Der Sylvesterpunsch


Es war der 31.12. und Familie Steinbach war gerade beim Frühstück. Man war
später als sonst aufgestanden, denn man wollte in das Neue Jahr rein feiern.
Die Küchenuhr schlug zur zehnten Stunde.
Mutter Steinbach hatte sich einige Toastschnitten gemacht, die sie mit Butter und
Sirup bestrich. Vater Steinbach ließ sich die angeschnittene Marzipanstolle
schmecken. Der heiße Bohnenkaffee dampfte aus den Tassen und ein
wohltuender Duft zog durch den Raum.
Plötzlich lautes Klopfen am Tor der Steinbachs. Vater Steinbach sprang auf und eilte über den Hof, dabei verlor er seinen linken Pantoffel.
Draußen vor dem Tor stand der Postbote Mühsam, und er hatte ein Paket für die
Familie Wollhardt.
Die Familie Wollhardt waren die linken Nachbarn von Familie Steinbach.
Wollhardts haben ganz bestimmt einen Dukatenscheißer in ihrem Keller, denn der Postbote bringt mindestens 20 Pakete im Monat.
Vater Steinbach nahm das Paket und stellte es in den Treppenflur. Er setzte sich
wieder an den Küchentisch und nahm einen großen Schluck Kaffee zu sich,
als es erneut heftig klopfte.
Steinbach stand auf und murmelte vor sich hin, welcher A…kann das bloß sein. Es war die füllige Elfriede Fuchs, die draußen beharrlich wartete. Sie war von Gestalt mehr breit wie hoch. Als Steinbach die Elfriede so stehen sah, fiel es wie Schuppen von seinen Augen. Steinbach wollte mit ihr nach Breitenheim fahren, um ihren Fiat aus der Reparatur abzuholen. Sie legte gleich lauthals los, gibt es irgendwelche Probleme sonst muss ich mir jemand anderes suchen.
Sie fuhren nach kurzer Zeit los, und Elfriede hatte schon bald ihren geliebten Fiat.
Sie bedankte sich und gab Vater Steinbach einen Kuss auf seine unrasierte Wange.
Beim Wegfahren drehte sie die Scheibe vom Fiat herunter und rief: „ Ich komme gegen 19.00 Uhr. “Sie gehörte bei Steinbachs so gut wie zur Familie. Elfriede und Mutter Steinbach waren in die gleiche Klasse der Grundschule neunzehn gegangen. Sie waren auch die beiden „ wichtigsten Stimmen“ im Kirchenchor. Die unmittelbaren Nachbarn waren eine verschworene Gemeinschaft, und sie feierten immer gemeinsam Sylvester.
Zu dieser Gemeinschaft gehörten natürlich Steinbachs, die Familie Klein, die
Familie Weiß und Elfriede Fuchs.
Die Familie Wollhardt, die auch zur unmittelbaren Nachbarschaft gehörte, wurde vonallen gemieden. Die Ursachen dafür waren vielseitig.
In diesem Jahr war die Familie Steinbach für die Ausrichtung der Sylvesterfeier verantwortlich.
Vater Steinbach hatte sich nach dem Mittagessen zum Abruhen auf das Wohnzimmersofa gelegt, als er von seiner besseren Hälfte hochgescheucht, und zur Arbeit in die Küche verbannt wurde. Es gab noch viel an dem umfangreichen Menü zu tun. Das Menü setzte sich wie folgt zusammen:
Beginnend mit einem deftigen Pastinakensüppchen, verziert mit Shrimps.
Das Hauptgericht besteht aus gebratenem, schottischem Hochlandrind mit
Kartoffelknödel und Wintergemüse.
Zum Hauptgericht sollte der Riesling „ Erbacher Höllenbrut“ kredenzt werden.
Der krönende Abschluss bestand aus Fürst Pückler Eis, mit Sahne und Himbeeren.
Mutter Steinbach war eine sehr gute Köchin und bei ihr musste alles hervorragend
schmecken.
Elfriede Fuchs kam schon viel eher und sie half, ohne Umschweife, Mutter
Steinbach bei den restlichen Arbeiten.
Die Zeit verging wie im Fluge, und als erstes traf die Familie Klein ein, die generell
zu allen Veranstaltungen die Ersten waren.
Franz Klein war klein von Gestalt und sein Familienname passte zu ihm. Seine Größe betrug 155 cm, und er hatte ein Backpfeifengesicht. Er hatte ein lang
gezogenes Gesicht mit abstehenden Ohren. Die knallroten Wangen und seine
Glatze verliehen ihm etwas Lächerliches. Beim Gehen zog er sein linkes Bein
hinter sich her. Das war das Resultat einer frühzeitigen Kinderlähmung.
Einen Beruf hatte er nicht, er verdingte sich als Saisonarbeitskraft. Er arbeitete als Spargelstecher, als Weihnachtsbaum-Verkäufer oder auch als Losverkäufer.
Franz Klein war ständig hilfsbereit und handwerklich begabt, vor allem scheute er sich vor keiner noch so unangenehmen Arbeit. Klein trug ständig einen Taschenwärmer mit sich herum, der mit Peitschenwodka gefüllt war. Der Name Peitschenwodka stammt daher, da auf dem Edikett der Wodkaflasche eine Troika mit einem peitschen schwingenden Kutscher zu sehen war. Diesen Wodka gab es nur im Osten und er war der Billigste. Franz rauchte nicht, Alkohol war sein Lebenselexsier.
Frau Rosie Klein war das ganze Gegenteil von ihm. Sie war ca. 190cm groß und ihr
Gesicht war mit Sommersprossen übersät. Rosie hatte dichtes, strohblondes Haar,
und ein schalkhaftes Lächeln lag auf ihrem Gesicht, welches ihre Sommersprossen
erst richtig hervortreten ließ.
Man konnte auch sagen, dass sie die Ähnlichkeit mit der Tochter eines Tischlers hatte, denn sie war vorn und hinten „ glatt gehobelt“. Es fehlte nämlich der Busen sowie der Po. Rosi Klein war das Tratschblatt der Kleinstadt.
Franz brachte eine große Karaffe mit selbst gebrautem Punsch mit. Rosie hatte Kartoffelsalat und Frikadellen in einer Schlüssel, die mit einem Geschirrtuch
abgedeckt war.
Kurz nach der Familie Klein kam die Familie Weiß. Er war ein richtiger Schornsteinfeger und in seinem Büro hingen mehrere berufliche Auszeichnungen.
Zu seinem Äußeren gab es nichts weiter zu sagen. Bruno Weiß hatte die Angewohnheit, jeden Satz mit den Worten: „ Das war aber ein Ding!“ zu beginnen.
Frau Weiß, spielte die „vornehme Dame.“ Sie war sehr hübsch, und ständig wurde sie von allen Männern beäugt. Sie trug immer die neuste Mode, und bösartige Menschen behaupten, sie hätte drei Kleiderschränke voll gestopft mit Kleidung.
Ihr Vorname lautet Charlotte. Charlotte brachte in Öl eingelegte Knoblauchzehen und einen Mohnzopf mit.
Die weit schweifende Begrüßungszeremonie dauerte fast eine halbe Stunde, so
dass sich die Männer heimlich davon stahlen, um in der Küche die ersten Bierchen
zu genießen. Danach wurde von Helene Steinbach die Tischordnung angesagt.
Elfriede Fuchs saß in der Nähe der Wohnzimmertür, denn sie musste den Gästen
die Speisen und Getränke reichen.
Ihren Mann, Kurt Steinbach, setzte sie rechts neben Charlotte Weiß, links neben Charlotte bekam Franz Klein seinen Sitzplatz. Bruno Weiß bekam seinen Platz an der unteren Stirnseite des Tisches.
Helene Steinbach hatte gleich zwei Sitzplätze am Tisch in ihren Besitz genommen,
denn sie musste ja beweglich sein und den Gästen mit Rat und Tat zur Seite stehen.
Fernsehen war an diesem Abend tabu.
Man unterhielt sich, sang Schunkellieder, aß und trank und die Stimmung war kurz vor dem Höhepunkt.
Franz war durch den vielen Alkohol aufgeputscht, und fing wie immer, mit stänkernan. Er hatte sich Kurt Steinbach ausgewählt. Franz ärgerte sich jedes Mal, dass er keinen Beruf erlernt hatte. Kurt hatte ein Diplom, und er hatte viele Jahre mehrerehohe Posten bei der Reichsbahn bekleidet.
Franz hatte mehrere beleidigende Sprüche und Verse in seinem Vokabular. Er brachte schadenfroh den Vers:
„ Hast du einen dummen Sohn
dann schicke ihn zur Bauunion,
ist er noch viel dümmer
die Reichsbahn nimmt ihn immer“…
Bruno und Franz lachten aus voller Kehle. Alle Anwesenden wussten, dass Kurt
gemeint war. Die Gesichter der anderen Gäste wurden totenblass und verfinsterten sich.
Erst jetzt merkte Franz, dass sein saublöder Spruch nicht nur Kurt beleidigte.
Er versuchte die verkorkste Situation zu meisten, indem er Witze über seinen Chef machte. Die Gemütlichkeit und Ausgelassenheit der Runde war wie weggeblasen.
Rosie Klein wollte ihrem Franz beistehen. Sie sagte: „ Wollen wir nicht einmal
den Sylvesterpunsch kosten.“ Nur zögernd willigten alle ein.
Der Sylvesterpunsch, den Franz vorbereitet hatte, war in Wirklichkeit kein richtiger Punsch. Im Prinzip waren es alkoholische Getränke, die zusammen gemixt waren: Darin war Russischer Wodka und Rumtopf mit Früchten.
Dieses Gebräu bzw. der so genannte Punsch hatte es in sich!
Die Frauen tranken auch weiterhin den französischen Champagner und nippten
von Zeit zu Zeit am Eierlikör.
Die Männer nahmen sich den „ so genannten Punsch“ zur Brust. Das Gespräch bei Franz und den Männern drehte sich, wie kann es auch anders sein, um Fußball. Dabei wurde dem Punsch ordentlich zugesprochen. Kurt und Bruno mussten zur Toilette, so dass Franz allein war. Die Frauen hatten sich ins Nebenzimmer begeben.
Franz war an diesem Abend, was sonst nicht seiner Art entsprach, äußerst gemein und fies. Er goss in das halbvolle Glas von Kurt Punsch mit vielen, vielen Rumtopffrüchten ein.
Franz freute sich im Geheimen, das Kurt bald vom Alkohol niedergerungen wird.
Kurt bemerkte zwar die Früchte in seinem Glas, aber er hegte keinen Argwohn.
Nach ca. zehn Minuten rutschte Kurt von seinem Sessel, zum Glück fand auf dem Perserteppich, seinen Halt.
Große Aufregung herrschte nun unter den Anwesenden. Die Männer hoben ihn auf, und legten ihn auf das Sofa. Helene Steinbach bemerkte, so Etwas kommt doch sonst nicht bei meinem Kurt vor.
Allen war dieses Geschehnis auf den Magen geschlagen, und nun war der so genannte Nullpunkt erreicht. Man hätte noch stundenlang weiter feiern können,
doch eine gute Stimmung wäre niemals erreicht worden.
Zu Hause angekommen stellte Rosie ihren Franz zur Rede. Grinsend und lachend berichte Franz wie er Kurt einen „ über geholfen habe.“
Rosie sagte: „Du bist ja mehr als gemein, wie konnte ich bloß einen solchen Menschen wie dich heiraten.“ Sie wischte sich die Tränen aus ihrem Gesicht und
Meinte: „Denkst du denn gar nicht mehr daran, wie oft dir Kurt, beim Abendstudium,zur 12. Klasse geholfen hat?“.
Sie war so verärgert, dass sie zu zittern anfing. Rosie griff ihr Bett und ihre Schlafsachen und ging ohne ein Wort ins Mansardenzimmer. Dort richtete sie ihre Schlafstelle her.
Sie war noch lange wach nach der Sylvesterknallerei, denn sie fand keinen Schlaf.
Ihre Gedanken kreisten nur um das Thema herum, wie kann ich das bei Steinbachs wieder gutmachen.
Am Neujahrsmorgen wachte Franz gegen 09.00 Uhr auf. Er richtete sich im Bett auf und rief Rosie, Rosie, jedoch er erhielt keine Antwort. Beim Aufstehen drehte sichalles in seinem Kopf. Klein ging ins Mansardenzimmer, doch von seiner Ehefrau keine Spur. Er ging reinzufällig zum Schlüsselbrett, und siehe da, es fehlte der Haus- und der Garagenschlüssel.
Ihn überfiel eine gewisse Traurigkeit, und er fiel in eine Lethargie. Franz raffte sich
auf und schlürfte zur Küche. In der Küche angekommen, öffnete er den Kühlschrankund entnahm ein Bier. Franz Klein setzte sich auf einen Küchenstuhl, aber was war denn das.? Ein Zettel mit Rosies Handschrift lag auf dem Küchentisch.
Sie hatte Nachfolgendes geschrieben: Ich bin bei Oma, wenn du dich bei Steinbachs entschuldigt hast, kannst du mich abholen, wenn nicht, dann bleibe mir „ gestohlen.“
Gruß deine Rosie!
Franz schämte sich so sehr, dass er der Entschuldigung nach kam. Er nahm es in Kauf, auf Rosie zu warten.


© Jürgen


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