Fasnachtsbekanntschaft

© Pia Koch-Studiger

Er sitzt am Tresen vor einem Glas Bier. Neben ihm hockt sein Bruder. Rings um sie herrscht Jubel, Trubel, Heiterkeit. Es ist Fasnacht. In diesem Lärm kann man sein eigenes Wort kaum verstehen. Ein Gespräch mit dem Bruder ist unmöglich.

Er ist unruhig. Immer wieder wandert sein Blick zur Tür und auf die Uhr. Er ist bereits seit einer Dreiviertelstunde hier. Und von seiner Frau immer noch keine Spur.

Am Abend waren sie alle schon bereit, um sich miteinander ins Fasnachtsgetümmel zu stürzen. Nun ja, nicht verkleidet. Er und sein Bruder gehören zu den Geniessern. Als Zuschauer wollten sie das Kommen und Gehen der Masken beobachten. Aber dann, bereits unter der Türe, kehrten ihre Frauen um, weil sie ihre kleinen Kinder noch in den Schlaf wiegen wollten. Als ob die Grossmutter dies nicht könnte! Und die Männer sollten schon mal vorgehen.

Sein Bruder ist da viel entspannter als er. Der schäkert mit den Masken. Er lässt sich abküssen und hält auch schon mal eine Kostümierte im Arm.

Jetzt bedrängt ihn eine Geisha. Er versteht nicht, was sie sagt. Die Maske dämpft ihre Stimme und verzerrt sie. Da deutet sie unmissverständlich auf sein Getränk. Sie möchte, dass er ihr einen Drink bezahlt. Er warte hier auf seine Frau, wehrt er ab. Doch die Geisha lässt sich nicht beirren. Sie rückt näher an ihn ran und deutet wieder auf sein Glas. Hilfesuchend wendet er sich zu seinem Bruder. Doch der hat nur Augen für ein Schulmädchen mit keck aufstehenden Zöpfen à la Pippi Langstrumpf. Inzwischen hat ihn die Geisha umrundet und schmiegt sich von der anderen Seite an ihn. Die ist dermassen aufdringlich, dass es unangenehm ist. Ihm reicht es. Er bezahlt sein Bier und informiert seinen Bruder, dass er jetzt zu Hause nachsehen wolle, wo die Frauen bleiben.

Entschlossen erhebt er sich und steuert dem Ausgang zu. Die Geisha folgt ihm. Die wird dann schon umkehren, denkt er sich. Aber plötzlich hakt sie unter. Er versucht, ihr seinen Arm zu entwinden. Aber sie klammert sich an ihn und lässt sich nicht abschütteln. Sie hängt sich an ihn wie eine Klette. Zudem plappert sie ununterbrochen. Er versteht davon kein Wort, da der Ton durch die Maske gedämpft und verzogen ist.

Unmut breitet sich in ihm aus. Diese dumme Situation hat er seiner Frau zu verdanken. Wo in aller Welt bleibt sie denn?! Weshalb können Frauen nie pünktlich sein! Weshalb sind Mütter solche Glucken! Warum hat sie das Zubettbringen der Kinder nicht seiner Mutter überlassen?

Endlich ist er beim Haus angekommen. Die Geisha klebt immer noch an ihm. Will die jetzt auch noch mit ihm ins Haus? Entsetzt bei diesem Gedanken wehrt er sie ab und sprintet die paar Stufen zur Tür hinauf. Die Geisha steht am Treppengeländer. Sie wartet. Da kannst du lange warten, denkt er und wirft hinter sich die Türe ins Schloss.

Seine Mutter sitzt im Wohnzimmer und schaut verwundert auf: „Psst! Du weckst die Kinder! Was ist denn in dich gefahren? Und weshalb kommst du bereits nach Hause? Und wo ist deine Frau?“ Die Fragen prasseln auf ihn ein. Die letzte macht ihn stutzig: „Das wollte ich auch gerne wissen! Seit einer Stunde sitze ich im „Goldenen Löwen“ und warte. Sie kommt einfach nicht!“ – „Die beiden Frauen sollten schon seit geraumer Weile dort sein. Deine Schwägerin gefällt mir besser. Als Schulmädchen kann man an der Fasnacht lustig sein und seinen Schabernack mit den Leuten treiben. Das Kostüm deiner Frau wäre mir zu steif. Es sieht zwar wunderschön aus, so ein Kimono.“

Ihm fällt der Kiefer herunter. Die beiden Frauen haben sich heimlich verkleidet! Somit ist diese aufdringliche Geisha vor seinem Haus…? Er rennt zur Tür und reisst sie auf. Die Geisha wartet immer noch. Er stürzt die Treppe hinunter und reisst sie in die Arme: „Du Frechdachs, du! Hast mich recht an der Nase herumgeführt!“ Sie lacht, schmiegt sich an ihn und jetzt versteht er ihre Worte durch die Maske: „Gratuliere, du hast den Treuetest bestanden!“

Kurz überlegen sie, ob sie sich noch einmal ins Fasnachtsgewühl stürzen wollen. Doch dann beschliessen sie zu Hause zu bleiben. Dieser Spass, so wie gehabt, ist nicht wiederholbar. Und dann grinsen sie beide, als sie sich vorstellen, wie der Bruder im Moment vom kecken Schulmädchen zum Narren gemacht wird.


© Pia Koch-Studiger


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Beschreibung des Autors zu "Fasnachtsbekanntschaft"

meine finale Geschichte im Projekt "Autorentod"

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https://www.schreiber-netzwerk.eu/de/9/ExperimentellesSchreiben/93/Wortvorgaben/40190/Autorentod--DIE-LETZTE-LESUNG-DER-TOP-2/

DANKE !

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Kommentare zu "Fasnachtsbekanntschaft"

Re: Fasnachtsbekanntschaft

Autor: Pia Koch-Studiger   Datum: 22.02.2015 17:48 Uhr

Kommentar: Ich hatte Mühe mit abspeichern: jetzt ist die Geschichte offensichtlich ein paar mal auf dieser Seite. Ich werde die anderen Exemplare löschen, sobald ich kann. .......

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