Gott der Allmächtige machte sich auf den Weg zur Erde, um der Krönung seiner Schöpfung, den Menschen, die Aufwartung zu machen. Er ist zwar immer omnipräsent, aber physisch ist er selten hier anzutreffen. Der Herr fühlte sich von seinem himmlischen Aufsichtsrat geradezu genötigt, das Treiben der Erdenbewohner genauer unter die Lupe zu nehmen. Die Menschen seien nicht mehr förderungswürdig, die Vergebung aller Sünden, bzw. Ein Leben nach dem Tode zu erlangen. Kurz vor Antritt seiner Reise übergab ihm der Aufsichtsratsvorsitzende, Michael , eine Stoffmaske mit der Bemerkung, die müsse sich der Herr in bestimmten Situationen über Mund und Nase ziehen. Er gab Ihm auch noch ein 350 Seiten dickes Handbuch dazu mit, in dem genauestens beschrieben stand, weshalb, wann, wo und wie lange dieser Mund-Nasen Schutz zu tragen sei. Der Allmächtige bekam auch eine kleine Geldbörse zugesteckt, so eine, die Politiker im Angesicht präsenter Medien auf dem Wochenmarkt zücken, wenn sie von einem regionalen Obstbauern einen Apfel kaufen. Vorzugweise in Begleitung eines ausländischen Staatsgastes. Was soll ich denn damit, dachte der Herr. Ich habe das Obst doch erschaffen, weshalb soll ich es bezahlen. Er erinnerte sich peinlich berührt an den ersten Ladendiebstahl der Geschichte. Da ging es auch um ein Stück Obst, genauer gesagt um einen Apfel.

„Die Menschen sind krank,“ sagte der stellvertretende Aufsichtsrats- vorsitzende Gabriel. „ Das weiß ich schon lange !“ polterte Gott los, beruhigte sich aber ganz schnell wieder. „Was haben sie denn diesmal ? Meine Güte, alle Tausend Jahre etwas Anderes ! „ Covid – 19, auch Corona genannt.“ Antwortete Gabriel höflich. „ kenne ich nicht ! Die einzige Corona, die ich kenne, wird von der Sonne generiert. Was soll das sein?“ „ Ein gefährlicher Virus.“ „ Hab ich nichts mit am Hut ! Ich bin für Pest, Pocken und Cholera zuständig. Dieser Viruskrams ist mir zu neumodisch. Den haben bestimmt Agnostiker und Atheisten in die Welt gesetzt. Ich tippe mal auf dieses große Reich in der Mitte, dieses chi-chi dingsda, na, mir fällt gerade der Name nicht ein.“ „Na, du wirst ja selbst gleich sehen, was da unten, auch in deinem Namen so Alles passiert, da kannst ja in einer Nanosekunde dort sein. Bleibt es bei Berlin?“ „Ja , wie besprochen, in Deutschland regiert eine gute Frau seit Jahren. Sie wird von ihrem Volk liebevoll Mutti oder Angie genannt. Ihr Vater war einer meiner Angestellten, ein guter Pastor. Man sagt , sie habe ein großes Herz und ein ebensolches Portemonnaie und verteilt gerade ihr Land an fremde Menschen, damit jeder ein Dach über dem Kopf und satt zu Essen im Topf hat, von Smartphone und Smart-TV ganz zu schweigen.“
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Gott war vorgewarnt, Luzifer, Mohamed, Buddha und die Götter des Hinduismus waren öfter auf der Erde und berichteten dem Aufsichtsrat über die angespannte Situation in der Welt. Der Herr hatte sich schon gewundert, dass in letzter Zeit wieder so häufig gebetet wird. Er dachte, dass es vielleicht ein Fehler war, „Macht euch die Erde untertan“ laut zu verkünden. Das haben sie wohl falsch verstanden. Gut war die Aktion mit den 10 Geboten. Daran kann sich die Menschheit ruhig mal halten. Wenn es eng wird rufen sie nach mir. Dann soll ich alles richten und wieder glatt bügeln. Das macht keinen Spaß. Trotzdem freute er sich auf seinen Besuch in Berlin. In weniger als einer Nanosekunde stand er vor dem Reichstag, inmitten einer Menschenmenge. Die Menschen wogten hin und her und skandierten lauthals „die Corona-Einschränkungen müssen weg!“ – Es waren etliche Leute dabei , die vor dreißig Jahren gerufen hatten , dass die Mauer weg müsse. Der Allmächtige wollte sich erst einmal orientieren, als Ihn ein Uniformierter anschrie: „Setz die Maske auf , das ist Pflicht!“ Verdutzt zog er sich die Maske über Mund und Nase. So hatte das letzte Mal, vor Zehntausend Jahren , Luzifer mit ihm gesprochen. Dann wurde er mit der Menge mitgezogen. Der Herr hatte die Gestalt eines sympathischen Mannes mittleren Alters, 183 cm groß, elegant aber unauffällig gekleidet, angenommen. Auf den Stufen des Reichstages kam es zu einem Handgemenge. Er bekam eine Fahnenstange von rechts auf den Kopf. „Was ist das für ein hässliches Banner, die sieht ja aus wie die Reichskriegsflagge aus der Weimarer Rebublik. “ fragte der Allmächtige den Träger. Es wäre ihm ein Leichtes gewesen, die Fahne in Flammen aufgehen zu lassen, aber als er damals die Menschen erschuf , hatte er sich fest vorgenommen, sie ihrer Eigenverantwortung zu überlassen. Er war der festen Überzeugung, dass sie es schaffen würden. So ließ er sie gewähren Einige Male griff er ein, wenn es ihm zu viel wurde. So kamen die Plagen über Ägypten, die Sintflut, der Untergang von Sodom und Gomorrha, der Turm von Babylon und ähnliche Strafen zustande. Doch die Menschheit entwickelte sich immer weiter. Im Guten wie im Bösen. Waren es vor 4000 Jahren noch ca. 30 Millionen Erden bürger, so ging die Zahl zu Beginn des 21. Jhrdt auf fast 8 Milliarden Menschen hoch. Hatte er die sich selbst bestimmende Menschheit noch im Griff? Fragte sich Gott. Die Erde ist ein Geschenk. Ein einzigartiger Planet. Es steht den Menschen nicht zu, ihn zu zerstören. Auf der einen Seite spielen sie sich auf als seien sie Gott, auf der anderen Seite sind sie zu dumm , die Tragweite ihrer Entscheidungen auch nur zu erahnen oder , was noch schlimmer ist, dass sie vorsätzlich die Menschheit an den Abgrund führen, um sich selber daran zu bereichern.
Der Kerl, der die Fahne trug war ein grobschlächtiger junger Mann mit riesigen Händen. „Na klar sieht die Fahne aus wie die Reichskriegsflagge, du linkes Arschloch, wir sind Reichsbürger und wir kämpfen gegen euren linken pseudodemokratischen Staat.“ Der Reichsbürger wollte gerade mit der Faust auf den Herrn eindreschen, als er schwer von dem Schlagstock eines
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Polizisten getroffen wurde. „Für den halte ich meine linke Wange gewiss nicht hin“. dachte Gott „ der bekommt höchstens meinen linken Aufwärtshaken zu spüren !“ grummelte er in alttestamentarischer Kampfeslust. Seine Gedanken schweiften schon wieder in die Vergangenheit. Er erinnerte sich, schon einmal in Berlin gewesen zu sein. Damals war ein deutscher Kardinal zu seinem Stellvertreter auf Erden gewählt worden, Papst Benedikt.

Damals hatte sich Gott dazu entschlossen, der Erde eine 2. reinigende Sintflut zu schicken. Er wollte eine riesige Arche bauen lassen, hatte aber erhebliche Schwierigkeiten mit der Umsetzung dieses Projektes. Er fragte überall nach, ob jemand für ihn die Arche bauen könnte. Doch weder Noah noch alle anderen großen Schiffsbauer der Geschichte erklärten sich dazu bereit. Da fiel ihm noch ein treuer Gefolgsmann aus der Zeit seines Sohnes Jesus ein, dessen irdischer Vater Joseph, der war ja immerhin Zimmermann von Beruf. Mittlerweile hatte der Herr aber auch die Zusage der Meyer-Werft in Papenburg. Doch Gott, old fashioned wie er war, wollte lieber mit Holz bauen. So holte er Joseph von der Himmelspforte ab und hörte gerade noch das Ende dessen Gesprächs mit Petrus : „ Mein Gott, Petrus, du bist aber erwachsen geworden ! Ich kann mich noch genau an die Zeit erinnern, als du mit Jesus und den 11 anderen Jungs um die Häuser gezogen bist und ihr Wunder vollbracht habt – Schade, dass es für dich nur zum Türsteher gereicht hat.“ Wie dem auch sei, das Projekt scheiterte letztendlich an zwei Dingen. Zum Einen konnten sich Joseph und die Agentur für Arbeit nicht auf die Überlassung von 5000 Ein-Euro Kräften und die Änderung des Namens der Arche von „Arche Noah II“ auf „Arge Noah I“ einigen, zum Anderen stand die Regenwasserabgabeverordnung in der Version vom 13.12.1979, erlassen von der bairischen Staatskanzlei, im Wege. Die Entsorgungsgebühren für die Sintflut wären um ein Vielfaches höher gewesen, als der ganze Schöpfungsakt. Deshalb verzichtete der Herr darauf…

Gottes Gedanken richteten sich wieder auf das aktuelle Geschehen. Er verließ voll Zorn den Säuleneingang des Reichstages, um sich eine Unterkunft zu suchen. In einer Seitenstraße des Ku’damms bemerkte er eine kleine , saubere Pension, die er betrat. Die ältere Frau am Empfang schien sehr traurig zu sein. Er fragte nach einem freien Zimmer. Ob er aus touristischen Gründen nach Berlin gekommen sei, fragte die Frau nach. Als er erklärte, er sei beruflich in der Stadt unterwegs, reichte sie ihm den Zimmerschlüssel. Wenn ihm das Zimmer nicht gefiele, stünde es ihm frei, sich ein anderes auszusuchen. Es wären alle nicht besetzt. Die Frau fing an zu weinen. „Sie sind der einzige Gast diese Woche.“

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Gott wusste darauf nichts zu antworten und machte sich auf den Weg zu einem noch geöffneten Restaurant. Er wurde allerdings nirgends fündig. Der Tag seiner Reise zur Erde fiel mit dem 1. Advent zusammen. Doch er spürte hier keine freudige Erwartung auf die Geburt seines irdischen Sohnes, die angeblich vor 2020 Jahren stattfand. Ihm jedoch waren Raum und Zeit gleichgültig. Was waren 2000 Jahre verglichen mit der Unendlichkeit. Was war Berlin angesichts der Größe des Universums. So wanderte er durch die leeren Straßen der deutschen Hauptstadt und dachte über den Zustand der Erde und der darauf lebenden Geschöpfe nach. Er hatte vom Lockdown als Reaktion auf die zweite Corona-Welle gehört. Dazu gehörte eine Ausgangssperre von 22 Uhr bis 5 Uhr. Es war jetzt 22:10 Uhr und die Straßen waren leergefegt. Ab und zu fuhren Autos der Ordnungs- und Rettungsdienste an ihm vorbei. Vereinzelt auch Lieferdienste für Pizza und co. „Auch eine Art Rettungsdienst,“ dachte der Herr. Er konnte sich nicht ausweisen und wich aus diesem Grund den patroullierenden Polizisten aus, die Peinlichkeiten um seine wahre Identität wären vorprogrammiert gewesen und so machte er sich unsichtbar und von seiner Allmacht Gebrauch. Er schlenderte durch die Bezirke Charlottenburg und Wilmersdorf, danach ging er durch Neukölln und Kreuzberg . Es waren dieses Jahr keine Weihnachtsmärkte aufgebaut, aber durch die Fenster zahlreicher Häuser drang noch das warme Licht dieses Adventsabends. Ganz besonders in Kreuzberg hörte er den Menschen zu und sah in Ihre Herzen. Ein junger Mann spielte wunderschön ein Klavierstück von Chopin. Hinter einem anderen Fenster etliche Häuser weiter, sang eine Familie alte Adventslieder. Gott lauschte der glockenhellen Stimme eines jungen Mädchen. Es hörte sich sehr friedlich an. Er hörte Gespräche auf arabisch, russisch, englisch, französisch und vielen anderen Sprachen. In den meisten Fällen sprachen die Menschen über ihre Ängste, Sorgen und Nöte. Sie hatten Angst vor den gesundheitlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen dieser pandemiebedingten Einschränkungen. Nicht wenige waren sehr aufgebracht, weil sie ihre Freunde und Angehörigen, die in den Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen untergebracht waren, nicht sehen durften. Die Schwerkranken auf den Intensivstationen starben einsam. Aber der Allmächtige erkannte auch Hoffnung und Glauben. Die meisten Religionen beteten zu Ihm. Sie unterschieden sich nur im Unterbau und der Liturgie. Die Spitze aber bildete immer der große, allmächtige Schöpfer, der die Fäden des Universums hält . Dem Menschen steht es frei, sich zu entscheiden, ob er Kraft und Hoffnung aus Gottes Impulsen oder aus anderen Quellen schöpft.




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Der Herr ging dann ein Stück durch den Tiergarten bis zur Siegessäule und bog dann nach rechts in die Straße des 17. Juni ab, Richtung Brandenburger Tor. Er ging über den Pariser Platz, der sonst rund um die Uhr belebt war, doch an diesem Abend ruhig und verlassen da lag. Gott ging nach links zum Reichstag und führte sich noch einmal die Ereignisse von heute Nachmittag vor Augen. Dann drehte er sich um und schritt gemächlich auf das Bundeskanzleramt zu. Das Gebäude war dezent beleuchtet Der umgebene Zaun wurde zusätzlich von Bundespolizisten bewacht. Es war mittlerweile 00:30 Uhr am Montag. In einem Büro brannte noch Licht. Gott der Herr dachte intuitiv an Angie, die Mutti der Deutschen. Eine Frau, die wenig schläft und viel arbeitet, in der besten Absicht, ihrem Volk zu dienen.

Gott entschied sich, Ihr seinen göttlichen Odem einzuhauchen, nicht besonders viel, aber genug, um die richtigen Entscheidungen zu treffen. Ob sie davon jemals Gebrauch macht, wissen wir nicht.


© Hans-Joachim Schweimler


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Beschreibung des Autors zu "Maskerade"

Meine Weihnachtsgeschichte aus dem letzten Jahr. Leider immer noch aktuell...

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