Szenenbeschreibung: Voll besetztes Restaurant. Zwei Personen sitzen gemeinsam an einem Tisch, obwohl sie Fremde sind (es tut dem Kellner furchtbar leid). Der Tisch ist ziemlich klein, kaum bewegt man sich, schon schwappt die Suppe des anderen über.



Marlene Weiß:
Freundlich betrachtete ich die ältere Frau, die mir gegenüber saß und nickte ihr zu. Ich bekam eine komische Grimasse, was wohl ein Lächeln sein sollte zurück. Da ich nicht wusste, was ich genau sagen sollte, senkte ich den Kopf und starrte wie gebannt in meine Karte.
„Haben Sie sich denn schon für etwas entschieden?“, fragte ich vorsichtig.
Sie taxierte mich eingehend. „Ich wüsste nicht, was Sie das angeht!“, knurrte sie und winkte den Kellner herbei, um ein neues Glas Wein zu bestellen.
Ich versuchte freundlich zu bleiben und versuchte abermals ein simples Gespräch anzufangen, doch auch dieses Mal ließ sie mich vollkommen kalt abblitzen. Nun gab ich es auf und widmete mich eingehend meiner Suppe, die eben gekommen war.
Plötzlich ruckelte es am Tisch und etwas meiner Suppe spritzte auf mein neues Kleid, das ich mir extra für diesen Abend gekauft hatte. Leise fluchend rieb ich an dem Fleck herum. Als ich einen kurzen Blick auf meine Sitznachbarin warf, zuckte die nur gleichgültig mit den Schultern und stocherte in ihrem Salat herum, während sie eifrig etwas in ihr Handy tippte.
Ich hatte mich so auf diesen Abend gefreut und nun war er eine einzige Katastrophe. Vorsichtig löffelte ich meine Suppe und winkte anschließend schnell den Kellner herbei und verlangte die Rechnung. Ich würde mir schönes Café suchen, in dem ich meinen Nachtisch einnahm, denn hier war ich ja anscheinend unerwünscht.
Höflich verabschiedete ich mich und kehrte ihr den Rücken zu.
„Na, endlich!“, flüsterte diese vor sich hin, während sie sich ihr drittes Glas Wein bestellte.


Greta Müller:
Ich konnte es nicht fassen, dass mir einfach eine fremde Person an den Tisch gesetzt wurde, den ich schon Wochen vorher reserviert hatte. Der Kellner hatte sich zwar vielmals entschuldigt, aber ich empfand diese Situation mehr als unangenehm.
Eigentlich hatte ich wichtige Dinge an meinem Blackberry zu koordinieren, aber ich konnte mich beim besten Willen nicht konzentrieren. Nicht, wenn eine fremde Person mir auf den Teller starrte.
Ich versuchte meinen Frust mit einem Glas Wein hinunter zu spülen, doch die erhoffte Wirkung blieb aus.
Die junge Frau nickte mir zu, als ich gerade überlegte, ob ich das Restaurant nicht einfach verlassen sollte. Ich setzte ein gespieltes Lächeln auf und versuchte mich darauf zu konzentrieren, den Kellner im Auge zu behalten. Ich brauchte ein zweites Glas Wein. Jetzt. Sofort.
„Haben Sie sich denn schon für etwas entschieden?“, wurde ich plötzlich gefragt.
Stirnrunzelnd sah ich die Frau an und überlegte mir, ob sie eine Antwort wert war oder nicht. Normalerweise redete ich ja nicht mit solchen Leuten…
„Ich wüsste nicht, was Sie das angeht!“, raunte ich schließlich gehässig. Das saß.
Ich wedelte wie wild mit der Hand herum und machte den Kellner am Nachbartisch auf mich aufmerksam. Er versprach mir, mein Glas schnellstmöglich zu füllen.
Keine 10 Minuten später hielt ich nicht nur ein frisches Glas Wein in der Hand, von dem ich gierig trank, sondern auch meinen Meeresfrüchte-Salat. Den erneuten Versuch der jungen Frau, mit mir ein Gespräch anzufangen, erstickte ich schnell im Keim und wendete mich endlich den Terminen zu, die ich für den nächsten Tag koordinieren musste.
Als ich mich ein wenig streckte, stieß ich versehentlich an das Tischbein. Der Tisch machte einen Ruck und die Suppe der jungen Frau schwabbte über. Kein Problem, nicht meine Schuld. Der Tisch ist einfach viel zu wackelig. Den sollte das Restaurant austauschen lassen. Dem kläglichen Blick der Frau wich ich aus und zuckte nur ein wenig mit den Schultern. Wie gesagt, nicht mein Problem.
Als sie kurz darauf, dass Restaurant verließ, atmete ich merklich auf.
„Na endlich!“, seufzte ich erleichtert. Nach diesen Strapazen brauchte ich ein neues Glas Wein. Jetzt. Sofort. Auf der Stelle, Kellner.


© GoldenShadow


0 Lesern gefällt dieser Text.

Diesen Text als PDF downloaden




Kommentare zu "Das Wesen der Menschheit - Besuch im Restaurant"

Es sind noch keine Kommentare vorhanden

Kommentar schreiben zu "Das Wesen der Menschheit - Besuch im Restaurant"

Möchten Sie dem Autor einen Kommentar hinterlassen? Dann Loggen Sie sich ein oder Registrieren Sie sich in unserem Netzwerk.