Die misslungene Weihnachtsandacht


Es war der 24. Dezember, 09.00 Uhr, und Pfarrer Langrock hatte verschlafen.
Wie von der Tarantel gestochen, sprang er aus seinem Bett. Beim Ankleiden stellte er sich die Frage, wie konnte das bloß passieren? Ja, dafür gab es zwei Gründe: Zum einen hatte er seine Haushälterin, Friede Fliederbusch, zu ihren Lieben geschickt, zum anderen hatte er sich vor dem Einschlafen einige Schnäpse gegönnt. Nun war„Polen offen“ und es musste alles schnell gehen. Beim Frühstück brannten ihm im Toaster auch noch die Weißbrotscheiben an. Der Tag war wie verhext!
Heiligabend war für ihn immer der stressigste Tag im ganzen Jahr. Nun hatte er in seinen Tagesablauf noch zusätzlich eine Hochzeit angenommen.
Es war ein schöner Wintertag, die Sonne schien, und es schneite. Nach der Trauung des Brautpaares sollte er mit auf das Glück der Neuvermählten mit Sekt anstoßen.
Langrock kannte diesbezüglich seine menschliche Schwäche. Nach wiederholten Bitten der hübschen Braut und ihrer Eltern, willigte er schließlich ein. Einige Gläser Sekt wurden in Freude und bester Laune getrunken, und Hochwürden kam nicht zu kurz. Nun musste Hochwürden Schluss machen, denn im Nachbardorf Breitenbach war die Abendandacht fällig. Der Pfarrer wusste, dass das Trinken mit seinem Amt als Würdenträger nicht vertretbar war. Trotz seines hohen Alkoholspiegels stieg er in seinen VW-Golf, und ab ging die Post. Der Pfarrer hatte die Kleinstadt gerade verlassen, als er feststellte, dass die Landstraße nicht vom Schnee geräumt war. Hochwürden wollte einer Schneewehe ausweichen und bums, er stand dann mit seinem Golf im Straßengraben. Langrock fluchte innerlich ganz erbärmlich.
Die Stadtreinigung hatte den Schnee vor einigen Tagen rechts und links der Straße, in den Graben geschoben. Er versuchte die Türen zu öffnen, aber vergebliche Liebesmüh, die Schneemassen ließen sich nicht wegdrücken. Man konnte mit „Fug und Recht“ sagen, Hochwürden saß in einer Mausefalle. Die Pechsträhne riss einfach nicht ab. Zu allem Ärger hatte er sein Handy zu Hause vergessen. Langrock saß ca. 15. Minuten in diesem Eisgefängnis. Plötzlich hatte er die göttliche Eingebung, über die Heckklappe einen Versuch zu starten. Der Versuch gelang, und Langrock stand mitten im Schneetreiben. Da es lausig kalt war, nahm er sich eine Wolldecke, legte diese um seine Schultern und verknotete sie. Der Pfarrer stapfte in Richtung Breitenbach. Auf einmal gabelte sich der verschneite Weg. Hochwürden überlegte, gehe ich nach rechts, oder wähle ich den linken Weg. Er entschied sich für die linke Abzweigung.
Missmutig und frierend stapfte Langrock den Waldweg entlang. Der Erschöpfung nahe, sah er auf einmal zwei Lichter in der Ferne. Der Pfarrer versuchte flotter zu gehen. Er kam an das Gehöft des Waldhüters Fricke.

Auf sein Klopfen hin öffnete die Haushälterin Rosamunde. Sie erschrak fast des Todes, als sie Hochwürden so stehen sah. Er sah wie ein Waldschrat aus, und die Kälte hatte ihr übriges getan.
Überglücklich, endlich einen Menschen zu sehen, umarmte der sonst so zurückhaltende Pfarrer die Alte. Er drückte ihr einige Schmatzer auf die Wange, und klopfte ihr dabei auf den Allerwertesten. In Ehrfrucht erstarrend ließ Rosamunde alles mit sich geschehen. Sie brachte ihm dann warme Kleidung.
Eine grüne Holzfällerjacke, eine schwarze Zimmermannshose, einen grauen Schal, sowie eine rotweiß karierte Schirmmütze. Nachdem sich der Pfarrer angekleidet hatte, gingen sie in Richtung Breitenbach. Die Haushälterin hatte dem Pfarrer vor dem Aufbruch,noch einige 40% „Warmmacher“ verabreicht. Langrock schwebte immer noch auf „Wolke sieben“ und die letzte Dröhnung verursachte das Nötigste. Die Stalllaterne, die Rosamunde trug, verbreitete kaum Licht. Langrocks Zustand und die Dunkelheit waren ausschlaggebend, dass er links oder rechts in den Schnee fiel. Die Haushälterin half ihm jedes Mal aus der misslichen Situation.
Erschöpft und durchnässt erreichten sie das Dorf. In der Kirche waren nur noch die beiden Messdiener und der Küster. Die Messdiener kleideten den Pfarrer wieder „kirchenwürdig“ an und der Küster läutete die Glocken. In sehr kurzer Zeit hatte sich die Kirche mit Christen gefüllt.
Hochwürden setzte sich auf eine Kirchenbank, er wollte einfach nicht auf die Kanzel. Mit vereinten Kräften gelang es dem Küster und den Messdienern den Pfarrer Langrock auf die Kanzel zu bugsieren. Oben angekommen hatte der Pfarrer das Gefühl, als stehe er auf einer Hochseekogge, bei starkem Seegang.
Ihm kam es vor als sinke und steige Kanzel ein Mal nach rechts und wieder nach links. Einige Male kam es ihm so vor als steige sie bis unter das Kirchendach.
Hochwürden krallte sich an der Brüstung fest.
Die Weihnachtsandacht war gelinde gesagt, eine Katastrophe.


Erst brachte der Pfarrer die Kreuzigung Jesu, danach die Seligsprechungen aus der Bergpredigt, und zum Schluss der Andacht, die Geburt Jesu Christi. Der unrühmliche Höhepunkt der Weihnachtsandacht war, dass Hochwürden
„beim Vater unser“ einige Male „ Schiff ahoi“ rief.
Die Christen wurden tief traurig und in Schock versetzt, man hätte eine Nadel zu Boden fallen hören.
Unter Glockengeläut und Orgelklängen verließen die Gemeindemitglieder, mit Tränen in den Augen, die Kirche. Hochwürden war noch immer beschwipst und glücklich, und er war der Meinung, eine solch gelungene Weihnachtandacht noch nie gehalten zu haben.
Ein Kirchenältester schrieb einen Beschwerdebrief an den Bischof von Fulda.
Der Bischof antwortete in dem kirchlichen Schreiben u.a. „ die Gemeinde Breitenbach wäre bisher mit Hochwürden Langrock zufrieden gewesen, und wir wären schlechte Christen, wenn wir auf Grund dieses Vorkommnisses eine Amtsaufhebung durchführen würden, Langrock bleibt im Amt!“

Pfarrer Langrock betreute aufopferungsvoll noch viele Jahre seine Gemeinde,
und so mancher konnte sich nicht mehr an den Vorfall erinnern.


© Jürgen


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Kommentare zu "Die misslungene Weihnachtssandacht"

Re: Die misslungene Weihnachtssandacht

Autor: Uwe   Datum: 24.11.2014 11:29 Uhr

Kommentar: Jürgen, ein herrlich humorvoller Text!

Re: Die misslungene Weihnachtssandacht

Autor: noé   Datum: 24.11.2014 12:21 Uhr

Kommentar: Wundervoll, erzählt und geschehen.
noé

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