrüßt.
Inge sagte: „ Wir wollten mit dem Abendessen beginnen, aber die Kinder
nerven uns so, deshalb fangen mit den Geschenken an.“
Es wurden vorher noch einige klassische Weihnachtlieder gesungen, wie
zum Beispiel „ Es ist ein Ros entsprungen „ oder „ Auf den Bergen wehet
der Wind.“
Danach wurden die Geschenke verteilt. Susi bekam eine Puppenstube und
Elke ein Kinderfahrrad.
Berthold Krause bekam eine Geschenkpackung, in der ein Schlips, eine
Fliege und zwei Manschettenknöpfe in gelbem Seidenpapier eingepackt waren.
Die Geschenke von Berthold für die beiden Mädchen, wurden von ihnen
nicht so richtig wahrgenommen. Die Puppenstube und das Fahrrad waren wichtiger.
Wie das Leben so spielt. Gustav schenkte seiner Frau auch eine Flasche Eierlikör, worauf diese meinte: „Da bin ich ja bis Ostern betrunken.“
Man begab sich in das Herrenzimmer. In einer Ecke stand ein prächtiger Weihnachtsbaum .
Zur damaligen Zeit war es typisch, dass Beamte ein Herrenzimmer hatten.
Obwohl Gustav nur ein „ kleiner Beamter“ war, ein Herrenzimmer war einfach
immer Pflicht.
In der Mitte, des Herrenzimmers stand die gedeckte Tafel. Inge hatte ihr
bestes Geschirr. sowie ihr silbernes Besteck extra aus dem Schrank geholt.
Man wollte sich gerade setzen, als es heftig klingelte.
Die Kinder eilten zur Wohnungstür und öffneten diese. Sie erschranken,
vor der Tür stand Hochwürden Langrock völlig eingeschneit.
Der Pfarrer hatte die Angewohnheit am Heiligabend, sowie zu Neujahr, seine
Schäfchen bzw. seine Gemeindemitglieder, auf zu suchen. Dabei ging es ihm
weniger um den Segen, oder um die wohlgemeinten Glückwünsche, sondern
um gut zu speisen und gut zu trinken.
Er war in allen Dingen immer zu erst auf sich bedacht. Seine Gemeindemitglieder kannten ihn und seine Marotten.
Trotz allem war er bei allen Gemeindemitgliedern beliebt. Hochwürden war ein guter Erzähler, er verstand es auch „ jedem nach seinen Munde zu reden“
und Witze hatte er zuhauf.
Es war fast eine königliche Tafel, es fehlte an nichts. Es gab Gänsebraten, geräucherte Forelle, Wienerwürstchen, leckere Schweinehaxen
und vieles mehr.
Die Erwachsenen tranken guten Sekt und preußisches Landbier, und die selbigen Getränke oft durcheinander.
Den Kindern schmeckte immer der Kakao und die pechschwarze Cola.
Es war viel Zeit vergangen. Inge und Gustav lösten die Tafel auf als es
erneut klingelte.
Gustav ging zur Tür, und er murmelte vor sich hin, es ist 22.00 Uhr und zu solch einer Uhrzeit macht man doch keinen Besuch mehr!
Er öffnete die Tür und da stand ein lebensechter Weihnachtsmann vor ihm.
Gustav stand da, wie vom Blitz getroffen, und Inge eilte herbei. Beide brachten kein Wort über ihre Lippen.
Der Weihnachtsmann sagte mit tiefer Stimme: „ Will mich denn keiner reinlassen?“
Der Weihnachtsmann betrat den Flur und Inge half ihm den nassen, roten
Mantel auszuziehen.
Unter seinem Mantel trug der Weihnachtsmann noch eine rote Samtweste.
Hochwürden Langrock war dazu gekommen, als er den Weihnachtsmann sah
schlug er ein Kreuz.
Alle gingen ins Herrenzimmer und Hochwürden nahm wieder in dem Sessel
platz. Als der Weihnachtsmann Krause sah, sagte er: „ Berthold , du bist auch
auf jeder Feier zu finden!“, was jedoch nicht den Tatsachen entsprach.
Der Weihnachtsmann erzählte ausführlich, dass der Bürgermeister Heinemann jedes Jahr einen Weihnachtsmann bestellt, der den ehrenamtlichen Bürgern Geschenke überreicht.
Da Inge Bauer auch ehrenamtlich tätig ist, erhält sie auch ein Geschenk. Der Überbringer reichte ihr ein grünes Päckchen. Sie packte das Päckchen aus, und alle waren neugierig auf den Inhalt.
Das Päckchen enthielt eine Flasche „ 4711“ sowie einen Jahreskalender. Inge freute sich über das Parfüm, aber Gustav meinte: „ Da stinkst du wie ein Wiedehopf!“
Darauf antwortete Berthold Krause, das seine Frau Maria das Parfüm auch geliebt habe.
Langrock und der Weihnachtsmann langten kräftig zu, so dass Inge noch
zweimal Speisen und Getränke aus der Küche holen musste.
Inzwischen war es 03.00 Uhr geworden, die Kinder hatte Vater Gustav schon vorher in ihre Betten gebracht.
Was sollte aber mit dem Weihnachtsmann und dem Pfarrer geschehen?
Beide waren sternhagelblau.
Gustav und Inge bugsierten Langrock auf die Couch ins Wohnzimmer,
kaum lag der Pfarrer auf dieser, fing er mit schnarchen an.
Den Weihnachtsmann betteten sie auf das Sofa, welches in der Wohnküche stand.
Berthold Krause war noch fast nüchtern, und er gab Inge einen Handkuss
und Gustav klopfte er auf die linke Schulter. Danach begab er sich zu seiner
Wohnung. Vor seiner Wohnungstür lagen drei Päckchen, in Weihnachtspapier verpackt. Berthold nahm sie auf, und er betrat sein Zuhause. Sein Kater Schnurr kam ihm freudig mit er erhobenen Schwanz entgegen. Der arme Kater musste recht lange auf sein Herrchen warten.
„ Jetzt werden wir mal sehen, was in den Päckchen ist“, sagte er zu seinem Kater.
Krause öffnete das erste Päckchen, es war von Frau Kiesewetter. Sie hatte ihm einige Plätzchen sowie eine Dresdner Stolle eingepackt. Ihn interessierte
vor allem der beiliegende Brief. Nach den üblichen Weihnachtsglückwünschen kam eine Passage mit Entschuldigungen. Sie bat ihn unter anderem, er möge ihr den barschen Ton und ihr Auftreten verzeihen.
Das zweite Päckchen war von Edwin Küster. Eine Karte mit Glückwünschen war auch im Päckchen, jedoch eine schriftliche Entschuldigung war nicht auf der Karte vermerkt. Des weiteren eine Flasche „ Schierker Feuerstein“ sowie
zwei Tüten Katzenfutter, der Marke „ Wiener Katzengold.“
Das dritte Päckchen war von Fräulein Fröhlich. Es enthielt ein Paar gestrickte Wollhandschuhe und einen dicken Schaal. Eine Weihnachtskarte war nicht im Päckchen, dafür stand auf dem Päckchen mit Rotstift „ Frohe, segenreiche
Weihnacht.“
Berthold Krause war so dankbar für die schöne Weihnachtsfeier, und jetzt
noch die Zuneigung und das Wohlwollen der Mieter.
Inge und Gustav umarmten sich, auf Grund der gelungenen Weihnachtfeier.
Beide rangen nach Luft, und über Inges Wangen kullerten Tränen.


Ihre Kinder schlummerten schon selig in ihren Betten.
Inge konnte lange nicht einschlafen. Der Mond und die güldenen Sterne
schauten durchs Fenster, und es begann sacht zu schneien.
Sie dachte an ihre Eltern und einige ihrer Tränen verirrten sich in ihrem Kopfkissen. Die Wohnzimmer- Standuhr schlug zur dritten Stunde, und danach schlief sie irgend wann ein.
Inge hatte das Schlafzimmerfenster angekippt, und von weither waren, ganz leise, Weihnachtsglocken zu hören...


© Jürgen


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Kommentare zu "Berthold Krauses Weihnachtsüberraschung"

Re: Berthold Krauses Weihnachtsüberraschung

Autor: Wolfgang Sonntag   Datum: 15.12.2022 16:00 Uhr

Kommentar: Lieber Jürgen,
eine schöne Geschichte aus dem Leben. Und zur Weihnachtszeit passt sie besonders gut.
Liebe Grüße Wolfgang

Re: Berthold Krauses Weihnachtsüberraschung

Autor: Angélique Duvier   Datum: 16.12.2022 13:38 Uhr

Kommentar: Lieber Jürgen,

eine wirklich sehr schöne Weihnachtsgeschichte!

Liebe Grüße,

Angélique

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