Ein Tag Frühling

© Frida Mai

Als ich heute Morgen aufwachte, durchfluteten bereits warme Sonnenstrahlen mein Zimmer und in mir machte sich ein befreiendes Gefühl der Freude breit. Endlich Sonne, die ich seit Ewigkeiten nicht mehr so intensiv gespürt habe, weil sie hinter dicken Wolken schien und ihre Wärme verborgen blieb.

Ich war glücklich, mal keine dunklen Wolken zu sehen, denn das ständige Grau ging mir mittlerweile auf die Nerven und drückte negativ auf meine Stimmung. Jede Jahreszeit ist schön, aber zu viel Winter gefährdet meine Laune und legt mich lahm, vor allem emotional. Dabei habe ich als Kind den Winter geliebt und das nicht nur wegen der Schneeflocken. Eigentlich bin ich ein Winterkind. Allerdings ist davon nicht mehr viel übrig geblieben, bis auf den schlafenden Steinbock in mir, der nur noch als symbolisches Sternzeichen in Erscheinung tritt und nahezu passiv agiert.

Ich schaute aus dem Fenster und sah zum ersten Mal den zarten Frühling in diesem Jahr, obwohl er noch nicht begonnen hatte. Aber heute zeigte er sich für einen Tag in seiner ganzen Schönheit. Die Luft, die leicht durch mein angekipptes Fenster zog, war mild und sanft. Keine Spur von harter Kälte und schroffem Wind. Einige Vögel zwitscherten schon vereinzelt, die sich irgendwo in den Bäumen zwischen den anderen Häusern versteckten. Draußen liefen übermütige Leute im dünnen Pullover herum, als sei es völlig selbstverständlich und man konnte denken, dass es in den nächsten Tagen nicht anders sein würde. Denn heute war Frühling. Außerdem hörte ich kaum ein Auto auf der Straße. Alles war ungewöhnlich ruhig und friedlich, wie es sich für einen anständigen Sonntag gehörte.

Das helle Licht in meiner Wohnung sorgte für Tatendrang und das merkte ich unmittelbar nach dem Aufstehen. Alles ging viel leichter von der Hand und ich musste nicht lange nachdenken, ob ich heute z.B. putze oder nicht. Schließlich wurde der Staub von der Sonne gut erkennbar angestrahlt und zeigte mir die Schwachstellen in den Ecken, ohne meine Augen dabei anstrengen zu müssen. Alles war easy und machte Spaß, nichts kostete Überwindung oder gar Ärger. Ich schmiss den Haushalt mit Euphorie und Enthusiasmus.

Keine einzige Wolke war am Himmel zu sehen. Es gab nichts anderes, als die Farbe Blau, gefüllt mit Wärme und Licht. Wenigstens für einen Tag.

Als ich meine Balkontür öffnete, um Wäsche aufzuhängen, konnte ich es kaum fassen, wie warm es dort war. Durch die aufgestaute Wärme fühlte es sich an, als hätte mir der Hochsommer gerade einen flüchtigen Besuch abgestattet. Ich freute mich über diesen kurzen sommerlichen Vorgeschmack, der hoffentlich nicht mehr allzu lange auf sich warten ließ.

Ich atmete den Duft der frisch gewaschenen Wäsche ein, die angeblich nach Orchideen roch. Ja, es wurde Zeit, dass sich der Frühling blicken ließ, denn so viele Dinge sorgten für Sehnsucht. Wie der falsche Duft von künstlich hergestellten Blumenaromen aus dem Weichspüler.

Nach einer Tasse Kaffee, drängte sich der Aktivitätstrieb noch stärker in mir auf. Koffein und Sonne zeigten ihre energetische Wirkung und ließen mich nicht mehr still sitzen. Mir war jedoch auch ohne Kaffee klar, dass ich heute unbedingt raus musste. Ich als Fahrrad-Junkie hatte nur auf diesen Moment gewartet: Schönes Wetter, ohne viel Wind, der mir fies ins Gesicht pustete und versuchte, mich unlieb vom Fahrrad zu drücken. Ich hasste Wind von einer Stärke ab 21 km/h.

Was nur noch fehlte war witterungsangepasste Frühlings-Kleidung. Also entschied ich mich für Shorts aus Webstoff und blickdichten Leggings. Darüber ein T-Shirt mit Blumen und eine dünne Baumwolljacke in schwarz, um es nicht zu übertreiben. Für die Füße gab es diesmal ausnahmsweise flache Sportschuhe, die ich sonst nie trug. Die Strickmütze durfte heute zu Hause bleiben, auch wenn es mir anfangs schwerfiel, auf dieses Lieblingsstück zu verzichten. Ich dachte, dass sie nicht nötig war und mich der Wind in Ruhe ließ.

Es war ein tolles Gefühl, nach langer Zeit endlich wieder meine geliebte bernsteinfarbene Retro-Sonnenbrille aufzusetzen. Welch geiler Moment, anders war es nicht zu beschreiben. In meinem Bauch kribbelte es, als ob ich verliebt wäre. Dabei war es nur die Freiheit, die ich nun wieder umso mehr spüren und nutzen konnte. Endlich wieder frische Luft und Natur, die ich so sehr vermisste.

Ich wurde ungeduldig, als ich ein paar Minuten vor der roten Ampel warten musste. Heute stand sie gefühlsmäßig viel länger auf Rot, als sonst. Als endlich grün war, konnte ich es kaum erwarten, loszufahren. Die letzte Tour war zwei Monate her – es war eisig kalt und ich inhalierte nur nebelige Luft. Heute war es anders, an diesem sonnigen Frühlingstag.

Auch andere Leute zog es nach draußen. Sie hatten ebenfalls keine Lust, faul und vollgefressen auf der heimischen Couch vorm blöden Fernseher zu liegen. Richtig so. Nach einigen Metern merkte ich allerdings schon, wie stark der Wind von vorne kam und mir das Fahren erschwerte. Aber es war mir egal, dafür hatte ich auf dem Rückweg weniger zu tun. Der Wind schaffte es nicht, meine Motivation zu stoppen. Ich suchte schließlich keine Ausrede, um Sport raffiniert aus dem Wege zu gehen. Nach einer Weile vergaß ich den Wind sogar, denn durch die Musik aus meinen Ohrstöpseln konnte ich ihn gut ignorieren, obwohl er sie mir beinahe aus dem Ohr blies.

Um mich herum war kein Winter zu sehen. Kein Schnee im Gebüsch, kein Frost in der Luft und kein vereister See in der Nähe. Das Gras war grün, aber die Bäume waren leider noch etwas kahl und wurden nicht von prächtigen Baumkronen geschmückt. Aus dem Gras in den Vorgärten schauten kleine Schneeglöckchen hervor, die sich noch nicht richtig heraustrauten. Die Krokusse blieben mir noch vorenthalten, denn ich sah sie nicht oder ich war zu blind, in meiner Wintersmüdigkeit, die mich derzeit noch mit ihrer unangenehmen Gesellschaft bedrückt und mich erst dann verlässt, wenn der Frühling in voller Montur ist. Bitte bald.

Als ich nach einigen Stunden wieder zu Hause war, wurde es schon langsam dunkel. Es machte mich etwas traurig, als mir bewusst wurde, dass dieser schöne Tag nun zu Ende war und ich nicht wusste, wann die Sonne zurückkehrt. Ich schloss alle Fenster, denn auf die abendliche Abkühlung in meiner Wohnung wollte ich lieber verzichten. Nur im Schlafzimmer durfte sie bleiben. Danach machte ich mir einen Tee und als ich mich hinsetzte, sah ich, dass meine Hose ein Loch hatte. Wahrscheinlich wurde sie nun endgültig vom Sattel aufgescheuert. Die Hose hatte schon einige Jahreszeiten erlebt und diese Tour war wohl ihre Letzte.


© Frida Mai, alle Rechte vorbehalten.


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