Die Rückkehr der Wölfe

Das Jahr 1762 galt bisher als das schwärzeste in der Chronik des kleinen Dithmarscher Dörfchens Weiningen.
Das Frühjahr begann mit zu viel Regen. Die Obstbäume setzten keine Früchte an und die Frühkartoffeln versanken im Morast.
Der Sommer war mörderisch. Von Juni an bis Ende September herrschte glühende Hitze. Kein Regen, kein Gewitter, nichts, was die Ernte gesichert hätte. Der Weizen verdorrte auf den Feldern, genauso der Mais. Und wieder gab es keine Kartoffeln. Diesmal verschrumpelten sie vor Trockenheit im Boden. Nicht einmal für die nächste Saat blieb etwas übrig, geschweige denn genug, um den ärgsten Hunger zu stillen.
Der Herbst kam mit Unwettern. Hagelstürme im Oktober zerstörten die letzte Hoffnung auf ein Überleben im Winter. Und der kam, wie könnte es in diesem furchtbaren Jahr auch anders sein, früh.

Die Menschen hungerten. Als erstes starben die Säuglinge, weil die verschrumpelten Brüste ihrer Mütter keine Milch geben konnten. Dann starben die Alten, weil ihre hungerschwachen Körper den Krankheiten des Winters nichts entgegenzusetzen hatten.
Die kräftigeren Erwachsenen und die Kinder des Dorfes wurden ausgeschickt, in den nahen Wäldern nach Essbarem zu suchen. Die Erwachsenen gingen auf die Jagd, die Kinder suchten Beeren und gruben nach Wurzeln, Knollen und sogar Grasbüscheln. Alles war willkommen. Was sie fanden, reichte gerade so zum Überleben.

Und dann kamen die Wölfe.

Auch sie litten Hunger. Auch ihr Winter hatte früh begonnen. Die Menschen fingen alle Beute weg. Sie konnten sich ihre Scheu nicht länger leisten.
Es begann damit, dass die hungrigen Wölfe die 6 und 7-jährigen Geschwister der Weber-Familie überfielen. Der Suchtrupp fand nur blutigen Schnee und einen einzigen Fetzen Kleidung, der Hinweis auf die Gesuchten gab.
Die Menschen wurden vorsichtiger, doch die Wölfe waren schlau. Jeder Dorfbewohner, der sich zu weit von seiner Gruppe fortwagte, wurde gerissen.
Nun verließen die Menschen kaum noch ihre Häuser. Die Wölfe hungerten, aber sie wussten, wo ihre Beute war. Und was niemand für möglich gehalten hätte, geschah in der Nacht auf den 21. Dezember: Die Wölfe fielen in das Dorf ein und richteten ein furchtbares Gemetzel an. Als man am Morgen endlich die Opfer zählen konnte, waren dies fast ein Drittel der Dorfbewohner.
Diejenigen, die überlebt hatten, gaben ihr Dorf auf und zogen traumatisiert und trauernd in die Nachbargemeinde, um dort mehr schlecht als recht den Winter zu verbringen. Erst im Frühjahr kehrten sie in ihr Dorf zurück.
Es dauerte Jahre, bis sich die Bewohner und das Dorf selbst von diesem grausamen Jahr erholten. In der Chronik des Dorfes wurden die Geschehnisse festgehalten.

Jetzt schreiben wir das Jahr 2021. Weiningen in Dithmarschen.
Deutschland hat gerade Bundestagswahlen hinter sich gebracht. Mit einer überwältigenden Mehrheit ist die DdD, Deutschland den Deutschen, mit 53% in den Bundestag gewählt worden. Obwohl sie auch ohne Koalitionspartner regieren könnte, hat sie sich mit der AfD, der Alternative für Deutschland, zusammengeschlossen. Damit haben die Regierungsparteien praktisch uneingeschränkte Macht.
Kurz nach der Bundestagswahl fanden in Schleswig-Holstein auch die Landtagswahlen statt. Auch dort siegte die DdD und bildete eine Koalition mit der AfD. In Weiningen hatten fast 28% der Bürger für eine solche Koalition gestimmt.

Die erste Amsthandlung des neuen Bürgermeisters von Weiningen war es, für alle in Zukunft zu besetzenden Stellen im Rathaus nur noch deutsche Bundesbürger einzustellen. Die Regierung hatte zuvor erlassen, dass nur deutsch war, wessen Familie seit mindestens 4 Generationen die deutsche Staatsbürgerschaft besaß. Da waren gleich viele keine Deutschen mehr... Die Regierung verabschiedete sich gleichzeitig vom allgemeinen Gleichstellungsgesetz. Ihre Begründung war, dass alle anderen, nur nicht die Deutschen, von diesem Gesetz profitierten, was faktisch einer Ungleichstellung gleich kam.
Eine Überprüfung durch eilig einberufene Sonderkommissionen der Oppositionsparteien würde Monate dauern.

Der Bürgermeister von Weiningen kündigte an, alle straffällig gewordenen Ausländer der neuen Abschiebungsbehörde zu übergeben. Ausländer, die aus Deutschland abgeschoben werden sollten, werden in eigens eingerichteten Lagern gesammelt um ein Untertauchen zu verhindern. Praktischerweise verhindern diese geschlossenen und streng bewachten Lager ebenso den Kontakt zu Angehörigen und Anwälten. Handys und alle anderen Kommunikationsmittel waren dort streng verboten.

Der Bürgermeister ließ sämtliche ausländischen Bürger,und davon gab es jetzt sehr viele, auf Straftaten überprüfen.Durch eine solche könnte sofort abgeschoben werden. Bei 31 Familien wurde er fündig. Anzeige wegen Beleidigung, Schwarzfahren mit öffentlichen Verkehrsmitteln, Autowaschen an ungeeigneten Orten, sowie das Pflücken von Blumen auf öffentlichen Plätzen gehörten zu den Vergehen.
So wurden nicht nur 31 Straftäter, sondern gleich 31 ganze Familien in die Auffanglager geschafft. Der Bürgermeister rühmte sich damit Wohnraum zu schaffen in Zeiten der Knappheit.

Dem syrischen Schumacher und seiner Frau wurden bei einer Steuerprüfung Ungereimtheiten nachgewiesen. Als die erwachsene Tochter die Inhaftierung ihrer Eltern verhindern wollte, wurde auch sie gleich festgenommen, wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt.
Der irakische Gemüsehändler stritt sich mit der Telefongesellschaft um eine Rechnung, unterlag jedoch vor Gericht und wurde verurteilt, die Rechnung zu bezahlen. Das lehnte er jedoch strikt ab. 3 Tage nach Verstreichen der Frist klingelte nachts die Polizei an seiner Tür und nahm ihn, seine Frau und seine 2 kleinen Kinder in Gewahrsam.
Bei der 16-jährigen Tochter von Giovanni Piccolini, dem beliebten Dorffriseur, wurde bei einer Personenkontrolle ein Tütchen Haschisch gefunden.
Gregorij, der russische Schulbusfahrer, spuckte vor dem Rathaus auf den Schotterplatz.
Cem, Sohn türkischer Eltern und bis vor kurzem noch Deutscher, pinkelte in betrunkenem Zustand gegen das Auto eines guten deutschen Bürgers.
Ayse, Rodolfo, Svetlana, Lamé, Mesut, Kim, Rune, Stephanos und, und, und...

alle weg.

Ihre Geschäfte, ihre Wohnungen, ihre Arbeitsplätze wurden übernommen von anständigen Deutschen. Einige jedenfalls.

Die hohe Zahl an leerstehenden Wohnungen, drückte den Mietpreis, was die Vermieter natürlich gar nicht gut fanden.
Einen Friseur gibt es in Weiningen nicht mehr. Gemüse gibt es nur noch im Supermarkt. Die Autowerkstatt hat keine Mitarbeiter mehr und findet auch keine neuen. Das neue Gesetz, das Arbeitsplätze zuerst mit deutschen Bewerbern besetzt werden müssen und einen Verstoß teuer bestraft, führt dazu, dass es keinen Bewerber mehr gibt. Weiningen ist eben nicht Berlin. Die Schulkinder des Dorfes haben nun keinen extra Schulbus mehr, der sie zur Schule im Nachbarort bringt. Der Bürgermeiste erklärte dazu: Deutsche Kinder sind nicht verweichlicht, die können sehr gut mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren. Die Eltern fanden das gut, die Kinder nicht so.
Das Eiscafé hat geschlossen. Ausländischen Mitbürgern wurde verboten, eigene Geschäfte neu zu eröffnen.
Die Reinigungsfirma, die für alle öffentlichen Gebäude in Weiningen zuständig ist, hat fast keine Mitarbeiter mehr und kann die Verträge nicht erfüllen. Der polnische Firmeninhaber wollte keine Regressforderungen bezahlen, da er seinen Vertragspartnern die Schuld an der Misere gab. Er bekam einen anonymen Hinweis und konnte gerade noch rechtzeitig mit seiner Familie das Land verlassen.

Ein halbes Jahr nach der Neubildung der Bundes- und Landesregierungen ist die Einwohnerzahl von Weiningen von 3784 auf 2573 gesunken. 32%.

Die Wölfe sind zurück.


© Verdichter


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Beschreibung des Autors zu "Die Rückkehr der Wölfe"

Der Orstname ist erfunden, ein solches Geschehen im Jahr 1762 wurde aber in einer tatsächlichen Ortschronik beschrieben.
Der Rest ist Zukunftswahn...oder?

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Kommentare zu "Die Rückkehr der Wölfe"

Re: Die Rückkehr der Wölfe

Autor: Ezra Ypsilon   Datum: 06.10.2017 0:05 Uhr

Kommentar: Ich sag nur: wow! Diese beiden Dinge miteinander so zu verknüpfen - genial! Ich habe den Zusammenhang echt erst ganz am Schluss verstanden, aber dann ist er sowas von klar. Unheimlich...

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