Gerhard Schopenbichler zieht die Hose hoch, den Gürtel enger und überblickt die Lage.
Vor ihm liegt Apartmentkomplex B. Ein Altbau bestehend aus Betonplatten und Traurigkeit.
Er sperrt den Dienstwagen ab und steuert auf die Parkfläche neben dem Gebäude zu. Links sitzen mehrere Jugendliche mit Bierdosen auf einer Parkbank und schauen herüber. Er legt die Hand an den Gürtel und nickt ihnen mitfühlend zu. Sie jedoch starren ihn nur weiter an.
Zwischen altem Laub und eingegangenen Begonien findet er alsbald, weswegen er gerufen wurde.
Auf einem kleinen Feldweg, direkt hinter dem Springbrunnen mit der Goethestatue haben sich ein Dutzend Schaulustige versammelt. Zu ihren Füßen liegt ein zusammengekrümmtes Männlein mit Schminke im Gesicht.
Der Polizist drängt die Menge zur Seite und macht sich ein Bild vom Tatort. Hier und da ein paar Blutspritzer, dort ein Bündel ausgerissener, regenbogenfarbener Haare. Nichts ungewöhnliches für diese Art von Verbrechen. Ein paar Meter weiter findet er auch eine dicke, rote Nase. Sorgfältig faltet er eine dünne Plastiktüte auf und steckt den Ball als Beweismaterial für die Spurensuche hinein.
Anschließend besieht er sich die Leiche näher.
Unterdurchschnittliche Statur, dafür sehr mager. Blaue Hose mit breitem Bund, ausgetretene, breite Schuhe und eine wallende, mit bunten Blumen gemusterte Bluse.
Des weiteren fünf Einstiche im Brustbereich, zwei an den Armen, einer am Bein und diverse Schnitte an Kopf und Gesicht. Die Tatwaffe ist nirgends zu finden.
Polizist Schopenbichler tritt einen Schritt zurück, betrachtet verdrossen die Leiche, kratzt sich am Kinn und fragt dann in die Runde der Beteiligten:
„Weiß jemand, wer das ist?“
Die Menge fängt an zu raunen und zu murmeln. Vereinzelt werden Stimmen laut:
„Das is der aus dem Parterre, die Wohnung neben dem Kellerabgang.“
„Komisch war der. Wenn man den im Treppenhaus getroffen hat, versuchte der immer, witzig zu sein.“
„Einmal hat er mir einen Luftballon geschenkt. Einfach so. Einen Luftballon. Kann man sich das vorstellen?“
„Irgendwas hat mit dem nicht gestimmt. Haben Sie mal seine Schuhe gesehen? Viel zu groß! Dabei hat er doch höchstens achtunddreißig gehabt.“
Der Polizist pfeift ein paar Mal in seine Trillerpfeife und gebietet den Leuten, ruhig zu sein. Alsbald wartet man wieder gespannt auf des Ordnungshüters Reaktion. Dieser überlegt scharf, setzt seinen Überlegenheitsblick auf und meint aufs Geratewohl:
„Also, wer war's?“
Ein Mann mittleren Alters mit Hornbrille und Hochwasserhosen tritt aus den Reihen der Schaulustigen.
„Aha, Sie also. Dann kommen's mal mit.“
„Nein, sie missverstehen.“
„Ja, wie?“
„Ich bin derjenige, der sie angerufen hat. Ich habe den Mann nicht umgebracht.“
„Dann sagn's das halt. Sie haben also angerufen.“
„Ja, das hab ich. Vor einer guten halben Stunde.“
„Aha. Und da war er schon tot.“
Der Mann zögert einen Moment:
„Sehr wahrscheinlich, ja. Ich hab ihn noch gefragt, was er denn da so mache, und ob er nicht wisse, dass das Schlafen im Park verboten sei. Er hat aber nicht geantwortet. Da hab ich die Polizei gerufen.“
„Löblich“, kommentiert Schopenbichler
„Wollen Sie das nicht aufschreiben?“
„Doch, doch.“
Der Polizist zieht demonstrativ Notizblock und Bleistift vom Gürtel und zeigt diese dem Mann.
„Sie dürfen dann gehen. Aber in der Nähe bleiben, vielleicht habe ich später noch Fragen.“
Dann wieder zur Menge:
„Hat hier noch jemand etwas zu sagen?“
„Hier, ich“, meldet sich eine Dame im Kunstpelz.
„Aha, wusst ich's doch. Die eifersüchtige Ehegattin, nehm ich an? Rachsüchtiger Mord?“
„Wie meinen?“
„Jetzt geben's schon zu, dass sie ihn erstochen haben.“
„Gar nichts habe ich. Außer zugesehen. Ich kenne diesen Mann da gar nicht.“
„Sie haben die Tat beobachtet?“
„Vom Balkon aus. Ich war gerade dabei, die Wäsche aufzuhängen, da hab ich es ganz genau gesehen.“
„Und keine Hilfe geleistet?“
„Ja, wie denn vom Balkon aus.“
„Grad nochmal davongekommen. Also, was hab'n sie gesehen.“
„Der Tote ist den Weg entlang, also lebendig. Ihm entgegen kam ein Anderer, so ein Kleiner. Der eine hat dem anderen was gesagt, dann der andere zurück und schon ist der Kleine auf ihn losgegangen. Ein Gemetzel war das, sag ich Ihnen. Aber als ich die Kamera geholt hatte, war er leider schon tot.“
„Aber sie könnten den Täter identifizieren.“
„Natürlich. Ich war ja fast hautnah dabei.“
Der Polizist nickt, steckt den unbeschrieben Block wieder ein und denkt nach. Irgendetwas ist hier faul, das sagt ihm seine langjährige Berufserfahrung. Am Ende ist das ganze ein Komplott. Wer kann schon genau sagen, ob hier nicht Lug und Intrige am Werk sind. Endlose Möglichkeiten tun sich vor seinem inneren Auge auf. Ein schier unlösbarer Fall.
„Hat noch jemand etwas gesehen?“, fragte er beiläufig, auf einen Löwenzahn starrend, der sich zwischen bunten Tüchern hervorschiebt.
„Ja, hier.“, spricht ein durchsetzter Herr mit Oberlippenbart und schiebt sich an zwei dickwülstigen Damen vorbei.
„Mhm, und?“, fragt Schopenbichler in Gedanken versunken.
„Ich halts nicht mehr aus, ich wills gestehen, ich habe ihn umgebracht“
Durch die Menge zieht ein ungläubiges Keuchen.
„Aber Herr Maier, sie doch nicht! Sie haben mir doch immer die Blumen gegossen!“
„Und mir haben sie immer die Post gebracht, wenn sie bei Ihnen im Briefkasten gelandet war.“
„Sogar auf meinen Hund haben sie aufgepasst!“
„Soso“, meint Schopenbichler, denn er traut der ganze Sache noch nicht:
„Na dann, erzählen's mal, warum haben sie den Witzbold hier gemeuchelt?“
„Ich wollts ja nicht“, erzählt der Mann unter Tränen:
„Wissen sie, meine Frau hat mich getriezt, weil ich nicht an das Marmeladenglas kam, oben auf dem Speiseschrank.“
Der Mann weist auf die eigene Statur:
„Ich bin halt nicht der Größte und ich kann ja damit leben, aber manchmal ist es halt einfach zu viel für mich.“
Die Schaulustigen rundherum nicken verständnisvoll.
„Ich bin also aus der Wohnung, weil ich es einfach nicht mehr aushielt. Und da kommt mir dieser Mann entgegen“, er deutet auf den Toten.
„Und ich habe mich ihm anvertraut, weil ich grad so gekränkt war und weil ich mir dachte, vielleicht hat er ein gutes Wort für mich, aber das hatte er nicht. Das hatte er nicht!“
Der Mann stockt. Jemand reicht ihm ein Taschentusch, er schneuzt sich einmal kräftig und fährt dann fort:
„Und wissen Sie, was er gesagt hat? Soll ich es Ihnen sagen? Ja, ich sags. 'Ist doch keine große Sache' hat er gesagt, ja, das hat er.“
Die, Menge raunt empört.
„Und da hab ich's einfach nicht mehr ausgehalten. Das Messer hat ich grad noch dabei und da isses einfach mit mir durchgegangen. Da hab ich in blinder Wut nur noch auf ihn eingestochen.“
„Aha“, rief Schopenbichler:
„Ein Geständnis.“
„Ich weiß ja, dass es nicht richtig war. Und jetzt tut's mir auch leid. Aber tun sie, was sie müssen, Herr Wachtmeister. Nehmen's mich mit, denn ich hab's ja verdient.“
Es klicken die Handschellen und die Meute löst sich auf.
Der Polizist verständigt noch den Bestatter, damit dieser den Toten beseitigt und führt dann den Mörder an seiner Seite zum Fahrzeug.
Beim Vorbeigehen grüßte Schopenbichler noch die Jugendlichen mit den Bierdosen, die ihn emotionslos anstarren.
Gutmütig raunte er dem Mann an seiner Seite zu, kurz bevor Sie in den Wagen einsteigen:
„Plädierens auf Notwehr. Dann sind Sie vielleicht in nem knappen halben Jahr schon wieder draußen. Die Staatsanwaltschaftlich wird’s verstehen.“

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Beschreibung des Autors zu "Lustiger Mord"

Mord in der Parkanlage. Polizist ist ratlos. Passanten wissen es genau.

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