Christas Heiliger Abend


Es schneite kleine Flocken und es war sehr kalt. Der Winter hatte schon lange Einzug gehalten.
Das Stadtkaffee lag in der Brandenburgerstraße, die gleichzeitig eine Einkaufsstraße war.
Es war der zweite Advent, und im Cafe herrschte pure Gemütlichkeit. Es roch nach frischem Kaffee, nach würzigem Glühwein und eine undefinierbare Süße zog durch die Räume.
Das vierblätterige Kleeblatt, die vier Herbstzeitlosen, saßen an ihren angestammten Plätzen,
in ihrem Cafe.
Zum vierblätterigen Kleeblatt gehörten Hilda Wachenbrunner, Christa Querhammer, Bärbel Ungemach sowie Rosi Kuhnert.
Alle vier Damen waren schon einige Jahre verwitwet. Man konnte „ mit Fug und Recht sagen,“ sie hatten sich gesucht und gefunden. Regelmäßig, alle vierzehn Tage, traf man sich hier und tauschte Neuigkeiten aus. Die Zeit verging bei ihrem Tratsch und Klatsch immer wie im Fluge.
Hilda hatte den Beruf einer Oberlehrerin ausgeübt. Bei jeder Gelegenheit erzählte sie, welche ihrer Schüler, dies und das im Leben erreicht hätten. Sie war von großer Gestalt, und sie hatte ein sympathisches Gesicht. Hilda war dem Puder ganz verschrieben. Ihr Gesicht, ihre Hände, und manchmal auch ein Teil ihrer Kleidung, war stets mit Puder bedeckt.
Christa hatte einen Regierungsrat geheiratet. Sie brauchte deshalb nie zu arbeiten, und sie spielte stets überzeugend, die „feine Dame.“ Sie war mit ihrem Mann viel gereist, und hatte somit von der Welt recht viel gesehen. Christa war klein von Gestalt, und ihre blauen Augen strahlten menschliche Wärme und Güte aus.
Rosi hatte einen Tischlermeister, der eine eigene Werkstatt besaß, geheiratet. Sie führte das kleine Büro, und erledigte alle anfallenden Schreibarbeiten. Nach dem Tod ihres Ehemannes verkaufte sie die Werkstatt, da ihre Ehe kinderlos geblieben war. Rosi war mittelgroß, und ihre beiden roten Apfelwangen ließen ihr Gesicht liebevoll erscheinen. Rosi war auch noch im hohen Alter sehr arbeitsam. An den Wochenenden machte sie immer die Abrechnungen im Fleischerladen.
Bärbel war von allen Vieren der Clou. Sie war klein, mehr breit als hoch, und ihr typisches Backpfeifengesicht war einmalig. Ihre strohblonden Haare und ihr schwankend, watschelnder Gang taten das Übrige. Sie hatte eine heisere Stimme und ihr Mundwerk stand niemals still.
Bärbel war noch im hohen Alter sehr fleißig und die Zuverlässigkeit „in Person.“ Sie hatte als Reinigungskraft gearbeitet, und war durch Empfehlungen, mit der „vornehmen Welt“ in Berührung gekommen.
Falls einmal das Gespräch auf ihren Verflossenen kam, sagte sie stets: „Der Olle konnte bloß froh sein, dass er mich gehabt hat,“ und weiter, „ der wäre sonst im Alkohol ersoffen!“
Ein besonderes Merkmal war ihr eindringliches Parfüm, „Moskauer Frühling.“ Sie musste dieses Parfüm literweise über ihren Körper bzw. über ihre Kleidung kippen, denn der Treppenflur roch noch nach Stunden nach ihr.
In der Straßenbahn rückten die Fahrgäste von ihr ab, und so war für sie immer ein Sitzplatz frei
Diesmal zum zweiten Advent drehte sich die Diskussion der Damen um die Weihnachtgeschenke. Sie kamen zu keinem Ergebnis.
Als Christa zur Toilette ging, nutzten sie diesen Zeitpunkt aus, um über die Geschenke, für Christa, zu beraten. Christa liebte schöne Uhren, ja sie war in diese vernarrt.
Die Damen beschlossen, Christa Uhren zu schenken.

Man einigte sich, Hilda sollte eine Kaminuhr schenken, Bärbel eine Wanduhr und Rosi eine Armbanduhr. Christas Drei-Zimmerwohnung zierten schon elf Uhren.
Das Interessante war, dass Christa keine Quarzuhren duldete. Es mussten immer Uhren zum Aufziehen sein, und „dieses Aufziehen“ bereitete ihr immer große Freude.
Einen Tag vor Heiligabend erhielt Christa zwei Pakete und ein Päckchen von ihren Freundinnen. Sie traute sich jedoch nicht, die Pakete oder das Päckchen zu öffnen. Ihre Damen hätten ihr dieses „vorzeitige Öffnen“ nie verziehen.
Christa platzte bald vor Neugierde. Sie schüttelte die Pakete mehrmals am Tage und lauschte dann an ihnen. Des weiteren hielt sie die Pakete gegen die Wohnzimmerlampe und drehte diese, jedoch ohne ein verwertbares Ergebnis.
Sie ging mit den Paketen und dem Päckchen zu ihrer Flurnachbarin, doch beide kamen zu keinem Ergebnis.
Am Heiligabend sollte gegen 14.00 Uhr ihr Enkel aus Delmenhorst kommen. Christa hatte schon einen deftigen Kartoffelsalat gemacht, und der knusprige Gänsebraten roch aus der Ofenröhre.
Sie hatte ein Geschenk für ihn, ein sehr teueres Handy. Die Uhren, in ihrer Wohnung läuteten oder schlugen schon 16.00 Uhr, und wer nicht kam, war ihr Enkel.
Dafür brachte der Postbote, kurz nach Vier, ein Päckchen von ihm. Sie legte das Päckchen auf ihre Nähmaschine. Eine tiefe Traurigkeit erfasste ihre Seele, und einige Tränen kullerten über ihr faltenreiches Gesicht.
Christa stellte das Radio an, aus dem klassische Weihnachtslieder ertönten.
Mit einer Schere bewaffnet rückte sie den Paketen und Päckchen zu Leibe. Ihr treuer Kater Kuschel sah ihrem geschäftigen Treiben zu. Christa packte eine Uhr nach der Anderen aus, und ihr Glücksgefühl wurde von mal zu mal mehr. Ihr Enkel hatte ihr eine Spiegeluhr geschickt.
Sie wollte sich bei ihren Damen für die schönen Uhren bedanken, doch keine von ihnen meldete sich am Telefon.
Christa ging an das Wohnzimmerfenster und öffnete dieses. Draußen herrschte starker Flockenfall, und ein Schwall kalter Luft drang ins Zimmer.
Die Uhr der St. Georgskirche schlug 22.00 Uhr und die Uhren in ihren Zimmern setzten mit großen Getöse ein.
Als Christa sich zur Nachtruhe begab, konnte sie nicht einschlafen. Sie dachte noch ein Mal
über den Heiligen Abend nach.
Der Mond, der dann später durch das Fenster schaute, sah Christa und ihren Kuschel friedlich im Bett schlafen. Kater Kuschel ließ ein zufriedenes Schnurren hören.


© Jürgen


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Kommentare zu "Christas Heiliger Abend"

Re: Christas Heiliger Abend

Autor: Uwe   Datum: 25.11.2014 19:34 Uhr

Kommentar: Find ich gut beobachtet (oder gut erfunden) und feinst geschrieben, Jürgen!

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