Benedikt, der Leuchtturmwärter


Benedikt, der Leuchtturmwärter von Amrum, der sein kleines Reetdachhaus ganz in der Nähe des Leuchtturmes hat, war wieder einmal auf dem Weg zu seiner Schicht.
Heute war Heilig Abend, er war noch recht früh dran, es war erst Spätnachmittag. So ging er langsamen Schrittes durch die Dünenlandschaft, sein Blick schweifte weit über das Meer, bis hin zum Horizont. Diese herrliche Seeluft, er genoss sie immer wieder, dazu der Wind, der heute allerdings recht stürmisch und sehr kalt war.
Er zog seine Mütze etwas tiefer in die Stirn, damit sie ihm nicht davon fliegen konnte, die Hände stemmte er in die Taschen der gelben Öljacke. Benedikt hing seinen Gedanken nach und war traurig, dass er auch in diesem Jahr an Heilig Abend wieder alleine war.
Seine Frau war vor fünf Jahren gestorben, seit dieser Zeit war er sehr einsam, denn Kinder hatten sie keine. Er dachte an all die Familien, die hier lebten und daran, wie sie heute ihre Weihnachtsbäume in den Wohnzimmern schmückten. Weihnachten ist das Fest der Familien, wenn man keine hat, wie Benedikt, dann stimmt das sehr traurig. Eigentlich mochte er Weihnachten nicht mehr, seit seine Frau nicht mehr bei ihm war.

Da stand er auch schon vor dem Leuchtturm, der in seiner rot-weißen Farbe weit über das Meer blickt und den Schiffern Zeichen gibt. Benedikt kramte in seiner Jackentasche nach dem Schlüssel, als er vor der Eingangstür einen großen Hund sitzen sah.
Zuerst erschrak er, aber der Hund sah ihn mit so traurigem Blick an, dass er ihm seine Hand hin hielt, um ihn daran schnüffeln zu lassen.
„Na, wer bist du denn?“ fragte er den Hund. „Wie heißt du denn, woher kommst du, hast du dich verlaufen?“
Benedikt blickte sich in alle Richtungen um, ob er nicht ein Herrchen, oder Frauchen sehen konnte, zu irgendjemand musste der Hund doch gehören. Er konnte aber niemanden sehen.
„Du bist wohl ausgebüchst, was, du wirst schon bald gefunden werden“, sagte er zu dem großen Hund. „Warte, ich bringe dir einen Topf mit Wasser heraus.“
Er schloss die Eingangstür zum Leuchtturm auf, ging hinein und ehe er sich umsah, war der Hund an ihm vorbei und machte es sich sogleich in seinem Arbeitsraum gemütlich. Er legte sich unter den Schreibtisch, so als suche er Schutz, oder wolle sagen: „hier holt mich niemand mehr weg.“
„Du bist mir aber einer, mich so zu überlisten“, sagte Benedikt. „Wenn ich nur deinen Namen wüsste.“ Er bückte sich zu dem Hund hinunter. „Du hast zwar ein Halsband an, aber kein Namensschild, keine Markierung. Weißt du was? Ich nenne dich einfach Benni, so hieß mein Hund, den ich als Kind hatte.“
Er stellte Benni einen großen Topf frisches Wasser hin und dieser machte sich gleich darüber her, also musste er großen Durst haben.
„Du hast sicher auch Hunger, Benni.“ Benedikt ging an den Kühlschrank, den er immer gut gefüllt hatte, man weiß ja nie. Da lag noch ein großes Stück Fleischwurst drin, die nahm er heraus, schnitt eine dicke Scheibe von seinem Brot ab, butterte sie und schnitt alles in Stücke. Er füllte eine Schüssel mit Wurst- und Butterbrotstücken und stellte sie Benni hin, dieser hatte die Schüssel schneller leer gefressen, als Benedikt sich umdrehen konnte.
„Mann hast du einen Hunger, weiß der Geier, wann du zum letzten Mal etwas gefressen hast. Vielleicht hat man dich sogar ausgesetzt?“
Dieser Gedanke gefiel ihm gar nicht, aber es wäre nicht das erste Mal, dass so etwas auf Amrum passieren würde.
„Es sind wieder ein paar Weihnachtsurlauber hier, vielleicht mag dich ja einer von ihnen nicht mehr mit nach Hause nehmen, die Menschen sind oft so schlecht.“
Da fiel ihm ein, dass er ja bei der Polizei Bescheid geben könnte, vielleicht würde jemand Benni suchen. Sofort rief er dort an, beschrieb den Hund und sagte ihnen, dass er Benni bei sich behalten würde, bis sein Besitzer gefunden wurde. Mehr konnte er im Moment nicht für ihn tun.
Benni lag wieder unter dem Schreibtisch, er schlief fest. Benedikt wunderte sich sehr, war der Hund doch ganz fremd hier, aber wer weiß, wie lange er schon unterwegs ist, er war auf jeden Fall durstig, hungrig und ist hundemüde. Er ließ ihn schlafen, versuchte, ihn nicht zu stören.
Benni schlief beinahe die ganze Nacht durch, ab und zu wachte er auf, schaute, ob Benedikt noch da war und legte sich dann gleich wieder hin. Er schien zufrieden zu sein.

Als die Nacht vorbei war und der Morgen schon hinter dem Horizont hoch kroch, machte sich Benedikt fertig, um nach Hause zu gehen. Er schaute zu Benni und meinte: „Eigentlich schön, dass du dich verlaufen hast, das war der erste Heilig Abend seit fünf Jahren, an dem ich nicht alleine war.“
Ein leichtes Lächeln überzog seinen Mund und sein Herz wurde warm.
„Komm Benni, ich nehme dich mit zu mir nach Hause, bis sich dein Herrchen, oder Frauchen meldet. Solange kannst du bei mir wohnen, dann sind wir beide Weihnachten nicht einsam.“
Sie gingen hinaus in die Dünen, Benni folgte Benedikt, ohne dass dieser etwas zu ihm sagen musste. „Was bist du ein braver Kerl“, sagte er zu dem Hund.
Zu Hause angekommen gingen sie in das Haus, Benni folgte Benedikt auf Schritt und Tritt. Zuerst bekam er eine große Schüssel Wasser, dann suchte Benedikt nach etwas Wurst und Brot, denn Hundefutter hatte er nicht zu Hause, so musste Benni damit vorlieb nehmen, was dieser auch genüsslich tat. Anschließend kam er zu Benedikt, stupste ihn mit der Nase an und leckte ihm die Hand, ließ sich dann neben ihm nieder.
„Irgendwie ist es schön, einen Hund zu haben“, dachte sich Benedikt, „warum habe ich nicht schon längst einen? Dann wäre ich nicht so alleine in dem Haus.“
Er ging ins Schlafzimmer, um sich hinzulegen, er war müde nach dieser langen Schicht. Benni folgte ihm und legte sich neben sein Bett, schlief ebenfalls ein.

Das Klingeln des Telefons riss Benedikt aus dem Schlaf, er nahm den Hörer ab, von der anderen Seite meldete sich die Polizei. „Hallo Benedikt, ist der Hund noch bei dir?“
„Ja, ist er, warum, hat sich sein Besitzer bei euch gemeldet?“
„Ja“, sein Frauchen steht hier und ist in Tränen aufgelöst, sie sucht ihn schon seit gestern Mittag. Es muss der Hund sein, der bei dir ist, die Beschreibung passt haargenau auf ihn. Kann Frau Ewersen zu dir kommen und sehen, ob es ihr Hund ist?“
„Ja sicher kann sie das, wir sind zu Hause, sie soll gleich kommen.“
Er legte den Hörer auf und war irgendwie etwas traurig, bald würde Benni nicht mehr da sein, er würde ihn vermissen.
Benedikt machte sich schnell etwas frisch und zog sich seine Kleidung an, ging hinunter in die Küche und kochte Kaffee. Frau Ewersen würde sicher auch eine Tasse Kaffee trinken.
Benni legte sich derweil unter den Küchentisch, da läutete es auch schon an der Haustür. Beide gingen zur Tür, Benedikt öffnete diese und sah sich einer Frau gegenüber, die sein Alter haben dürfte. Man sah, dass sie geweint hatte.
Bevor er sich vorstellen konnte, sprang Benni an dieser Frau hoch, winselte und leckte ihr über das Gesicht, die Frau umarmte den Hund, drückte ihn an sich und ließ ihren Tränen freien Lauf, Freudentränen, wie man sah.
„Ach mein geliebter Robby, dass ich dich wieder habe, ich war ja so verzweifelt. Jetzt läufst du mir aber nicht mehr davon.“
Irgendwie kam Benedikt dieses Gesicht bekannt vor.
„Sie erinnern mich an jemanden“, meinte er, zu der Frau gewandt.
„Entschuldigen Sie bitte“, sagte diese und sah ihn an, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Mein Name ist Helga Ewersen, ich bin auf Weihnachtsurlaub hier mit meinem Hund.“ Sie reichte ihm die Hand und auch Benedikt stellte sich ihr vor. Da erst sah sie ihn wirklich und erkannte ihn sofort. „Du bist doch Benedikt, erinnerst du dich denn nicht an mich?“
„Helga, bist du die Helga…?“ „Ja, die bin ich. Wie lange haben wir uns nicht mehr gesehen, es müssen mindestens 25 Jahre sein.“
„Komm doch bitte auf eine Tasse Kaffee herein“, sagte er zu ihr, Helga Ewersen nahm die Einladung gerne an und folgte ihm in die Küche, beide wurden von einem freudig hin- und herlaufenden Benni, ach nein, Robby, begleitet.
Kurz ging Benedikt die Zeit durch den Kopf, die beide vor vielen Jahren teilten, sie waren einmal ein Liebespaar gewesen, wenn auch nur für einen kurzen Sommer.

„Robby also heißt er“, sagte Benedikt, „ich hatte ihn Benni getauft, weil ich vor vielen Jahren einmal einen Benni hatte. Weißt du, dass er mir fehlen wird, ich habe mich in diesen paar Stunden an ihn gewöhnt. Wie ist er dir denn abhanden gekommen und was machst du hier auf der Insel? Du bist doch vor vielen Jahren von hier weg gezogen.“
Helga Ewersen erzählte ihm, dass sie am Vortag in den Dünen unterwegs war mit Robby, er dann einem anderen Hund gefolgt war, so hatten sie sich aus den Augen verloren. „Es war eine schöne Hundedame, ich konnte Robby nicht mehr halten. Stundenlang habe ich nach ihm gesucht, bis spät in die Nacht. Gleich heute Morgen suchte ich weiter, da fiel mir ein, dass ich ihn vermisst melden könnte.
Die Polizei gab mir dann deine Adresse, wobei sie mir deinen Vornamen nicht nannte, sonst hätte ich mich sicher gleich an dich erinnert. Seit wann hast du ein Haus hier in der Nähe des Leuchtturmes?“

Es gab viel zu erzählen, sie merkten nicht, wie die Zeit verging. Benedikt gefiel Helga, sie war ihm gleich wieder sympathisch, hatte immer noch diese offene Art zu reden und immer noch dieses fröhliche Lächeln. Ihre Augen hatten noch diesen Glanz, der ihn vor Jahren schon fasziniert hatte, außerdem sah sie für ihr Alter noch sehr gut aus.
Helga Ewersen war vor beinahe 30 Jahren in die Landesmitte von Deutschland gezogen, die Liebe hatte sie dorthin verschlagen. Nun verbrachte sie die Weihnachtstage bei einem alten Onkel hier auf Amrum. Während dieser Zeit suchte sie ein kleines Haus für sich und Robby, denn sie wollte wieder auf Amrum leben. Sie war seit zwei Jahren verwitwet, es zog sie in die Heimat zurück.
Sie hatte auch bereits ein kleines Haus gefunden, ganz in der Nähe von Benedikt, wie sich herausstellte. Der Kauf sollte heute abgewickelt werden.

„Dann kann ich den Umzug organisieren und werde bereits in spätestens 3 Monaten hier wieder ansässig werden“, sagte Helga Ewersen zu Benedikt.
Dieser spürte, wie ein freudiges Gefühl in ihm aufkam. „Das ist sehr schön, dann kann ich Benni, ähm… Robby natürlich, immer sehen und muss ihn nicht vermissen. Außerdem kann ich mir gut vorstellen, dass wir alle drei sehr gute Freunde werden.“
Helga sah Benedikt mit einem Lächeln an und stimmte ihm zu. „Das werden wir mit Sicherheit. Soll ich dir etwas sagen? Ich freue mich schon heute darauf, nun kann ich den Umzug gar nicht mehr erwarten.“
Es war bereits früher Nachmittag, Helga musste zum Termin, um den Hauskauf perfekt zu machen. So verabschiedete sie sich von Benedikt, aber nicht, ohne ihm noch einmal ganz herzlich für die liebe Aufnahme von Robby zu danken. Sie reichte ihm die Hand mit den Worten: „auf ein baldiges Wiedersehen und eine lange Freundschaft.“ Dann nahm sie Benedikt in den Arm und drückte ihn ganz herzlich.
„Was für eine tolle Frau“, dachte sich dieser und irgendwie ward ihm ganz leicht, er spürte ein tiefe Wärme in seinem Herzen. „Auch ich freue mich sehr, dass wir bald Nachbarn werden. Ich weiß, dass wir bereits heute eine tief gehende und wertvolle Freundschaft gegründet haben.“
So zogen nun Helga und Robby los. Jeder von den dreien fühlte, dass sie die kommenden Weihnachtsfeste gemeinsam feiern würden.

© Eleonore Görges


© Eleonore Görges


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