Weihnachtsfreude
„Herr Weihnachtsmann!“, Gunni, die Oberelfe war in Aufregung. Irgendetwas verursachte in der Menschenwelt Aufruhr. Sie war in das Büro des Weihnachtsmannes geflattert. Dort saß er, der gütige Weihnachtsmann, mit seiner runden Brille und dem weißen Rauschebart. „Meine liebe Gunni, was gibt es denn so dringendes, am Heiligen Abend?“, begrüßte der alte Mann die Elfe. „Es geht nichts mehr!“, rief Gunni. „Was geht nicht mehr?“, fragte der Weihnachtsmann. „Na, alles eben. Wir können die Geschenke nicht mehr ausliefern. Wir können nicht mehr in die Menschenwelt“ Nun schluchzte die Oberelfe beinahe. Der Weihnachtsmann blieb ruhig, doch in seinen Augen war ein Schimmer von Angst zu entdecken. „Was habt ihr als letztes in der Menschenwelt gesehen oder gehört?“, fragte der Weihnachtsmann nun. „Das letzte, was wir entdeckt haben, war eine ungewöhnliche Schrift. Es hieß, dass sich die drei zusammenfinden müssten, sonst würde es kein Weihnachten mehr geben“, antwortete Gunni. „Nein, nein, das kann nicht sein“, murmelte der Weihnachtsmann. Er schien mit sich zu kämpfen. Schlussendlich stand er von seinem rot-goldenen Sessel auf und gab Gunni einen Wink, ihm zu folgen. „Wo gehen wir hin?“, fragte die Elfe. Ihr Vorgesetzter brummte etwas in seinen Bart hinein. Gunni verstand aus dem Gemurmel nur ein Wort: Rudolf. Also, dachte sie, fahren wir mit dem Schlitten irgendwohin. Sie sollte Recht behalten. Der Weihnachtsmann ging zum Aufzug und drückte dann den Knopf „Rentierstallungen“. Kurze Zeit später schlug ihnen Tiergeruch entgegen. „Rudolf, Schlitten fertig machen“, gab der Weihnachtsmann Befehle. Eine neue Stimme ertönte. „Bernd, Lilly, Helmut, Günther, Sofia und Renate, aufstellen“ Die Stimme gehörte dem Hauptrentier des Weihnachtsmannes, Rudolf mit der roten Nase. Schon hüpften acht Rentiere herbei und der Schlitten schnallte sie automatisch an. Gunni kletterte mit dem Weihnachtsmann in den Schlitten. Sogleich ging ein Ruck durch das Gefährt und die Zugtiere gaben Vollgas. Das Gespann erhob sich in die Luft. Unter ihnen glitzerte der Schnee vom Winterland. „Wohin, Chef?“, fragte Rudolf. „Zuerst nach Schneestadt, dann nach Eisheim“, meinte der Weihnachtsmann. Rudolf schien das nicht sehr zu gefallen, doch er wollte sich dem Befehl seines Bosses nicht wiedersetzen. Gunni konnte weit unter ihr die Umrisse der Weihnachtsfabrik ausmachen und fragte sich, was der Weihnachtsmann beim Christkind in Schneestadt und dann bei Väterchen Frost in Eisheim wollte. Die drei waren große Rivalen und taten nur das nötigste miteinander. Schon bald war die Grenze nach Schneestadt überschritten. Die Menschenwelt lag in der Mitte, rundherum hatten sich der Weihnachtsmann, das Christkind und Väterchen Frost mitsamt ihren Gehilfen angesiedelt. Nun konnte Gunni die Umrisse vom Hauptsitz des Christkindes ausmachen. Auch in Schneestadt war es verschneit. Rudolf und die anderen Rentiere gingen tiefer und wollten landen, als plötzlich zwei goldene Schweife an ihnen vorbeizischten. Die beiden machten sofort kehrt und nahmen dann vor dem Schlitten ihre feste Gestalt an. Die größere Erscheinung war ein Mädchen im Teenageralter. Ihr hübsches Gesicht umrahmten goldene Locken, die ihr bis über die Schultern fielen. Als Bekleidung trug sie ein fließendes, langes, weißes, mit goldenen Fäden besticktes Kleid. Ihre Begleiterin war etwa sieben Jahre alt und hatte blondes, ebenfalls lockiges Haar und trug ein schlichtes weißes Kleid. „Weihnachtsmann“, sagte die Größere schnippisch: „Was willst du hier?“ „Liebes Christkind, wir müssen uns mit dir und Väterchen Frost zusammenschließen, denn wir können nicht mehr auf die Erde“, erklärte der Weihnachtsmann. Gunni war sprachlos. Sie hatte das Christkind noch nie gesehen. Ihre Begleiterin musste wohl ein Engel sein. „Nun, wir wissen auch schon, dass auf der Erde etwas nicht stimmt. Ich bin zwar dagegen, aber Weihnachten zuliebe müssen wir uns wohl oder übel zusammenschließen“, meinte das Christkind immer noch etwas feindselig. „Auf was wartest du noch? Lass uns aufbrechen!“, rief sie, als der Weihnachtsmann nichts tat. „Julia, folge mir“, sagte sie nun an ihre Dienerin gewandt. Die beiden wurden wieder zu goldenen Schweifen und zischten davon. Rudolf konnte sie erst nach ein paar hundert Metern wieder einholen. Der Weihnachtsmann war sichtlich überrascht, dass das Christkind so schnell zugestimmt hatte. Schon nach ein paar weiteren Minuten überquerten die beiden Wintergestalten mit ihrem Gefolge eine weitere Grenze. Nun waren sie in Eisheim. Auf einmal schoss ein Glitzerschweif abwärts, der zweite folgte. Auch der Weihnachtsmann lenkte den Schlitten zur Erde. Erst als sie dann an Höhe verloren, sah Gunni, warum das Christkind und der Weihnachtsmann abwärts flogen. Dort kämpften sich zwei Personen durch das plötzlich dichte Schneetreiben. Es waren ein schon etwas älterer Mann mit einem langen, grauen Bart, wie Gunni beim Näherkommen erkannte, und ein kleines Mädchen in blauem Mantel und mit bestickter Mütze. Unter der Mütze lugten dichte, braune Haare hervor. Sie ritt auf einem Wolf. Der Mann hatte einen großen Sack geschultert. Rudolf und seine Freunde landeten nicht weit entfernt von den drei Gestalten und auch das Christkind und Julia nahmen wieder ihre Menschengestalt an. „Väterchen Frost!“, rief sie dem neuen Mann zu. Er hob den Kopf und bedeutete dem Mädchen, mit ihm zu den anderen zu kommen. Wenn der Mann Väterchen Frost ist, dachte Gunni, dann ist das Mädchen sicher seine Enkeltochter Snegurotschka. „Was wollt ihr hier“, fragte Väterchen Frost. „Ich habe keine Zeit. Ich muss Weihnachten retten“ „Genau deswegen sind wir ja hier“, erklärte der Weihnachtsmann in versöhnlichem Tonfall. Väterchen Frost nickte verdrossen. Anscheinend wusste er schon, auf was seine beiden Winterkollegen hinauswollten. Der Weihnachtsmann bot ihm und seiner Tochter Platz in seinem Schlitten an. Schweigend stiegen die beiden ein. Da sagte Snegurotschka das erste Mal etwas. „Wir haben erfahren, dass wir zu Winter, meinem Urgroßvater gehen müssen“, brach sie hervor. „Tatsächlich?“, fragte das Christkind. Väterchen Frost nickte verdrossen. „Ihr seid Geschwister?“, platzten Gunni und Julia gleichzeitig heraus. Der Weihnachtsmann nickte. „Und wo wohnt Euer Vater?“, fragte die Elfe den Weihnachtsmann. „Es gibt einen Punkt, der weder den Menschen, noch uns gehört. Dort lebt er“ Diesmal hatte Väterchen Frost gesprochen. Die drei Geschwister schienen sich über Gedanken zu unterhalten. Schließlich nickten alle drei und erhoben sich abermals in die Luft. „Wo ist dieser Ort?“, wagte Gunni nun zu fragen. „Der Südpol ist nicht nur auf der Erde, er ragt auch ein bisschen in unsere Territorien hinein“, erklärte ihr Snegurotschka. Gunni nickte. Nun fiel ihr auch auf, dass der Weihnachtsmann und Väterchen Frost wie Zwillinge aussahen. Nur hatte Väterchen Frost einen grauen Bart, keine Brille und blaue Gewänder. Es schien, als ob Snegurotschka Gunnis Gedanken lesen konnte, denn sie nickte. „Ja, die beiden sind Zwillinge. Das Christkind ist ihre ältere Schwester“ So flogen die drei Wintergeschwister mit ihrem Gefolge über die Winterlandschaft. Gunni wurde langsam müde, und kaum wollte sie die Augen schließen, spürte sie, wie der Schlitten nach unten sank. Dort, von verschneiten Bäumen umgeben auf einer Lichtung stand ein Mann mit grauem Bart, runder Brille und goldenen Locken. Das war vermutlich Winter. „Seid gegrüßt, Kinder. Ihr wollt jetzt sicher wissen, warum ich euch heute, am Heiligen Abend, diesem Stress aussetze. Ich werde immer schwächer und kann euch nicht mehr zusammenhalten, denn immer mehr Menschen wollen Weihnachten feiern. Bitte seid wieder eine Familie“, sprach er. Die Weihnachtsgeschwister schienen zu überlegen. Dann zogen sie sich zu einer kurzen Besprechung zurück. Bald kamen sie zurück. „Wir werden nun zusammenarbeiten“, verkündete das Christkind. „Friedlich“, fügte Väterchen Frost hinzu. „Väterchen Frost wird dafür sorgen, dass es überall zu Weihnachten schneit, ich werde die Geschenke herstellen und das Christkind wird sie dann in die Menschenwelt bringen“, erklärte der Weihnachtsmann. Snegurotschka, Gunni und Julia blickten sich an und lächelten. Dann legte sich Winter zu Boden und verschmolz mit dem Schnee.
Ein Jahr später flogen Gunni, Julia und Snegurotschka zur Erde und bereiteten die Bescherung in einem Haus am Rande einer kleinen Stadt vor. Dann versteckten sie sich. Als die Kinder kamen, flogen sie weiter zum nächsten Haus. Die überglücklichen Kinder verspürten nur noch einen leichten Windhauch, rochen eine Brise Lebkuchenduft und sahen einen goldenen Schweif aufblitzen. Sie nannten dieses Gefühl „Weihnachtsfreude“.


© by Antonia Timbuktu


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Weihnachts-Fantasy-Geschichte

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