Ein Leben für Heidi

Es war kalt, bitterkalt. Heidi schleppte sich die menschenleeren Gassen entlang. Kein Mensch war zu sehen, bei so einem Sturm waren sie lieber zu Hause am warmen Ofen. Heidi weinte und die Tränen gefroren auf ihren blassen Wangen zu Eiskristallen.
Wo sollte sie hin?
Der Vater hatte sie aus dem Haus gejagt, weil sie ein Kind erwartete und es ein Kind der Sünde war, ein Balg.
Aber sie hatte den Vater des Kindes doch so sehr geliebt, nicht ahnend, dass er schon eine Familie, weit weg in der großen Stadt hatte. Und jetzt war sie hier allein, verstoßen und der Verzweiflung nahe und hoffnungslos. Was mache wir jetzt? Und bei dem Gedanken strich sie sich über den leicht gewölbten Bauch.
Sie lief weiter, wo konnte sie Schutz finden? Aber wollte sie das überhaupt? War es nicht besser für sie und das Kleine unter ihrem Herzen, ihrer beider Leben zu beenden? Wie sollte sie das Kind ernähren und groß ziehen? Allein, ohne ein Zuhause und ohne Arbeit?
Ihre Füße waren eiskalt, aber sie bemerkte es kaum. Die Finger eisig und klamm, aber was hatte das schon für eine Bedeutung?
Mechanisch setzte sie einen Fuß vor den Anderen, ohne zu wissen wohin sie sie trugen. Plötzlich stand sie auf der alten Brücke. Der Wind trieb ihr die Schneeflocken ins Gesicht und sie verschmolzen zusammen mit Heidis verzweifelten Tränen. Sie schaute auf den dunklen Fluss, der reißend unter ihr dahin floss und dachte an den alles beendenden Schritt.
Tu ich es?
Kann ich so mein Leben und das meines Kindes beenden?
Aber besser so, als ihm ein ungewisses, trauriges Leben zu geben.
Was konnte sie ihm schon bieten, außer Mutterliebe?

„Halt,“ rief in dem Moment eine Stimme hinter ihr. „Halt nicht, tun sie das nicht, es gibt immer einen Ausweg, aber das was sie gerade tun wollen, ist keine Lösung. Bitte beenden sie nicht ihr junges Leben, nicht jetzt und nicht heute am Heiligen Abend.
Er nahm Heidi an die Hand und führte sie zu seinem großen Auto.
Hier war es wohlig warm und Heidi fühlte sich so geborgen wie schon lange nicht mehr. Erst jetzt sah sie, wer sie von der Brücke geholt hatte, es war der alte Fabrikbesitzer, um den alle immer einen großen Bogen gemacht hatten. Er war schon alt, hatte einen Buckel und zog das rechte Bein nach. Wäre er nicht so reich und der Geldgeber vieler Familien in der Gegend gewesen, man hätte ihn sicherlich verspottet und missachtet.

Hab keine Angst mein Kind, ich bringe dich zu mir nach Hause und wenn du etwas aufgewärmt bist und etwas gegessen hast, vielleicht fasst du dann genug Vertrauen zu mir und erzählst mir deine traurige Geschichte. Mein Haus ist groß, viel zu groß für mich allein und ich wäre sehr glücklich, wenn du eine Zeit bei mir bleiben könntest.

Heidi blieb an diesem hl. Abend bei dem alten Fabrikanten und vertraute ihm ihre traurige Geschichte an.

„Ich habe die Lösung mein Kind. Ich habe, wie du weisst, keine Familie und bin sehr einsam. Es würde meine alten Tage um vieles glücklicher machen und mein Leben bereichern, bitte bleib bei mir“.
Und Heidi blieb.

Inzwischen war es Juli geworden und ein kleines Mädchen hatte das Licht der Welt erblickt . Gesund und wunderschön. Heidi war glücklich. Der hl. Abend vor einem halben Jahr hatte ihr so viel Leid, aber auch Glück gebracht. Sie lebte jetzt schon so lange in dieser alten großen Villa, wurde geachtet und sogar geliebt und sie war fast wunschlos glücklich.

Wochen und Monate vergingen, in dem alten Herrenhaus war viel Frohsinn eingekehrt und es ging wieder auf Weihnachten zu. Je näher der hl. Abend rückte, umso stiller und bekümmerter wurde Heidi. Der alte Fabrikant ahnte, was in dem Mädchen vor sich ging und riet ihr: “ ruf sie an, sonst kannst du nicht frei von allem Weihnachten feiern.“
Und Heidi rief mit zitternden Fingern in ihrem Elternhaus an.
Nach dem fünften Klingelton und einer gefühlten Ewigkeit, meldete sich ihr Vater am anderen Ende der Leitung. Er bellte seinen Namen in den Hörer und Heidi verließ schon fast aller Mut, aber ihr alter Freund und Beschützer war zu ihr getreten und lächelte ihr gütig zu. Heidi nahm allen Mut zusammen und sagte:“Vater ich bin es, dein Kind. Und ich habe eine kleine Tochter, ihr seid Großeltern geworden.“
Stille erfüllte den Raum.
Dann nach ein paar Minuten schnauzte der Vater in den Hörer:
“Ich habe keine Tochter mehr, sie ist vor einem Jahr von uns gegangen, also bin ich auch kein Großvater. Schert euch zum Teufel, ihr seid sündig und verdorben, du und ebenso dein Balg.“
Heidi wurde blass. Sie konnte nicht begreifen, was sie soeben gehört hatte. Es war doch kurz vor Weihnachten und sie war doch sein einziges Kind, seine Tochter.
Ihr wurde schwindelig und ihr alter Freund führte sie zum Sofa, ließ sie sich setzen und bitterlich weinen.
Als Heidi keine Tränen mehr hatte und nur noch ungläubig und still vor sich hinstarren konnte, immer noch ungläubig über das was vor Stunden geschehen war, nahm der alte Mann sie väterlich in die Arme und sagte:
“Vor fast einem Jahr hat dich mir an hl. Abend der Himmel geschickt. Du hast meinem Leben einen Sinn gegeben und mich zu einem alten, glücklichen Mann gemacht. Dein Vater hat dich verstoßen, aber ich möchte dich mit allen Rechten zu meiner Tochter und zu meiner rechtmäßigen Erbin machen. Ich weiß, du wirst mit meinem Geld das Richtige tun.“

Das ist jetzt schon viele Jahre her, der alte Fabrikbesitzer lebt schon lange nicht mehr und auch Heidi ist inzwischen eine alte, aber glückliche Frau geworden.
Sie hat das Erbe gut genutzt, so wie ihr alter Freund vorausgeahnt hatte.
Sie hat aus der alten großen Villa ein Heim für ledige Mütter gemacht und bietet vielen verzweifelten jungen Mädchen Hilfe und Schutz.
Inzwischen leite ich das Heim in Mamas Sinn weiter und jedes Jahr feiern wir Weihnachten ganz besonders, so wie auch heute, mit allen jungen Muttis und ihren Babys.
Und jedes Jahr brennt eine ganz besondere Kerze, im Angedenken an den alten, gütigen Fabrikbesitzer, der dies alles erst ermöglicht hat.

FROHE WEIHNACHTEN





©Angelika Marasch












Ein Leben für Heidi

Es war kalt, bitterkalt. Heidi schleppte sich die menschenleeren Gassen entlang. Kein Mensch war zu sehen, bei so einem Sturm waren sie lieber zu Hause am warmen Ofen. Heidi weinte und die Tränen gefroren auf ihren blassen Wangen zu Eiskristallen.
Wo sollte sie hin?
Der Vater hatte sie aus dem Haus gejagt, weil sie ein Kind erwartete und es ein Kind der Sünde war, ein Balg.
Aber sie hatte den Vater des Kindes doch so sehr geliebt, nicht ahnend, dass er schon eine Familie, weit weg in der großen Stadt hatte. Und jetzt war sie hier allein, verstoßen und der Verzweiflung nahe und hoffnungslos. Was mache wir jetzt? Und bei dem Gedanken strich sie sich über den leicht gewölbten Bauch.
Sie lief weiter, wo konnte sie Schutz finden? Aber wollte sie das überhaupt? War es nicht besser für sie und das Kleine unter ihrem Herzen, ihrer beider Leben zu beenden? Wie sollte sie das Kind ernähren und groß ziehen? Allein, ohne ein Zuhause und ohne Arbeit?
Ihre Füße waren eiskalt, aber sie bemerkte es kaum. Die Finger eisig und klamm, aber was hatte das schon für eine Bedeutung?
Mechanisch setzte sie einen Fuß vor den Anderen, ohne zu wissen wohin sie sie trugen. Plötzlich stand sie auf der alten Brücke. Der Wind trieb ihr die Schneeflocken ins Gesicht und sie verschmolzen zusammen mit Heidis verzweifelten Tränen. Sie schaute auf den dunklen Fluss, der reißend unter ihr dahin floss und dachte an den alles beendenden Schritt.
Tu ich es?
Kann ich so mein Leben und das meines Kindes beenden?
Aber besser so, als ihm ein ungewisses, trauriges Leben zu geben.
Was konnte sie ihm schon bieten, außer Mutterliebe?

„Halt,“ rief in dem Moment eine Stimme hinter ihr. „Halt nicht, tun sie das nicht, es gibt immer einen Ausweg, aber das was sie gerade tun wollen, ist keine Lösung. Bitte beenden sie nicht ihr junges Leben, nicht jetzt und nicht heute am Heiligen Abend.
Er nahm Heidi an die Hand und führte sie zu seinem großen Auto.
Hier war es wohlig warm und Heidi fühlte sich so geborgen wie schon lange nicht mehr. Erst jetzt sah sie, wer sie von der Brücke geholt hatte, es war der alte Fabrikbesitzer, um den alle immer einen großen Bogen gemacht hatten. Er war schon alt, hatte einen Buckel und zog das rechte Bein nach. Wäre er nicht so reich und der Geldgeber vieler Familien in der Gegend gewesen, man hätte ihn sicherlich verspottet und missachtet.

Hab keine Angst mein Kind, ich bringe dich zu mir nach Hause und wenn du etwas aufgewärmt bist und etwas gegessen hast, vielleicht fasst du dann genug Vertrauen zu mir und erzählst mir deine traurige Geschichte. Mein Haus ist groß, viel zu groß für mich allein und ich wäre sehr glücklich, wenn du eine Zeit bei mir bleiben könntest.

Heidi blieb an diesem hl. Abend bei dem alten Fabrikanten und vertraute ihm ihre traurige Geschichte an.

„Ich habe die Lösung mein Kind. Ich habe, wie du weisst, keine Familie und bin sehr einsam. Es würde meine alten Tage um vieles glücklicher machen und mein Leben bereichern, bitte bleib bei mir“.
Und Heidi blieb.

Inzwischen war es Juli geworden und ein kleines Mädchen hatte das Licht der Welt erblickt . Gesund und wunderschön. Heidi war glücklich. Der hl. Abend vor einem halben Jahr hatte ihr so viel Leid, aber auch Glück gebracht. Sie lebte jetzt schon so lange in dieser alten großen Villa, wurde geachtet und sogar geliebt und sie war fast wunschlos glücklich.

Wochen und Monate vergingen, in dem alten Herrenhaus war viel Frohsinn eingekehrt und es ging wieder auf Weihnachten zu. Je näher der hl. Abend rückte, umso stiller und bekümmerter wurde Heidi. Der alte Fabrikant ahnte, was in dem Mädchen vor sich ging und riet ihr: “ ruf sie an, sonst kannst du nicht frei von allem Weihnachten feiern.“
Und Heidi rief mit zitternden Fingern in ihrem Elternhaus an.
Nach dem fünften Klingelton und einer gefühlten Ewigkeit, meldete sich ihr Vater am anderen Ende der Leitung. Er bellte seinen Namen in den Hörer und Heidi verließ schon fast aller Mut, aber ihr alter Freund und Beschützer war zu ihr getreten und lächelte ihr gütig zu. Heidi nahm allen Mut zusammen und sagte:“Vater ich bin es, dein Kind. Und ich habe eine kleine Tochter, ihr seid Großeltern geworden.“
Stille erfüllte den Raum.
Dann nach ein paar Minuten schnauzte der Vater in den Hörer:
“Ich habe keine Tochter mehr, sie ist vor einem Jahr von uns gegangen, also bin ich auch kein Großvater. Schert euch zum Teufel, ihr seid sündig und verdorben, du und ebenso dein Balg.“
Heidi wurde blass. Sie konnte nicht begreifen, was sie soeben gehört hatte. Es war doch kurz vor Weihnachten und sie war doch sein einziges Kind, seine Tochter.
Ihr wurde schwindelig und ihr alter Freund führte sie zum Sofa, ließ sie sich setzen und bitterlich weinen.
Als Heidi keine Tränen mehr hatte und nur noch ungläubig und still vor sich hinstarren konnte, immer noch ungläubig über das was vor Stunden geschehen war, nahm der alte Mann sie väterlich in die Arme und sagte:
“Vor fast einem Jahr hat dich mir an hl. Abend der Himmel geschickt. Du hast meinem Leben einen Sinn gegeben und mich zu einem alten, glücklichen Mann gemacht. Dein Vater hat dich verstoßen, aber ich möchte dich mit allen Rechten zu meiner Tochter und zu meiner rechtmäßigen Erbin machen. Ich weiß, du wirst mit meinem Geld das Richtige tun.“

Das ist jetzt schon viele Jahre her, der alte Fabrikbesitzer lebt schon lange nicht mehr und auch Heidi ist inzwischen eine alte, aber glückliche Frau geworden.
Sie hat das Erbe gut genutzt, so wie ihr alter Freund vorausgeahnt hatte.
Sie hat aus der alten großen Villa ein Heim für ledige Mütter gemacht und bietet vielen verzweifelten jungen Mädchen Hilfe und Schutz.
Inzwischen leite ich das Heim in Mamas Sinn weiter und jedes Jahr feiern wir Weihnachten ganz besonders, so wie auch heute, mit allen jungen Muttis und ihren Babys.
Und jedes Jahr brennt eine ganz besondere Kerze, im Angedenken an den alten, gütigen Fabrikbesitzer, der dies alles erst ermöglicht hat.

FROHE WEIHNACHTEN





©Angelika Marasch


© Angelika Marasch


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Kommentare zu "Ein Leben für Heidi"

Re: Ein Leben für Heidi

Autor: Steffi Illi   Datum: 09.12.2022 18:06 Uhr

Kommentar: Liebe Angelika

Deine Geschichte hat mir gefallen obwohl sie ein bisschen kitschig ist.
Entschuldigung, das soll jetzt keine Kritik sein, aber es erinnert mich an diese amerikanischen Filmen, bei denen es immer ein Happy End gibt und die ich auch lieber schaue ,als die, bei denen es keines gibt.

Ich erinnert mich ein ganz kleines bisschen an die Weihnachtsgeschichte von Walt Disney die ich auch sehr liebe.

Hatte meine Gänsehaut Momente beim lesen und danke dir ,für deine Geschichte.

Liebe Grüße Steffi

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