Die Männer der Siedlung versammelten sich vor dem zerbombten Gebetsraum. Über den Schutt der ehemaligen Hausreihen tobten ein paar Kinder, deren ungetrübtes Lachen das traurige Bild der Zerstörung kontrastierte. Auch der Rauch, der noch vor wenigen Minuten giftig über dem Straßenzug hing, zog sich nun hinter die Ruinen der Hochhäuser zurück und gab den Blick auf einen azurblauen Himmel frei. Helles Sonnenlicht durchflutete die Gassen und erleuchtete dieses unwirtliche Szenario.

„Dort will ich hingehen. Seht ihr? Das ist Deutschland. Jeder, der dort hingeht, bekommt ein neues Haus gebaut. Schaut, so ein Haus.“ Der junge Mann, der ein rosa Hemd und eine schwarze Hose trug, hielt aufgeregt sein Smartphone in die Runde, auf dem ein schmuckes Einfamilienhaus zu sehen war. Hoffnungsvoll versuchte er die anderen Männer von seiner Idee, nach Deutschland zu fliehen, zu überzeugen.

„Ach, was sagst du da?“, entgegnete ihm ein alter Mann, der traditionell in Weiß gekleidet, mürrisch an einem Steinblock lehnte: „In Deutschland gibt es nur Faschisten, die uns in Massenunterkünften einpferchen und verbrennen wollen. Sie hassen uns und unseren Glauben! Ich bleibe und sterbe lieber hier, in meiner Heimat; getötet durch die Hand meiner Brüder.“ Wild gestikulierend wandte er sich von der Gruppe ab.

„Ach, was sagst du da?“, drängte sich ein untersetzter Herr in den Vordergrund. Seinen schwarzen Anzug bedeckte die gräuliche Staubschicht der Trümmer: „Wer will hier schon leben und wer will hier schon sterben? Nur ein verbohrter, alter Narr kann so etwas von sich geben! In Deutschland liegt unsere Zukunft. Ich liebe meine Kinder und sie haben ein besseres Leben verdient.“ Gütig blickte er zu der Kinderschar, die im Schatten der geschundenen Gebäude spielte.

„Ach, was sagst du da?“, pöbelte ein Soldat, der kampferprobt - mit seiner verschlissenen Uniform - den Kreis betrat: „Wenn wir hier leiden, dann soll die ganze Welt mit uns leiden! Wir tragen den Terror des Krieges in ihre Länder, zerstören ihre Werte und lassen sie bluten! Alle Ungläubigen haben den Tod verdient!“ Angewidert spuckte er auf den Boden und presste den Gewehrlauf energisch an seine Schulter.

„Ach, was sagst du da?“, beschwichtigte ein zierlicher Mann, der sich kaum Gehör verschaffen konnte. Unauffällig - in seiner blauen Jeans und seinem weißem T-Shirt - schlich er durch die Menge: „Machen wir uns ihre Willkommenskultur zu Nutze. Dort können wir leben und uns holen, was immer wir wollen; unsere Taschen werden immer voll sein. Und wenn uns das nicht reichen sollte, dann fordern wir einfach mehr!“ Selbstgefällig grinste er die anderen Männer an und verschränkte seine Arme hinter dem Kopf.

„Ach, was sagst du da?“, bemerkte ein stämmiger Mann, der in einem blauen Overall steckte und Werkzeuge auf einer Decke ausbreitete. „Wie gerne würde ich unsere Stadt wieder aufbauen und in neuem Glanz erblicken. Doch meine Hoffnung, dass der Krieg je endet, schwindet Tag für Tag. Ohne Arbeit bin ich nichts. Ich werde dorthin gehen, wo ich etwas bewirken kann und meine Arbeit wieder gewürdigt wird. Wenn ich in Deutschland willkommen bin, so will ich dorthin gehen.“ Konzentriert sortierte er die Schraubenschlüssel aus dem Werkzeug heraus und steckte sie behutsam in eine Tasche.

„Ach, was sagst du da?“, lästerte ein elegant gekleideter Mann, der seinen schwarzen Hut vom Kopf zog, um sich mit einem Taschentuch den Schweiß von der Stirn zu wischen: „Geld zählt und Geld musst du machen; hier in unserem eigenen Land. Am Krieg kannst du immer gut verdienen. Du kannst schmuggeln, stehlen, rauben und all das Chaos für dich nutzen. Du kannst daran verdienen. Das zählt.“

Über ihren Köpfen kreiste ein Helikopter, den sie irrtümlich einer Rettungsorganisation zuordneten. Aus seinem Inneren wurden graue Metallkanister abgeworfen, die sich unaufhaltsam der Versammlung näherten. Doch es waren keine Trinkwasserbehälter – wie von der Gruppe vermutet - sondern Fassbomben, die beim Aufschlag bellend detonierten. Nägel und Metallsplitter zerfetzten die Körper der Männer, ließen ihre Träume in einem Sekundenbruchteil enden und rechtfertigten in diesem Moment jede Motivation, dieser Hölle durch Flucht entkommen zu wollen.


© Andreas Broska


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Beschreibung des Autors zu "Ach, was sagst du da?"

Während unsere Vorstellungen mit Vorurteilen und Klischees behaftet sind, zählt in Syrien nur das nackte Überleben! Auf die unterschiedlichen Motivationen, die zur Flucht führen, können wir in Deutschland nur dann angemessen reagieren, wenn wir zuvor den Flüchtlingen die Grundrechte ermöglichen: Die Würde des Menschen ist unantastbar und jeder Mensch hat ein Recht auf körperliche Unversehrtheit.

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