Da stehe ich am Bahnhof und warte auf Freunde.
Der Vorplatz ist voll Leben: Menschen, Busse, Taxen, der Bahnhofskiosk.
Die Bewegung der Schlange am Verkaufsstand fällt mir auf. Nicht das stumpfsinnige Vorwärtsschieben, nein, mehr Erschrecken, Unwille zeigen sich durch engeres Zusammenrücken. Einstimmig abgelehnt! Sagt das Loch, das zwischen der Schlange und der Neuen entstanden ist.
Die hat kein Alter. Vielleicht 30 oder 50. Die fettigen Haare hängen ins gleichgültige Gesicht. Auf die Erde gerichtete Augen sind von geäderter, schlaff-gewellter Hautmasse umgeben.
Den Rücken haben wohl die Blicke gebeugt. Eine fleckige Jacke, ein Rock ohne Farbe, Söckchen, bei der Kälte. An den Krampfadern ist der Schmutz zu ahnen.
Es ist noch ein Loch entstanden. Hinter ihr. Die Schlange ist länger geworden. So wird die Frau durch Nichts zur Einkaufsluke gedrängt.
Sie kauft ihe Sonntagsmenü: 2 Würstchen, 2 kleine Flaschen Schnaps. In der Ecke des Wartehäuschens, wo es noch Urin und Erbrochenem riecht, ißt sie.
Eine Wurst, ein Fläschchen, eine Wurst, Schluß. Den Rest steckt sie in die Jackentasche.
Ich stehe in ihrer Nähe. Sie fragt mich nach einer Zigarette.
Als ich sie ihr gebe, spüre ich Augen voll Verachtung auf meinem Rücken. Eine Kioskschlange hat viele Augen.
Wir rauchen, schweigen, mir ist schlecht. Ich will vor den Schlangenaugen fliehen, irgendwas zwingt mich aber zum Bleiben.
All das fiel mir ein, als nach Wochen jemand sagte: "Ach die, die ist tot, hat zu viel am Gas geschnuppert."Ich erschrak mich, weil ich nicht erschrocken war.
Nicht mal Erstaunen war in mir.
Das war doch einstimmig.
Kommentar:Dein Erschrecken über Dein Nichterschrecken ist mir sehr klar. "Man" ist viel zu bereit, "so etwas" hinzunehmen als logische Folge - wovon?
noé
Kommentar schreiben zu "Einstimmig"
Möchten Sie dem Autor einen Kommentar hinterlassen? Dann Loggen Sie sich ein oder Registrieren Sie sich in unserem Netzwerk.
Wenn Macht regiert durch Angst und Schrecken,
Blutspuren manch Bürgersteig bedecken.
Mord und Totschlag den Tag „versüßen“,
Menschen mit ihrem Leben büßen.
Licht malt helle Leuchtspurbahnen
in den Alterungsprozess,
Dinge, die von weither kamen,
setzen sich in Träumen fest,
die dir längst Vergangenes bringen
und dein Hiersein noch [ ... ]
Du findest die Hose! Aber die
Strümpfe sind weg. Du suchst die
Strümpfe. Und findest das Hemd.
Und findest die Schuhe. Und den
Schal. Nur nicht die Strümpfe.
Dann setzt Du die Brille auf. [ ... ]
Heute habe ich die Wahl der Qual, denn ich will mir die Zeit vertreiben, die mich vertreibt, damit ich nicht auf ewig etwas Übles anstellen kann. Soll ich mich, aus Verlegenheit, einfach [ ... ]