Die traurige Tanne…

In einem Mischwald, in dem Eichen, Birken und Fichten standen, wuchs
eine kleine Tanne auf. Sie hatte es sehr schwer, denn sie wuchs zwischen starken Eichen auf, die ihr den größten Teil des Sonnenlichtes nahmen.
So sehr sie sich auch streckte und reckte, sie bekam nur wenig Sonnenlicht ab. Das hatte zur Folge, dass die kleine Tanne krumm wuchs. Ihre Schwestern, die anderen Tannen, spotteten und lästerten über ihre Gestalt. Die kleine Tanne war tieftraurig.
Die Tiere des Waldes wollten die kleine Tanne von ihrer tiefen Traurigkeit befreien, jedoch es gelang ihnen nicht.
Die Tannenmeisen sangen der kleinen Tanne ihre Lieder.
Die Schmetterlinge setzten sich auf ihre Nadeln, und streichelten die
kleine Tanne zart.
Die Hasenkinder machten ihre lustigen Spiele bei der kleinen Tanne, jedoch niemand konnte sie von ihrer Traurigkeit befreien.
Die Jahre und auch die Weihnachtsfeste vergingen, aber keiner wollte die traurige Tanne als Weihnachtsbaum haben.
Ihre Schwestern, die in ihrer Nähe standen, wurden alle schon gefällt
und auf dem Weihnachtsmarkt verkauft.
Die traurige Tanne stand nun allein und verlassen zwischen den alten,
großen Bäumen, und ihre Traurigkeit wurde noch größer.
Sie wünschte sich so sehr auch einmal als Weihnachtsbaum
auf den Gabentisch zu stehen!
In einem Jahr kam der Winter schon frühzeitig, und er vertrieb den Spätherbst aus dem Revier.
Der Winter brachte so eine Menge von Schnee mit, dass man die
kleinen Bäume gar nicht mehr sah, sie waren total eingeschneit.
Der Forstarbeiter Alwin fällte die traurige Tanne, und er warf sie auf
den bereitstehenden Hänger. Auf dem Hänger lagen schon jede Menge
Tannen. Ab ging die Post!
Auf dem Weihnachtsmarkt angekommen, hatte man schon einen Teil,
des Marktes abgesperrt. Der vorgesehene Platz war mit Metallzäunen
eingezäumt.
Der Verkauf der Tannen begann schon am nächsten Tag. Die Leute
standen in Schlangen, um einen Baum kaufen zu können. Jedoch die traurige Tanne wollte keiner haben. Die Erwachsenen nahmen die Tanne in die Hand, um sie kopfschüttelnd wieder zurück zu legen. Die Kinder meinten cool, die sieht aber blöd aus.
So wurde die traurige Tanne nicht verkauft.
Am 21. Dezember wurde der Weihnachtsbaumverkauf eingestellt. Die restlichen Bäume, als auch die traurige Tanne, wurden auf den bereitstehenden Traktorenhänger aufgeladen.
An der Kreuzung „ Goetheplatz“, fuhr der Traktor mit einem Rad über
die Bordsteinkante, und die traurige Tanne fiel auf die Straße.
Der böige Wind blies die Tanne an die Bordsteinkante, und dort blieb sie über Nacht liegen.
Am nächsten Tag, zeitig am Morgen, ging der Altenpfleger Alwin zu seiner Arbeit in das Seniorenheim „ Auf der Sonnenseite.“
Als Alwin die Tanne erblickte, hob er sie auf, und nahm sie mit.
Er betrat das Seniorenheim, als er im Flur auf Frau Steinfeld traf. Sie
begrüßte ihn mit den Worten: „ Wo haben sie denn diesen Besen gefunden?“
Frau Steinfeld arbeitete als Putzfrau im Seniorenheim. Alwin erzählte ihr die Begebenheit mit der Tanne. Er meinte, wenn die richtig rausgeputzt wird. ist sie ein schöner Weihnachtsbaum!
Der Altenpfleger hatte die Absicht, die traurige Tanne in der Mittagspause aufzustellen und sie zu schmücken.
Die Tanne wollte er in der Eingangshalle des Heimes aufstellen.
Der Gedanke war nicht schlecht, denn von diesen Platz aus konnte
die Tanne alle ankommenden Besucher begrüßen.
Gegen Mittag eilte Alwin in die Eingangshalle, doch was war denn das?
Der Baum stand festlich geschmückt in der großen Halle! An seinen Zweigen hingen bunte Glaskugeln, silberne Glöckchen und in der kristallnen Baumspitze spiegelte sich das Licht.
Alwin stand wie gebannt vor der Tanne, und er kam aus dem Staunen
nicht mehr raus!
Plötzlich merkte er einen Druck auf seiner linken Schulter. Der Altenpfleger drehte sich und da stand der Küchenchef Meier vor ihm.
Der Küchenchef fragte: „ Hast du diesen Baum so schön geschmückt?“
Alwin schüttelte nur seinen Kopf.
Meier meinte: „ Ich mach dir einen guten Vorschlag, aber warte bitte.“ Der Küchenchef brachte in einer Schüssel Zimtsterne, Lebkuchenmänner und Pfefferkuchenherzen.
Beide Männer schmückten die Tanne mit diesen Köstlichkeiten.
Am frühen Nachmittag hatten schon alle Heimbewohner die geschmückte Tanne bewundert. Die Erzählungen der Heimbewohner
handelten nur noch von der Tanne.
Die an den Rollstuhl gefesselte Frau Keller erbrachte den Vorschlag,
die Tanne „ Hanne“ zu nennen.
Alle Heimbewohner waren mit diesem Vorschlag einverstanden.
Die übergewichtige Frau Hempel meinte, eine solch hübsche Tanne
hat unbedingt einen Namen verdient.
Die traurige Tanne war von Stund an nicht mehr traurig. Sie spreizte vor Glück ihre grünen Nadeln, und ihre Freude wuchs ins Unermessliche.

Viele Besucher des Seniorenheimes fragten den Leiter,
Herrn Vogelsang, warum in den vergangenen Jahren nie ein Baum, in der Empfangshalle, aufgestellt wurde.
Der Heimleiter zuckte nur seine Schultern, er hatte keine logische Antwort parat, und er lächelte in sich hinein.
Der gute, alte Mond schaute durch die gläsernen Eingangstüren, und er freute sich erneut in jeder Nacht, wenn er die hübsche Tanne sah.
Seine Freude übertrug sich auf die vielen tausend Sterne, die nun
heller leuchteten!
Ende Februar war ich zu Besuch in diesen Seniorenheim, da stand
der Tannenbaum immer noch in der Halle!
Er war jedoch von seinen Köstlichkeiten befreit…


© Jürgen


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Kommentare zu "Die traurige Tanne..."

Re: Die traurige Tanne...

Autor: Wolfgang Sonntag   Datum: 03.12.2021 18:40 Uhr

Kommentar: Lieber Jürgen,
eine schöne gefühlvolle Geschichte, die ich gern gelesen habe.
Liebe Grüße Wolfgang

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