„Mama, schau mal, ich glaube die Kekse sind fertig!“
Caroline saß vor dem Backofen. Sie hatte den ganzen Nachmittag mit ihrer Mutter Plätzchen gebacken, Vanillekipferl und Zimtsterne, Spritzgebäck und lauter lustige Figuren, die sie ausgestochen hatten. Jetzt war das letzte Blech im Ofen.
„ Ich glaube, die brauchen noch ein bisschen“, sagte die Mutter. „Hilf mir schnell beim Aufräumen. Dann mach ich uns einen Kakao und wir probieren die Plätzchen.“
Caroline wusch die Ausstechförmchen ab und legte sie auf die Spüle.
„Du Mama, sag mal, warum backen wir eigentlich zu Weihnachten Plätzchen und nicht zu Ostern oder im Sommer?“
Carolines Mutter lächelte. Das war mal wieder so eine typische Frage ihrer Tochter.
Dann fiel ihr ein, dass sie dieselbe Frage auch einmal gestellt hatte. Sie war genauso alt wie Caroline und sie erinnerte sich noch gut an die Geschichte, die ihre Mutter ihr damals erzählt hatte.
„So genau weiß ich das auch nicht“, sagte sie. „ Aber ich kenne eine Geschichte, die mir deine Großmutter erzählt hat, als ich ein Kind war. Deck schon mal den Tisch, der Kakao ist gleich fertig.“
Sie goss Milch in eine Kanne und brachte sie ins Wohnzimmer.
Caroline holte das Geschirr aus dem Schrank, stellte die Plätzchen auf den Tisch und wartete gespannt, bis die Mutter sich zu ihr setzte.

„Also, das war so“, begann sie nachdenklich.
„Vor vielen, vielen Jahren, als nur wenige Menschen auf der Erde lebten, brachte der Weihnachtsmann den Kindern in jedem Jahr ein Geschenk. Genauso wie er es noch heute tut.
Er hatte damals eine kleine Werkstatt am Nordpol und nur wenige Elfen halfen ihm, die Geschenke für die Kinder herzustellen.
Es gab natürlich noch andere Elfen am Nordpol.
Einige kümmerten sich um die Rentiere, gaben ihnen zu fressen und striegelten sie jeden Tag, bis ihr Fell seidig glänzte. Und einmal in der Woche flogen sie mit ihnen, manchmal sogar bis zum Südpol, damit sie zu Weihnachten gut in Form waren.
Und dann gab es noch die Küchenelfen. Die waren besonders wichtig, denn sie sorgten dafür, dass der Weihnachtsmann und alle Elfen genug zu essen bekamen.
Sie kochten und brieten und buken den ganzen Tag, Kuchen und Plätzchen und sie hatten für jeden, den die herrlich Gerüche in die Küche gelockt hatte, eine besondere Leckerei.

Am Nordpol herrschte zu dieser Zeit eine ausgelassene und fröhliche Stimmung. In den Werkstätten wurde gesungen und gescherzt und jeder hatte Spaß an seiner Arbeit.
So ging es viele Jahre, doch dann gab es immer mehr Menschen auf der Erde und natürlich gab es immer mehr Kinder, die zu Weihnachten ein Geschenk bekommen sollten.
Der Weihnachtsmann rief alle Elfen, die irgendwo auf der Erde lebten, zum Nordpol.
Sie halfen ihm größere Werkstätten zu bauen und die Wunschzettel der Kinder zu bearbeiten.
Sie bewachten den Nordpol, denn immer öfter drangen die Menschen in die abgelegensten
Gebiete der Erde vor und manchmal kamen sie auch bis zur Stadt des Weihnachtsmanns.
Die Elfen nahmen ihre Arbeit sehr ernst und bald herrschte wieder eine fröhliche Stimmung.
Aber die Zahl der Menschen wuchs und wuchs und auf der ganzen Welt gab es keine Elfen mehr, die bei der Arbeit helfen konnten.
So mussten diejenigen, die vorher andere Aufgaben erledigt hatten, in den Werkstätten aushelfen.
Zuerst holte man die Rentierelfen aus den Ställen. Nur wenige blieben dort zurück. Die Rentiere murrten, denn mit der liebevollen Pflege war es vorbei. Ihr Fell wurde zottelig und fliegen durften sie nur noch, wenn einer der Elfen eine wenig Zeit übrig hatte.
Dann wurden die Büro- und die Sicherheitselfen geholt und zum Schluss mussten die Küchenelfen dabei helfen die Geschenke anzumalen und einzupacken.
In der Küche war es jetzt sehr hektisch. So sehr sie sich auch bemühten, sie schafften es gerade, den Weihnachtsmann und die fleißigen Elfen mit einfachen Speisen satt zu bekommen. An Leckereien, an Plätzchen und Kuchen war nicht mehr zu denken.
Vorbei war es mit der fröhlichen Stimmung in der Weihnachtsstadt, vorbei mit dem Scherzen und Singen. Jeder hatte es eilig, jeder rannte und hetzte, denn die Zeit lief ihnen davon.

An einem Tag, kurz vor Weihnachten, war es wieder einmal besonders hektisch. "Sami, wo bleibst du denn?" Rupert, einer der älteren Elfen, war sehr ungeduldig, denn Sami war noch immer bei den Rentieren, obwohl er schon längst die Wunschliste der Kinder im Büro des Weihnachtsmann überprüfen sollte. Es hatten sich mal wieder ein paar Fehler eingeschlichen und jetzt musste die ganze Liste noch einmal durchgesehen werden.
"Bin schon da!" Sami, der kleine Waldelf, kam aus dem Stall.
"Ich weiß, ich muss ins Büro, hab nur schnell die Tiere gestriegelt. Sie sahen so traurig aus!"
"Ach Sami, was ist nur mit der Weihnachtstadt geschehen?"
Rupert klopfte dem kleinen Elf auf die Schulter.
"Jetzt beeile dich, die Roboter können nicht weitergebaut werden, wenn die Werkstatt nicht die richtige Liste hat!"
"Bin schon weg!" rief Sami und rannte los.

Das Büro des Weihnachtsmanns war in einem kleinen Häuschen untergebracht, das ein wenig abseits stand. Sami klopfte vorsichtig an die Tür.
Von drinnen hörte er eine Stimme
"Komm nur herein und setz dich, die Liste liegt auf dem Schreibtisch."
Sami trat ein und sah sich in dem schwach beleuchteten Raum um. In der Mitte stand ein großer Schreibtisch mit einem mächtigen Stuhl davor, in einer Ecke gab es ein kleines Tischchen und an den Wänden standen Regale mit vielen Bücher darin.
Wohin sollte er sich setzen? Außer dem Sessel vor dem Schreibtisch gab es keine Sitzgelegenheit. Vorsichtig kletterte Sami hinauf, als plötzlich eine Kugel auf dem Schreibtisch zu leuchten begann und ihr Licht auf die lange Liste warf, die dort lag.
"Ach du meine Güte!" rief Sami erschrocken "Die soll ich durchsehen, das wird ja Tage dauern, wie soll ich das nur schaffen?"
Sami war so verwirrt, dass er nicht bemerkte, wie das goldene Licht in der Kugel erlosch und sie durchsichtig wurde.
"Die viele Arbeit, nachher muss ich noch in die Küche zum Gemüse putzen, für die Rentiere habe ich viel zu wenig Zeit und jetzt das hier." Sami seufzte. "Die anderen Elfen sind auch alle schlecht gelaunt, keiner spricht mehr ein freundliches Wort, selbst der Weihnachtsmann hat seine gute Laune verloren und - seinen dicken Bauch. Ja, ganz mager ist er geworden.
Wenn wir wenigsten ab und zu etwas Gutes zu Essen bekämen, Plätzchen und Kuchen, so wie früher..."

Sami starrte auf die Liste. Was sollte er überprüfen, ach ja, die Roboter!
Wer wünscht sich einen Roboter?
ROBOTER stand jetzt in großen roten Buchstaben auf der Liste.
Die Zeichen leuchteten so hell, das er sie ganz leicht überprüfen konnte und sehr schnell den Fehler fand. Und gleichzeitig leuchtete die Kugel, die auf dem Tisch stand. Sami sah hinein.
Er sah Kinder, die in ihren Betten lagen und schliefen. Er sah ihre Träume und ihre Wünsche, so, wie es sonst nur der Weihnachtsmann konnte.
"Oh wie schön, eine Traumkugel, sie hat mir also geholfen," dachte Sami.

"Hallo Sami, ich sehe du bist fertig. Lauf schnell zu Rupert, er wartet auf dich und ... Danke!"
Der Weihnachtsmann hatte das Zimmer durch eine kleine, versteckte Tür betreten. "Beeile dich ...", sagte er lächelnd und zwinkerte ihm zu .
"Ja, mach ich...." stotterte der kleine Elf, rutschte aus dem Sessel und rannte hinaus.

In dieser Nacht träumten viele Kinder von Weihnachten, von Geschenken und von einem kleinen Elf, der traurig und hungrig war, denn die Traumkugel funktionierte manchmal auch anders herum und so hatte sie Sami's Gedanken in ihre Träume gebracht.
Sie träumten von Elfen und von ... Keksen.
Von Schokoladenkeksen, Zimtsternen, Vanillekipferl, Lebkuchen, Nussplätzchen und am nächsten Morgen, als sie aufwachten, dachten sie noch immer an: Kekse!
Und so wurden in diesen Tagen in vielen Häusern Plätzchen gebacken. Und wenn die Kinder dabei an den kleinen Elf und an den Weihnachtsmann dachten, kam von jedem Plätzchen ein Stückchen in der Weihnachtsstadt an.

Die Elfen freuten sich sehr über die vielen Köstlichkeiten, die ihnen nicht nur sehr gut schmeckten, sondern auch ganz viel Kraft gaben, denn sie waren mit der Liebe der Kinder gebacken.
Die Arbeit ging ihnen jetzt viel leichter von der Hand und immer häufiger hörte man ein kleines Lied, einen Scherz und ein Lachen. Bald war es wieder genauso schön wie früher in der Weihnachtsstadt.

Caroline schaute aus dem Fenster. Draußen war es schon dunkel geworden.
"Ich hoffe, unsere Plätzchen haben euch geschmeckt. Nächstes Jahr backen wir noch mehr!"
flüsterte sie, nahm sich den letzten Keks vom Teller und dachte dabei ganz fest an Sami, Rupert und den Weihnachtsmann.


© Sigrid Hartmann


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Kommentare zu "Warum wir zu Weihnachten Plätzchen backen"

Re: Warum wir zu Weihnachten Plätzchen backen

Autor: Angélique Duvier   Datum: 27.11.2012 16:52 Uhr

Kommentar: Eine wunderschöne Geschichte,liebe Sigrid!
Herzliche Grüße, Angélique

Re: Warum wir zu Weihnachten Plätzchen backen

Autor: Siegfried Makeba   Datum: 29.12.2012 17:01 Uhr

Kommentar: Liebe sissy,

du schreibt gefühlvolle Kindergeschichten. Du magst Kinder wohl sehr. Ich auch.

Liebe Grüße. Siegfried.

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