Isabelle drückte den Briefumschlag an ihr Herz. Ihr war nicht wohl dabei, ihrem Mann die Scheidungspapiere alleine zu überreichen, doch ihr Anwalt hatte ihr davon abgeraten, jemanden zu dieser Unterhaltung hinzu zu ziehen.
Mit zitternden Händen überreichte sie ihrem Mann den Umschlag.
„Was ist das?“, maulte er.
„Frank“, sie atmete einmal tief durch, „ich will die Scheidung!“
Frank sprang auf und kam drohend auf sie zu. „Du willst also die Scheidung, ja? Hast du gehört Lora, sie will die Scheidung.“
Der Papagei saß ruhig auf seiner Stange und gab keinen Ton von sich. Vielleicht stimmte sie Isabelle ja zu und war genauso für eine Scheidung wie Isabelle.
„Ich werde jetzt gehen, Frank.“, sagte Isabelle leise, damit sie ihrem Noch-Ehemann jegliche Chance nehmen konnte, sich weiter aufzuregen. Er schaffte es dennoch irgendwie.
„Ach, das Fräulein will jetzt gehen!“, wetterte er.
Seine cholerische Art hatte er dem Alkohol zu verdanken. Damals, als sie unter einem strahlend blauen Himmel geheiratet hatten, war er noch ganz anders gewesen. Er war zärtlich, liebevoll und romantisch. Nun saß er nur noch rülpsend auf dem Sofa und trank den lieben, langen Tag nur Bier und Wodka. Sie hatte versucht, ihn zu einer Suchttherapie zu überreden, doch all‘ ihr Gerede war unerhört geblieben. Nun hatte sie sich schweren Herzens entschieden, einen Schlussstrich zu ziehen und mit ihren Sorgen und Problemen in das Heimatland ihrer Mutter zu fliehen, nach Italien.
Frank packte sie grob am Arm und hielt sie davon ab, den Raum und somit die gemeinsame Wohnung zu verlassen. Aus wütenden Augen funkelte er sie an. Isabelle wurde heiß und kalt. Sie versuchte sich aus seinem Griff zu befreien, doch alle Mühe war vergebens – er war zu kräftig für sie. Tränen stiegen ihr in die Augen. Was wäre, wenn er sie nicht gehen lassen würde?
„Du liebst mich doch noch, oder Isi? Du liebst mich doch!“, sagte er mit Wehmut in der Stimme. „Du kannst mich doch jetzt nicht einfach so verlassen. Ich brauche dich doch.“
Isabelle schnaubte verächtlich. In den letzten Wochen war sie für ihn nichts weiter gewesen, als eine Putzfrau und Köchin. Da war nichts mit Liebe gewesen.
„Frank, du kannst sagen, was du willst. Ich werde jetzt gehen. Ich werde gehen und nie wiederkommen. Du hast den Bogen maßlos überspannt. Nicht nur, dass du arbeitslos bist, nein, du tust auch nichts dafür, dass du wieder einen Job bekommst. Und deine Alkohol-Sucht – sie macht mich krank. Hörst du? Sie macht mich krank!“
Und mit diesen Worten riss sie sich los und verschwand, ohne einen Blick zurück, durch die Haustür.


© GoldenShadow


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