Der neue Pfarrer einer mittelgroßen Gemeinde irgendwo in Deutschland übernahm seine erste Aufgabe. Er sollte den Konfirmandenunterricht leiten – was nicht einfach werden würde.

Zum einen waren es in diesem Jahr besonders viele Jugendliche, die angemeldet waren und zum anderen hatte er erfahren, dass die Konfirmanden sich wegen ihrer unterschiedlichen Schulbildung und sozialen Herkunft wenig untereinander akzeptierten, sogar teilweise anfeindeten. Einigen zum Außenseiter abgestempelten Jugendlichen wurde das Leben besonders schwer gemacht.

Außerdem kam wie immer der Umstand hinzu, dass nicht alle, die angemeldet waren, freiwillig oder gerne am Konfirmandenunterricht teilnehmen würden. Der junge Pfarrer hatte sich also viele Gedanken gemacht, wie er es schaffen könnte, die zukünftigen Konfirmanden zur Vernunft zu bringen.
Zunächst einmal hatte er beschlossen, sie in drei Gruppen aufzuteilen. In kleineren Gruppen konnten sie sich besser kennenlernen. Dennoch sollte es auch Unterricht für alle gemeinsam geben, Projekte an denen sich alle mit Engagement und Begeisterung beteiligen sollten.

Er musste einen Weg finden, dass sie sich trotz ihrer unterschiedlichen Herkunft und Denkweise gegenseitig akzeptieren, vielleicht sogar anfreun-den würden, denn immerhin kamen sie in den nächsten zwei Jahren mindestens einmal in der Woche zusammen.

Die erste Unterrichtsstunde sollte für alle gemeinsam stattfinden und ihm war völlig klar, dass er es gleich zu Beginn schaffen musste, die Konfirmanden auf seine Seite zu bringen.

Auf jeden Fall aber wollte er ihnen etwas mit auf den Weg geben, dass ihre Einstellung zueinander zumindest ins Wanken brachte, vielleicht sogar veränderte.

Und heute war es soweit, fast vierzig Konfirmanden saßen vor ihm. Einige schauten erwartungsvoll, andere gelangweilt oder wirkten völlig interesselos und wieder andere nörgelten an ihren Mitschülern herum und so weiter – leider war alles so, wie er es erwartet hatte für diese erste Stunde.

Doch der Pfarrer ließ sich auch von den größten Rabauken nicht beeindrucken, sondern zog mit übertriebener Gelassenheit einen 50-Euro-Schein aus seiner Hosentasche, hielt ihn in die Luft und fragte: „Wer von euch möchte diesen Schein haben?“

Augenblicklich wurde es mucksmäuschenstill im Raum und sämtliche Konfirmanden starrten den Pfarrer mit großen Augen an, um dann wie aus einem Mund zu rufen: „Iiihich!“

„Habe ich mir gedacht, dass ihr alle die 50 Euro haben wollt.“ Der Pfarrer schmunzelte in sich hinein – »das wäre geschafft, Aufmerksamkeit hatte er schon mal.«

„Was müssen wir tun, um das Geld zu kriegen?“ rief einer der besonders Vorlauten, „nun sagen Sie schon, ich könnte mir davon ein neues Computerspiel kaufen!“

„So schnell geht das nicht, warte ab und schau zu!“ Der Pfarrer nahm den Schein in beide Hände und zerknitterte ihn.

„Eh, was tun Sie da?“ rief der Vorlaute wieder. Ohne ihn zu beachten hielt der Pfarrer den völlig zerknitterten 50-Euro-Schein erneut in die Luft: „Möchte ihn immer noch jemand haben?“

„Wieder riefen alle zugleich: „Na klar!“

„Dann kommt mit nach draußen!“ und der Pfarrer ging den 50-Euro-Schein in die Luft haltend vor die Kirche.


Die Konfirmanden, die fast platzten vor Neugier, stürmten, sich gegenseitig schupsend, jeder wollte schließlich der erste sein, hinter dem Pfarrer her, der draußen wartete, bis sich alle um ihn versammelt hatten.

„Was haben Sie jetzt vor?“ fragte eines der Mädchen gespannt.

Ohne eine Antwort zu geben, warf der Pfarrer den zerknitterten Schein auf den Boden und forderte einen der Jungs auf, ihn mit seinen Schuhen am schmutzigen Boden hin und her zu schieben.

„Wie?“ meinte der, „ich soll auf einen 50-Euro-Schein treten und ihn am Boden reiben? Was ist, wenn er kaputt geht?“

„Mach schon!“ forderte der Pfarrer ihn erneut auf.

„Wenn Sie meinen?“ zögerlich tat der Konfirmand, was der Pfarrer gefordert hatte und ein Raunen ging durch die Gruppe.

Nach dieser Aktion hob der Pfarrer den zerknitterten, völlig verdreckten und ein wenig eingerissenen Schein wieder auf, hielt ihn erneut in die Luft und fragte die Konfirmanden: „Wer möchte diesen 50- Euro-Schein jetzt noch haben?“ Und wieder riefen alle: „Ich, ich, ich!“

„Dann kommt wieder mit rein und setzt Euch auf Eure Plätze!“ Der Pfarrer ging zurück. Die Konfirmanden sahen sich fragend an und folgten ihm ohne ein Wort.

Als alle sich gesetzt hatten und voller Erwartung auf den Pfarrer schauten, sagte dieser: „Liebe Konfirmanden, soeben haben wir die erste wichtige Lektion unserer zukünftigen Unterrichts-stunden gelernt. Ihr wart alle erschrocken darüber, was ich mit diesem 50-Euro-Schein angestellt habe, entsetzt, als er auf dem Boden lag und einer von Euch darauf treten sollte. Dennoch, was auch immer mit diesem Schein passierte, ihr wolltet ihn haben. Warum? Weil er nie an Wert verloren hat. Er ist auch jetzt noch 50 Euro wert.“

Nach einer kleinen Denkpause fügte er mit einem liebevollen Lächeln hinzu: „Es passiert auch in unserem Leben, dass wir ausgestoßen, zu Boden geworfen, zerknittert oder in den Dreck geschmissen werden, skrupellos tritt man nach uns, niemand hebt uns auf. Das sind Schicksals-schläge, die jedem von uns jeden Tag passieren können. In einer solchen Situation fühlen wir uns klein und hilflos, ohne jeden Wert.
Wann auch immer ihr dieses Gefühl habt, dann denkt an diesen 50-Euro-Schein“, noch immer hielt der Pfarrer den Schein in die Luft, „und daran, dass egal, was passiert ist oder was jemals passieren wird, Du verlierst niemals Deinen Wert.
Zerknittert oder fein gebügelt, schmutzig oder sauber, am Boden oder aufrecht, Du bleibst immer das Wertvollste für alle, die Dich über alles lieben und Gott liebt jeden von uns genauso, wie er ist.

Der Wert Deines Lebens wird nicht bewertet durch das, was Du tust, wen Du kennst oder wo Du herkommst, sondern dadurch WER DU BIST.“

Nach einem kurzen Moment der Betroffenheit stand plötzlich einer der Konfirmanden auf, ging zu jedem Einzelnen hin und streckte seine Hand aus mit den Worten: „Du bist wertvoll, egal was passiert, vergiss das NIE!“


© Ulrike Vornweg-Elzner


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