Die Fabel vom Bär Lutz Coni
und seinem Gevatter, dem unglücklichen Wolf




Der Bär Lutz Coni lebte unterhalb des Jungfrau-
Jochs in einer warmen, feuchten Höhle. Er lebte
schon lange allein, weil niemand so gern seine Nähe
teilen mochte. Oft dachte er an die Zeit, als er Prä-
sident der Tiere gewesen war, die jenseits der grossen Berge wohnten. Was war er doch für ein stattlicher
Bär gewesen. Die anderen Tiere zollten ihm Achtung
und Respekt, weil er die Gabe besaß, Neuigkeiten in
aberwitziger Geschwindigkeit zu verbreiten und die
Gesellschaft zu unterhalten. Er hatte satt zu essen,be-
saß mehrere Höhlen und wurde in einer Sänfte um-
hergetragen. Eines Tages beschloss der Bär Lutz Coni,
Präsident der Tiergemeinschaft zu werden. Die Kunde
verbreitete sich in Windeseile in der Tierwelt, dank des
bärigen Nachrichtendienstes. Er wurde mit großer Mehrheit gewählt, weil sich jedes Tier eine Verbesser-
ung seiner Lebenssituation erhoffte. „Lutz Coni wird’s
schon richten…“ so die einhellige Meinung der Bevöl-
kerung. Schon sehr bald merkten sie, dass ihr neuer
Präsident, sein Amt zum eigenen Vorteil missbrauchte.
Der oberste Richter, die Eule Hugo, wurde zu ihm ge-
sandt, um ihm klar zu machen, dass sich ein Präsident
nicht an der Allgemeinheit bereichern dürfte. Der Bär nickte stumm und trottete seines Weges, wobei er sei-
nen dicken Pelz schüttelte. Es ging eine Weile gut, er
redete viel mit den Präsidenten anderer Tiergemein-
schaften. Das hielt ihn allerdings nicht davon ab, den

eigenen Geschäften nach zu gehen und sich die Taschen
zu füllen. Das bittere Ende nahte in Gestalt der ober-
sten Gerichtsbarkeit, der Eule, die ihm verkündete, er
müsste von seinen Ämtern zurücktreten. Widerwillig
tat er dieses dann auch und zog sich schmollend in seine warme, feuchte und enge Höhle zurück.


Heute aber erwartet der Bär Lutz Coni hohen Besuch.
Der große Wolf aus dem Norden hat sich angesagt. Er
möchte in den Bergen eine schöne Ferienhöhle für sei-
ne Familie kaufen und sucht deshalb jemanden, der ihm Kredit gewährt. zufälliger weise ist ein wunder-
schöner Platz gegenüber vom Bären frei geworden. Das
Schmuckstück liegt unterhalb eines riesigen Berges, der „Mönch“ heisst. Der große Wolf ist auch ein Präsident, der Tiere, die in dem weiten Land nördlich
der hohen Berge leben. Er ist ein typischer Wolf im
Schafspelz, liebenswürdig, angepasst und zur richtigen
Zeit am richtigen Ort. Das waren auch die Gründe,wes-
halb die Tierversammlung ihn zu ihrem Präsidenten
gewählt hatten. Der große Wolf jedoch hatte, ähnlich wie der Bär Lutz Coni, im Vorfeld seiner Wahl, seine
starke Position dazu benutzt, sich Vorteile gegenüber
anderen Tieren zu verschaffen. Die Leithammel der Tiergruppen, die den Wolf nicht in sein Amt gewählt
hatten, blökten besonders laut nach einem Nachfolger.
Das traf den Wolf tief, denn er sah um sich herum
etliche Tiere, die nur auf ihre Vorteile bedacht waren.
Er dachte: „Ich bin auch nur ein Tier wie ihr alle, wes-
halb soll ich mich anders verhalten als ihr ?“
Er wusste darauf keine Antwort und so sucht er Rat
bei seinem südländischen Kollegen, dem Bär Lutz Coni.

„Hattest Du eine gute Reise hierher ?“, fragt der Bär.
„Ja“ , antwortet der Wolf, „Vier riesige Kraniche zogen mich in einem silbernen Streitwagen hoch über
den Wolken zu Dir. Es gab köstliche Speisen und erlesene Getränke, danke.“ Der Bär muss schmun-
zeln und fragt: „Bist Du nun als Präsident Deiner Tiergemeinschaft zu mir gekommen oder als Wolf ?“
„Sowohl als auch. Ich brauche Deinen Rat, Bär.“
„Nun ja, wenn ich einen guten Rat geben könnte, wäre
ich wahrscheinlich noch im Amt.“ , brummt der Bär.
„Aber ich kann Dir meine Erfahrungen schildern.“ Der
Wolf hört gespannt zu. „Als Präsident hast Du eine
Vorbildfunktion. Du stehst einer Gemeinschaft vor, die
nach festen Regeln lebt, die das Miteinander und die
Weiterentwicklung von uns Tieren gewährleisten. Es gibt immer Ausnahmen, das heißt Amtsinhaber, die
ihre Position missbrauchen – denk mal an den alten
Dompfaff, was der seinen Jungvögeln angetan hat,
schrecklich…“ Der Wolf hüstelt. „Nun ist es so, dass wir auch nur Bären und Wölfe sind, quasi ursus inter
pares oder lupus inter pares, also Bär oder Wolf unter
Gleichen. Die meisten Tiere nehmen unser Verhalten
sehr ernst und handeln in jeweiligen Situationen ähnlich wie wir – und das ist nicht gut für die Gemein-
schaft. Das ist der Grund, weshalb ich zurücktreten
musste – und wenn du gegen die Regeln verstößt, darfst
du nicht so dumm sein, Dich dabei erwischen zu lassen.“
Als der grosse Wolf das hört, heult er laut auf, senkt
seinen Kopf und schleicht leise davon.


© hayodelight 2012


© (c) hayodelight 2012


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