Unser lange schon heimgegangener Großvater hat in ungelenker Schrift niedergeschrieben, wie er als Kind das bedeutendste kirchliche Fest im Jahreslauf erlebte. Ich fand die schon vergilbten Blätter im Nachlass meines Vaters.
Wir schreiben A.D. 1911. Dank unseres guten Kaisers leben wir in sicherem Frieden. Es weihnachtet, sagt Mutter. Sie geht gebeugt. Doch sie ist heute innerlich angerührt vom stillen Leuchten des Weihnachtsabends. Es ist schon meine zwölfte Weihnacht am Berghof. Die Arbeiten im Stall verrichten wir gemächlich. Auch die Tiere dürfen fühlen, dass es ein besonderer Tag ist. Unser Hof, den man den „Kräuterhof“ nennt, weil meine Mutter viele heilkräftige Kräuter im Garten zieht und sie im Winter den kranken Leuten bringt, hält sonst nicht viele Annehmlichkeiten während des Jahres bereit. Doch an diesem Heiligen Abend sind wir alle glücklich und in stiller Erwartung.
Die Nacht ruht tief im Wald oberhalb des Hofes. Es windet stark, und das Ächzen und Rauschen der schweren Äste weckt die geheimnisvollen mythischen Geister auf, von denen ich habe erzählen hören. Die „Alten“ kennen diese Geschichten noch. Aus dem Glauben der Ahnen entstanden ihre Riten und Bräuche, und später wurden christliche Gepflogenheiten daraus.
Wir beginnen wieder mit dem „Räuchern“. Unsere heidnischen Vorfahren haben mit Feuer und Rauch die bedrohlichen Geister ferngehalten, sagt der Lehrer. Nun tragen wir die Glut im Weihrauchfass duftend durch Haus und Hof, und auch unsere Kühe, Ziegen, Schafe und Hennen atmen den fremden Duft aus dem fernen Morgenland. Dann essen wir unsere Brennsuppe mit Milch und hartem Brot und beten mit Vater den Rosenkranz.
Bei abgeschlossener Tür hat unsere Mutter inzwischen den Gabentisch hergerichtet. Sie lässt das Weihnachtsglöcklein erklingen, und wir Kinder treten gespannt in den Raum. Die Krippenfiguren hat mein älterer Bruder Jakob aufgestellt und den Bethlehemstall erleuchtet ein brennendes Kerzlein. Doch nur Vater darf feierlich die Lichter am Christbaum entzünden. Er verwandelt die dunkle Stube in einen strahlenden Raum. So schön muss der Himmel sein, denke ich mir.
Mutter führt uns zum Gabentisch. Jeder bekommt, was er dringend braucht, etwas zum Anziehen, ein paar Schulhefte und sogar noch ein paar Äpfel und Nüsse. Mutter hat die warmen Jacken gestrickt. Die Nandl vom Nachbarn hat die Lodenhosen, Hemden, Blusen und Schürzen für uns neun Kinder geschneidert. Sie tat es um wenig Geld, für ein paar Kreuzer und ein Vergeltsgott. Meine Eltern haben nur den Stoff beim Krämer besorgen müssen. Die Wolle für die Jacken und Strümpfe liefern unsere Schafe.
Im Dorf sagen die besseren Leute, wir seien so weit heroben auf unserm Berghof wohl arme Leute. Wie sollten wir denn arm sein, wenn uns der Herrgott Gesundheit schenkt, nicht zu viel Unglück im Stall zulässt und wir mit unseren Kartoffeln, unserer Gerste und dem Roggen uns meistens sogar satt essen können? Wir Kinder sind alle kräftig geraten, nur das letzte, die kleine Anna, ist im letzten November an Lungenentzündung schon ein paar Wochen nach der Geburt zum lieben Gott gegangen. Sie wäre das zehnte Kind geworden, aber es hat nicht mehr sein sollen. Jetzt ist sie ein Engelchen im Himmel und singt mit allen Engeln das Halleluja über dem Stall von Bethlehem. Wir Bauersleute wissen, wie Maria und Josef gelitten haben, bis sie endlich den Stall für die Niederkunft des Heilandes fanden.
Wir sitzen um den großen Tisch im Kreis, und meine Schwester Maria liest das Weihnachtsevangelium vor. Was immer geschieht im bäuerlichen Jahr auf unserem Hof, ist heute in unseren Gedanken gegenwärtig. Heute ist der Heiland bei uns, sagt der Vater. Er hat schwielige, schwere Hände von der harten Arbeit. Doch so wie die Mutter klagt auch er nie. Beide sind gut zu uns Kindern, ein hartes Wort hören wir nicht von ihnen.
Horcht!, sagt Jakob. Die Glocken klingen aus dem Tal herauf. Wir rüsten uns für den Gang zur Christmette nach Percha. Jakob trägt uns auf dem verschneiten Weg eine Petroleumlaterne voraus. Heute ist unser Heiland geboren. Wir gehen ihm wie die treuen Hirten entgegen.
Tage eilen in grauen Kleidern
an mir vorbei, doch ich
glaube zu schweben, eingehüllt
in einem Mantel aus Licht.
Ich habe noch viel vor
und halte die Uhren an,
doch das Leben läuft [ ... ]
Strahlend wärmt der Sonnenschein nach dürstend, finsterer Zeit.
Licht und Wärme streichelt alle Sinne, die wir haben.
Ein Märchen scheint erwacht zu sein, in einem bunten Kleid.
Des Lebens [ ... ]
Gevatter Tod, -unsichtbarer Geselle,
verbreitest bisweilen Angst und Schrecken,
stehst von Anbeginn schon vor der Tür,
gehst neben mir, trittst an des Lebens Stelle.
„Schau doch wie die Bäume blühen“
flüstert mir mein Freund ins Ohr.
„Siehst du wie die Jahre ziehen?!“
frage ich ihn voll Humor –
aber er geht nicht drauf ein,
denn er lässt [ ... ]