Ein wildes aber friedliches Treiben an Menschen belebt die hellerleuchtete Kölner Altstadt so kurz vorm heilen Abend.
Dick eingepackt, mit voluminösen Schalen und die Mützen bis fast unter die Augen gezogen, drängen sich die Leute an den verzierten Schaufenstern vorbei. Angeregte Gespräche lassen die hunderten von Stimmen verschwimmen, welche öfter Mals von Kinderchören oder lautem Gelächter übertönt werden.
Mitten in dem Gedränge huscht eine kleine zierliche Frau an den freudigen Gruppen vorbei.
Ihre Knie stoßen gegen die harten Geschenkekartontüten anderer, als sie versucht sich einen Weg durch die weiten Massen zu bahnen.
Ihr Gesicht vergräbt sie in ihrem Schal, der Blick auf die Wunschliste ihrer Tochter gerichtet. Schon leicht zerknittert, aber noch gut erkennbar lächeln sie zwei Schneemänner an.
"Die Karotte etwas zu dick, die Münder etwas schnörkelig. Sie ist erst 7!" sagt sich Cornelia.
"Dafür kann sie schreiben."
Kommt ihr in den Sinn als sie den darunter stehenden Text abermals liest. Kein Buchstabe zu viel, keiner zu wenig, keiner an der falschen Stelle, zu groß oder zu klein, nur das Komma, das fehlt.
"Und das Geld" ergänzt Cornelia.
Sie hatte zwar gespart. Schon seit dem ersten Monat des neuen Jahres fing sie an sich etwas beiseite zu legen, doch als sie dann gestern alles Ersparte zusammenrechnete, da waren es dann noch nur 27,60.
27,60. Diese Zahl brennt förmlich in ihren Augen, formt eine Träne und lässt sie ihre Wange herunterlaufen. Sie eilt weiter, den Brief weiterhin fest in ihrer Hand.
Die prächtigen Glastüren des Einkaufszentrums schwingen zu beiden Seiten auf und lassen die warme süß duftende Luft etwas nach draußen weichen.
Ihre Wangen kribbeln leicht als sie sich in das beheizte Gebäude begibt und die Rolltreppen in das Obergeschoss nimmt. Ein riesiger Weihnachtsbaum thront unter der Glaskuppel und erzeugt durch hunderte Lichterketten ein wildes Farbenspiel.
Da kann die kleine Plastiktanne vom Flohmarkt um weiten nicht mithalten, geschweige denn die flackernden Glüchbirnchen, welche sich mit Mühen um den Baum räkeln.

Der Spielzeugladen befindet sich direkt vor den Rolltreppen. Lustige Puppen tanzen am Eingang auf und ab und begrüßen jeden welcher sich ins Innere begibt. Fröhliche Weihnachtsmusik spielt welche sich mit allerlei hohen Piepstönen der Spielzeuge mischt. An jeder Ecke des Geschäfts lassen sich neue Entdeckungen machen, sei es eine fahrende Eisenbahn um das Treppengeländer, ein Seifenblasen machender Bär oder eine Geschichten erzählende Eule…

Cornelia befindet sich in Mitten von Familien, welche mit offenen Augen umherlaufen und das magische Geschehen aus Puppen und Modellbahnen bewundern.
Mit vollen Händen hetzten währenddessen die Angestellten des Geschäfts durch die Flure, bekleidet wie Elfen und einer oftmals überdimensionalen Zipfelmütze.

Auf dem Weg zu der Bastelabteilung streift sie ihren eng gebundenen Schal vom Hals, zieht ihre Mütze vom Kopf und wirft sie sich über ihren Arm, während sie abermals den Wunsch ihrer Tochter liest.
Ein Mal-Set.

Sie greift nach dem ersten Malkoffer.
Die Verpackung ist mit dem Bild eines jungen lachenden Mädchens bedruckt welches mit etwas Farbe im Gesicht und umgeben von allerlei Stiften an einem Tisch sitzt.
Sie lässt den Wunschzettel in ihrer rechten Tasche verschwinden und blickt auf die Rückseite des Produkts. Doch anstatt auf den Inhalt zu achten, schweifen ihre Augen zunächst zur rechten unteren Ecke. Der Preis ist sehr klein gedruckt, doch sind die vier Zahlen dennoch lesbar für ihre schon älteren Augen.
39,99
Ein heiß kalter Schauer durchfährt sie. Fast beschämt legt sie den Koffer zurück zu den anderen.
Nächster sagt sie sich und greift nach einen etwas kleineren, welcher wieder mit einem lachenden Mädchen bedruckt ist.

Sie legt auch den letzten Koffer zurück ins Regal und schweift erneut durch die Reihen, in der Hoffnung einen günstigen übersehen zu haben.
Doch schweren Herzens sieht sie sich gezwungen den Laden zu verlassen und dies ohne Geschenk. Sie drängt sich vorbei an der Kasse und mit ihr vorbei an der langen Schlange an Leuten, wessen urteilende Blicke sie förmlich durchbohren.

In den breiten Fluren aus Glas angelangt, harrt sie kurz aus um sich Schal und Mütze wieder überzustreifen, als sie eine schrille Stimme mit einem
„Entschuldigen Sie“ anspricht. Eine junge Frau, verkleidet wie ein Elf, tippt Sie von hinten an und tritt energisch vor Cornelia. Mit einem breiten Lächeln hält sie ihr eine Schüssel mit Plätzchen hin. „Jeder Kunde unseres Ladens darf sich einen nehmen. Frohe Weihnachten!“ sagt sie darauf hin melodisch.
Einige Sekunden passieren, bis sich Cornelia die überraschende Situation vor Augen führt.
Sie zwingt sich ein Lächeln auf, murmelt ein „Danke Ihnen auch.“ Und lässt ihre Hand aus der Jackentasche gleiten um sich ein Gebäck zu nehmen.
Die quirlige Angestellte blickt zu Boden. „Ihnen ist etwas aus der Tasche gefallen.“ Sie greift nach dem Wunschzettel und erhaschte einen kurzen Blick, als sie sich ihre Mütze wieder zurecht schiebt.
„Wenn Sie wollen können Sie ihn in unseren Santa Postkasten werfen.“ Sie deutet mit dem Zettel in der Hand auf einen roten Kasten welcher sich ein paar Meter vor dem Eingang des Geschäftes befindet.

Cornelia nickt, nimmt den Zettel wieder an sich, greift nun endgültig in die Schüssel und wendet sich in die Richtung wohin die Frau zeigt.
Aus ihrem Augenwinkel sieht sie, wie sich die Angestellte von ihr wieder distanziert und zurück zu einem ihrer Kollegen läuft.
Cornelia streift so gut es ihr gelingt den schon sehr zugerichteten Zettel etwas glatt und nähert sich dem angeblichen Wünsche Briefkasten des Weihnachtsmanns.
Langsam schiebt sie den Zettel durch den schmalen Schlitz und lässt ihn los. Ein dumpfes Geräusch am Boden der Metallkiste und daraufhin ein Hohoho ertönt aus einem installierten Lautsprecher.

Cornelia nähert das Sternenplätzchen ihren Mund und probiert eine Ecke. Ein bitterer Vorgeschmack welcher im Nachhinein nur durch vieles Schlucken milder wird, kündigt somit die Bescherung an.




Weihnachten soll ein Fest der Besinnlichkeit sein, sei dankbar für das, was du hast und für das, was du bekommst, denn nicht jeder hat die Möglichkeit auf einen wunderschönen Weihnachtsbaum mit vielen Geschenken darunter.

Aber auch Nächstenliebe und Achtsamkeit lehrt uns diese Tradition.
Also will ich die Geschichte nicht traurig enden lassen und ein Kind ohne Weihnachtsgeschenke am heiligen Abend mir vorstellen müssen.

Stellen wir uns vor, wie Santa doch den Brief bekommt und abends zu Cornelias Tochter huscht und ihr ein Geschenk unter die kleine Plastiktanne legt.
Oder an alle Skeptiker, lasst uns uns vorstellen, dass die nette Dame im Elfen Kostüm so achtsam war, dass sie den Frust Cornelias sah.
Sie ging zu ihrem Kollegen und erzählte vom Wunsch den sie gerade gelesen hatte. Cornelia ging wieder nach Hause, währenddessen die beiden den Briefkasten öffneten und den Zettel herausnahmen.
Der Name und die Adresse der Kleinen standen darauf und am Weihnachtsmorgen fand man ein wunderschön eingepacktes Geschenk vor der Tür liegen.
Ein Weihnachtswunder für eine kleine Familie in Not, durch ein wenig Nächstenliebe.

Frohe Weihnachten!


© Xeni


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Beschreibung des Autors zu "Der bittere Vorgeschmack von Santas Plätzchen"

Cornelia macht sich kurz vor Weihnachten auf den Weg zu einem Spielzeugladen in der Stadt, um mit dem schwer ersparten Geld ihrer Tochter ihren einzigen Weihnachtswunsch zu erfüllen.
Es ist die Geschichte einer Mutter, welche trotz aller Geldsorgen ihrem Kind ein schönes Weihnachten bereiten will.

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